Findet Pharma-Marktforschung nur noch online/virtuell statt?


Diese Frage scheint durch das Voranschreiten und die Durchdringung von KI fast obsolet zu sein.

Durch Daten soll der Durchblick in einem Segment, bei der Zielgruppe oder bei Ergebnissen effizient und ganz klar gestaltet werden. (Foto von Leif Christoph Gottwald auf Unsplash)

 

Und durch das in diesem Januar eingeführte E-Rezept und die in 2025 geplante ePA wird das deutsche Gesundheitssystem tatsächlich digitaler. Unbestritten ist, dass Daten wichtig sind. Nicht erst seit KI. Und je mehr Daten vorhanden sind, umso genauer können anvisierte Ergebnisse gemessen und überprüft werden.

Christian Bensing, Mitglied der Geschäftsführung von INSIGHT Health und General Manager für den Bereich Pharmaceutical Industry, betont, dass vor allem die Pharmaindustrie „ein großes Interesse an Marktforschung und datengetriebenen Analysen hat, um das Verhalten aller Akteure – allen voran das der Ärzte, Apotheken und Patienten – einsehen und verstehen zu können.“ In der Künstlichen Intelligenz sieht er „eine effiziente Ressource“ und „wichtige Unterstützung für die Marktforschung.“ Vielleicht auch logisch, dass er dennoch davon ausgeht, dass „korrekte Kontexte herzustellen, jedoch Aufgabe der Marktforschenden bleibt.“

Jörg Paus, Primary Intelligence Lead Germany & Austria, Commercial & Consulting Services EMEA, IQVIA, beobachtet, dass der Trend zur Digitalisierung mit COVID-19 nicht nur bei der B2B-Kommunikation an Bedeutung gewonnen hat. Auch die Marktforschung ist digitaler geworden. In der „neuen Normalität“ nehmen persönliche Kontakte aber ihren festen Platz ein; hybride Ansätze werden die Zukunft prägen, ist er überzeugt.

Pharma-Marktforschung: KI eröffnet neue Möglichkeiten

Bensing geht davon aus, „dass Innovationen wie KI neue Möglichkeiten eröffnen. Machine-Learning-Algorithmen und Künstliche Intelligenz ermöglichen die Erkennung von Datenmustern und sogar Handlungsempfehlungen im Sinne einer „Next Best Action“. Eine vertriebsorientierte Marktforschung ist somit u.a. dazu imstande, kontinuierlich Empfehlungen für die Außendienststeuerung eines Pharmaunternehmens zu liefern; und zwar unter Berücksichtigung der vorliegenden Daten und der definierten Zielsetzungen. Für ein tiefes Marktverständnis und die richtigen Entscheidungen braucht es aus meiner Sicht aber weiterhin Experten. Künstliche Intelligenz ist deshalb eine effiziente Ressource für das Aufbereiten großer Datenmengen und daher eine wichtige Unterstützung für die Marktforschung. Die richtigen Fragen zu stellen und korrekte Kontexte herzustellen, bleibt jedoch Aufgabe der Marktforschenden.“

Er meint zudem: „Eine derart gute Datenlage, wie sie in der ambulanten Gesundheitsversorgung vorliegt, findet man nur selten in den Schlüsselsektoren, etwa in den Zulassungsstatistiken der Automobilwirtschaft. Gerade deshalb haben Sekundärdaten in der pharmazeutischen Marktforschung einen so hohen Stellenwert und weisen im Gegensatz zur klassischen Primärforschung auch in Randbereichen bzw. Nischen die gleiche Validität und Zuverlässigkeit über die Versorgungsrealität auf. Objektivität ist an der Stelle über alle Bereiche hinweg gegeben.“

Gefragt danach, ob Pharma-Marktforschung vermehrt online stattfinden wird, antwortet er:

„... bezogen auf das E-Rezept, ist es ja zugegebenermaßen ein längst überfälliger Prozessschritt, der fortan digitalisiert ist. Die Frage ist also sicherlich breiter zu verstehen. Online lässt sich eine Vielzahl von Informationen generieren. So gibt es mittlerweile einige Online-Quellen und -Plattformen, in denen sich sowohl die Ärzte als auch die Patienten informieren, recherchieren und austauschen, und natürlich dabei Marktforschungsdaten im weiteren Sinne „hinterlassen“, z. B. Rezensionen oder Forenbeiträge. Auch unterstützt „Dr. Google“ die Online-Marktforschung, da Suchanfragen häufig das Fachpersonal, wie Ärztinnen bzw. Ärzte und das Apothekenpersonal, als erste Anlaufstelle für Erkrankte abgelöst hat. Der Austausch findet dort auch nicht mehr nur zwischen Patienten und medizinischem Fachpersonal statt, sondern auch – und sogar mit einem erstaunlich hohen Detaillierungsgrad – unter online affinen Patientengruppen. Ich halte es für wichtig, die dort verfügbaren Insights in die Marktforschung mit einzubeziehen. Diese Informationen sind häufig frei verfügbar. Gleichwohl haben diese Informationen ein Bias, den es in der Marktforschung zu beachten gilt. Auch Befragungen von Fokusgruppen müssen übrigens nicht mehr ausschließlich als Präsenz-Session umgesetzt werden, dies geht auch mittlerweile online. Und digital? Na klar, ich kann mich nicht erinnern, wann ich zuletzt einen Papierfragebogen ausgefüllt habe.“

Pharma-Marktforschung: Transformation und persönliche Kontakte

Jörg Paus ordnet ein:

„Die quantitative Marktforschung konzentriert sich auf die Erhebung von Daten mittels standardisierter Forschungsfragen, um statistische Analysen durchzuführen und um Muster, Trends und Beziehungen in Daten zu identifizieren. Die Onlinebefragung hat sich dabei schon seit vielen Jahren als vorherrschende Datenerhebungsmethode etabliert; persönliche quantitative Interviews finden – wenn überhaupt – nur noch bei sehr speziellen Fragestellungen statt. 

Der Trend, vermehrt auf digitale Tools statt auf klassische Face-to-Face-Instrumente zu setzen, hat sich in den letzten Jahren immens beschleunigt. Persönliche Interviews und Face-to-Face-Fokusgruppen waren währende der COVID-19-Pandemie zeitweise nicht möglich. Viele Unternehmen haben deshalb ihre technische Entwicklung forciert und ihre Transformation der Marktforschung vorangetrieben. Face-to-Face-Kontakte wurden digital. Und statt eines persönlichen Interviews gab es Videocalls. Auch Diskussionen mit Fokusgruppen ließen sich per Online-Meeting durchführen.“

Virtuelle Ansätze und Echtzeitdaten

Und Paus führt noch weiter aus:

„Die Pharma-Marktforschung hat sich in vielen Bereichen stark verändert. Virtuelle Ansätze auf Grundlage von Echtzeitdaten gewinnen zunehmend an Bedeutung. So bietet etwa das Social-Media-Listening neue Blickwinkel auf Patienten und auf Healthcare-Professionals. Unverfälschte Aussagen mit ungefilterter Emotionalität lassen sich in sozialen Netzwerken über Produkte und Dienstleistungen gewinnen, die es so bei klassischer Herangehensweise kaum gibt. Durch die kombinierte Analyse von Online-Verhaltensweisen, von sozialen Medien und von elektronischen Gesundheitsakten gewinnen Firmen neue, wertvolle Erkenntnisse.

Pharmazeutische Unternehmen erkennen auch immer stärker die Bedeutung der Patientenperspektive – bei Forschung und Entwicklung, aber auch bei der Nutzenbewertung. Mit E-Health-Tools, mobile Apps und Wearables gelingt es, Daten direkt zu erfassen und – früher oder später, mit Unterstützung durch Algorithmen der künstlichen Intelligenz – auszuwerten.“

 

Das gesamte Interview mit Christian Bensing und den kompletten Expertenbeitrag von Jörg Paus zum Thema Pharma-Marktforschung lesen Sie in der März-Ausgabe des PM—Report.

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