Die Erwartungen der HCPs haben sich gegenüber dem Pharma-Außendienst geändert. So wie auch die Patient:innen mittlerweile anderes von ihren Ärzt:innen erwarten. (Foto von Bermix Studio auf Unsplash)
Wieso also braucht der „klassische Außendienst“ unbedingt ein Update – und wie soll so ein Update aussehen? Eingeordnet von Torsten Christann, Managing Partner bei Digital Oxygen.
Neue Herausforderungen im Außendienst
Dass der Außendienst ein unabdingbarer, zentraler Umsatztreiber für jedes Pharmaunternehmen ist, sollte unstrittig sein: Mit einem offenen Ohr für die Bedürfnisse der Verschreiber:innen und mit den nötigen Studiendaten und Argumenten, um eben diesen eine informierte Verschreibungs-Entscheidung zu ermöglichen. Während Patient:innen-fokussiertes Marketing auf den Patient-Pull, also die aktive Nachfrage der Patient:innen nach einem Produkt, abzielt, ist der Außendienst der Schlüssel zum HCP-Push, der aktiven ärztlichen Verschreibung bzw. Empfehlung eines Pharma- oder MedTech-Produktes.
Die aktuellen Herausforderungen:
- Die neuen Bedürfnisse der Ärzt:innen
Wie in vielen anderen Bereichen auch, war die Corona-Pandemie ein Katalysator für Veränderungen im Alltag der Ärzt:innen: Kontakt- und Ausgangsbeschränkungen, ein plötzlich erhöhtes Patient:innen-Aufkommen, massive zusätzliche bürokratische Anforderungen und neue Prozesse bei oft weniger verfügbarem Personal, bedingt entweder durch die Pandemie selbst, den allgemeinen Fachkräftemangel oder beides. Wer die eigenen Patient:innen nicht persönlich empfangen konnte, musste recht kurzfristig auf Videosprechstunden umsteigen. Mal mehr, mal weniger digital affine HCPs mussten damit umgehen, dass eben auch ihre Patient:innen mal mehr und mal weniger digital affinen waren.
Und: Jede Reibung, jede noch so kleine Ineffizienz in den eigenen oder auch öffentlichen Prozessen skalierte schmerzhaft mit jedem und jeder zusätzlichen Patient:in.
Diese Erfahrungen haben einiges nachhaltig verändert – sowohl bei Ärzt:innen als auch bei Patient:innen. Während Video-Sprechstunden auf der Patient:innen-Seite nach dem Ende der umfassenden Corona-Einschränkungen inzwischen wieder rückläufig sind, sind je nach Arzt oder Ärztin unterschiedliche Präferenzen zum Besuch von Pharma-Referent:innen zu beobachten: Ein Teil freut sich – wie vorher – über den wieder persönlich stattfindenden Austausch in der Praxis, ein großer Teil der Außendienst-Besuche wurde jedoch – zumindest in Teilen – auf virtuelle Besuche umgestellt. Mehr als 90% der HCPs möchten mehr virtuelle Kontakte.
Neu ist auch: Ärzt:innen erwarten zunehmend eine Anpassung solcher Pharma-Kontakte auf ihre ganz persönlichen Bedürfnisse – Corona war für HCPs ein wahrer Stresstest, aber eben auch Gelegenheit und Notwendigkeit, die eigenen Prozesse, Prioritäten und Präferenzen neu zu ordnen. Für den Außendienst gilt es jetzt, ganz zu neu zu verstehen, was die von Ihnen betreuten Ärzt:innen eigentlich erwarten und benötigen: Nur rund 7% der HCPs sind derzeit „sehr zufrieden“ mit dem zur Verfügung gestellten Pharma-Content.
- Die neue Bedeutung der Effizienz
Auch die Pharma-Branche bleibt von übergreifenden politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen nicht verschont: Weltweit auftretende Konflikte, gesellschaftliche Spannungen und technologische Umwälzungen schaffen Unsicherheit, oder allgemein: Ein Klima, in dem die meisten Unternehmen sich mit Investitionen eher zurückhalten. Auch in der Pharma-Branche sehen wir daher seit geraumer Zeit einen erhöhten Fokus auf Effizienz, also darauf, die vorhandenen Ressourcen – eben und insbesondere auch in Sales und Marketing – besser zu nutzen.
In praktisch jedem Pharmaunternehmen ist dies die Aufgabe des Bereiches „Commercial Excellence“, der nun ebenfalls vor neuen Herausforderungen steht: Wie machen wir mehr aus neuen und bestehenden Kontakt-Kanälen, unterstützen die digitalen Prozesse der Ärzt:innen und Patient:innen und nutzen die vielfältigen neuen Daten, um mehr Umsatz mit geringerem oder zumindest gleichem Ressourceneinsatz zu erreichen?
- Die neue Bedeutung von Best Practices
Erschwerend kommt hinzu, dass der allgegenwärtige Fachkräfte-Mangel auch Pharmaunternehmen und ihre Sales-Organisationen hart trifft – mit einer ganz zentralen Auswirkung: Wir beobachten einen signifikant wachsenden Performance-Unterschied zwischen einzelnen Mitgliedern einzelner Teams – ebenso wie zwischen den Teams selbst. Umso mehr gewinnt das konsequente Erheben, Verfügbarmachen, Ausrollen und Weiterentwickeln von Best Practices im Außendienst an Bedeutung.
War Best-Practice-Sharing bisher ein wichtiges Commercial-Excellence-Werkzeug, um die Leistung erfolgreicher Sales-Teams weiter zu steigern, so wird Best-Practice-Sharing inzwischen zunehmend unabdingbar, um Außendienst-Teams überhaupt arbeitsfähig zu machen.
In drei Schritten zu neue Hebeln im Pharma-Außendienst
Pharmaunternehmen stehen also vor gleich drei Herausforderungen:
- Da sind neue, teils hoch-individuelle Bedürfnisse und Erwartungen bei HCPs.
- Da ist der wirtschaftliche Druck, die eigenen Ressourcen möglichst effizient zu nutzen.
- Und da ist die Herausforderung, all diese Insights in komplexen Sales-Organisationen auszurollen.
Wie umgehen mit diesen Herausforderungen?
Schritt 1: Eigene Best Practices verstehen
In vielen – selbst den besten – Sales-Organisationen ist das Wissen darüber, was im Außendienst funktioniert, asymmetrisch verteilt. Nicht zwingend auf Grund von „Silo-Denken“, sondern schlichtweg, weil das kontinuierliche Erheben, Aufbereiten, Verfügbarmachen und Weiterentwickeln von Best Practices ein komplexer Kraftakt sein kann.
- Nicht nur die Besten einbeziehen: Wer das Umsatz-Ranking anführt, ist am relevantesten für Best Practices, richtig? Sicher „auch“, aber sicher nicht „nur“: Wenn sich ein Mitglied eines Außendienst-Teams signifikant vom Rest des Teams absetzt, spricht das nicht selten auch für strukturelle Aspekte: Einer davon kann natürlich ein übermäßiges Engagement sein – aber eben auch z. B. besonders verschreibungswillige Ärzt:innen im HCP-Stamm dieser Mitarbeiter:innen, regionale Unterschiede oder schlicht der Umstand, dass diese Mitarbeiter:innen ihre HCPs schon deutlich länger betreuen und besser kennen. Beziehen Sie daher auch weitere Kolleg:innen mit ein, wenn es darum geht, Best Practices zu identifizieren.
- Einzelgespräche statt Gruppengespräche führen: In jedem Team finden Sie dominante und weniger dominante Menschen. Letztere gehen in einer Gruppendiskussion oft unter, obwohl sie wertvolle Einblicke zu Best Practices liefern können. Daher: Nehmen Sie sich die Extra-Zeit für Einzelgespräche, es lohnt sich.
- Externe Unterstützung nutzen: Greifen Sie auf externe Hilfe bei der Erhebung der Best Practices zurück. Damit ist nicht gleich eine spezialisierte Beratung gemeint – das funktioniert ebenso mit gut gebrieften Kolleg:innen aus anderen Teams oder Abteilungen. Warum? Weil Sie so zum einen eine externe, gegebenenfalls weniger team- oder betriebsblinde Perspektive einbeziehen und die einzelnen Mitarbeiter:innen im Zweifel außerdem ungezwungener kommunizieren können, wenn sie nicht unmittelbar mit direkten Kolleg:innen oder Vorgesetzten sprechen.
- Worst Practices einbeziehen: Für die Effizienz einer Sales-Organisation ist es mindestens genauso wichtig, das Richtige zu tun (Best Practices), wie das Falsche zu lassen (Worst Practices): Nutzen Sie die Chance, Ihre Außendienst-Mitarbeiter:innen in strukturierten Interviews auch danach zu befragen, was so gar nicht funktioniert – und warum. So ersparen Sie anderen und insbesondere neuen Mitarbeitern, bekannte Fehler erneut zu machen.
Schritt 2: HCPs neu verstehen
Wie wir bereits festgestellt haben, haben sich die Bedürfnisse der Verschreiber:innen signifikant verändert. Pharmaunternehmen müssen Ärzt:innen oft vollständig neu verstehen – neben den Basics („Wie stehen Verschreiber:innen zu meinen Produkten und denen meines Wettbewerbs“, „Was steht einer Verschreibung meines Produktes im Weg?“) sollten folgende zwei Perspektiven besonders sorgfältig betrachtet werden:
- HCP Digital Maturity: Zu verstehen, wo Verschreiber:innen bei ihrer Digitalisierung stehen, ist eine Holschuld jeder Sales-Organisation. Denn nur wer versteht, wie digital (oder analog) die relevanten Ärzt:innen arbeiten, wie sie zu digitalen Prozessen – und digitalen Therapeutika – stehen, was ihre Pläne sind und wo sie heute vielleicht auch schon an ihre Grenzen stoßen, kann nicht nur die eigene Kommunikation effizienter gestalten, sondern die eigene Rolle bzw. Wahrnehmung neu definieren: Von der Verkäufer:in zur Problemlöser:in.
- Patient:innen-Perspektive verstehen: Der Pharma-Außendienst ist Dienstleister für HCPs: Denn auch HCPs sind unmittelbar den Bedürfnissen, Ängsten und Trends ihrer Patient:innen ausgesetzt. Sales-Organisationen müssen verstehen, was das für sie bedeutet: Welche Patient:innen-Fragen müssen HCPs beantworten können? Was ist für Patient:innen im Verschreibungsprozess wichtig und warum? Ist ein Medikament vegan – und ist das von Bedeutung? Wie passt ein Medikament zu einer DiGA (einer digitalen Gesundheitsanwendung), wie beantrage ich die eigentlich und wer hilft mir im Zweifel weiter?
- Sobald erste Hypothesen zu Best Practices vorliegen, gilt es: Verproben. Denn nicht selten gibt es signifikante regionale Unterschiede und Besonderheiten – oder Verzerrungen im betrachteten HCP-Stamm. Ein etabliertes Mittel der Wahl, um solche Erkenntnisse zu gewinnen, sind sogenannte „Voice-of-Prescriber“ bzw. „Voice-of-Patient“-Studien, bei denen die nötigen Einblicke direkt vor Ort mit HCPs, Praxisteam und Patient:innen erhoben und verprobt werden können.
Schritt 3: Ergebnisse sichtbar machen – das Außendienst-Playbook
Rekapitulieren wir:
- Wir haben die Bedürfnisse der Verschreiber:innen identifiziert – und verstehen insbesondere auch, welche Bedürfnisse sie bei Ihren Patient:innen erfüllen müssen.
- Wir haben Best Practices in unserer Sales-Organisation oder einem einzelnen Team identifiziert.
- Wir haben diese Best Practices verprobt, um eine allgemeine Anwendbarkeit sicherzustellen.
Bleibt noch, diese Informationen so zu vereinen, aufzubereiten und verfügbar zu machen, dass sie für jede:n im Team verständlich und umsetzbar werden, z. B. in Form eines Außendienst-Playbooks.
Das gehört in ein Playbook:
- HCP-Profile – was bewegt unsere Verschreiber:innen, was erwarten Sie von uns und wie können wir ihnen helfen?
- Best Practices (Handlungsempfehlungen) – was funktioniert und warum?
- Kontext und konkrete Beispiele (anonymisiert) – Zur Veranschaulichung
- Giftschrank – welche Worst Practices kennen wir und sollten wir unbedingt vermeiden?
Ein solches Playbook sollte in einer oder mehreren Formfaktoren verfügbar gemacht werden, die für das jeweilige Team in der täglichen Außendienst-Arbeit am praktikabelsten nutzbar ist: Ob als Print, Smartphone- oder Tablet-gerechte, durchsuchbare Digitalversion, als Q&A und/oder als persönliches oder Gruppentrainingsprogramm – ganz abgestimmt auf die Bedürfnisse der Außendienst-Organisation.
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