In der Studie wird betont, dass der Arbeitskräftemangel schon heute eine Wachstumsbremse ist. Und die Herausforderungen werden in den kommenden Jahren weiterwachsen. Im Wettbewerb um die fähigsten Köpfe werden sich deshalb die Unternehmen mit den besten Arbeitsbedingungen durchsetzen. (Foto von Jonny Clow auf Unsplash)
Wie groß die Lücken sind, was deren Folgen für die Branche sind und welche Auswege es gibt, hat das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in einer Studie im Auftrag des Verbandes der forschenden Pharma-Unternehmen (vfa) analysiert.
Einige Ergebnisse im Überblick:
- Bundesweit gab es im Jahr 2023 in pharmarelevanten Berufen durchschnittlich knapp 460.000 offene Stellen.
- Werden diesen offenen Stellen alle im selben Zeitraum verfügbaren Arbeitslosen mit passender Qualifizierung gegenübergestellt, fehlten rein rechnerisch 176.000 Arbeitslose, um alle offenen Stellen besetzen zu können.
- Damit gab es für knapp vier von zehn offenen Stellen im Jahr 2023 deutschlandweit keinen passend qualifizierten Arbeitslosen.
- Knapp 89.000 oder rund die Hälfte dieser rechnerisch nicht besetzbaren Stellen richtete sich dabei an beruflich qualifizierte Fachkräfte, gut 65.000 an akademisch ausgebildete Experten und knapp 22.000 an Spezialisten mit Fortbildungs- oder Bachelorabschluss.
- Der Fachkräftemangel in den pharmarelevanten Berufen hat im vergangenen Jahrzehnt stark zugenommen – zunächst stetig im Zuge der guten konjunkturellen Lage zwischen den Jahren 2014 und 2018, um dann nach einem kurzzeitigen Rückgang der Fachkräftelücke zu Beginn der Corona Pandemie im Jahr 2020 nahezu sprunghaft anzusteigen. Die Fachkräftelücke ist aktuell fast viermal so groß wie noch vor zehn Jahren.
- Über die Hälfte der insgesamt 176.000 rechnerisch fehlenden qualifizierten Arbeitskräfte betreffen pharmarelevante Produktionsberufe, wie beispielsweise die elektrische Betriebstechnik, die Mechatronik oder Automatisierungstechnik.
- Mit weitem Abstand folgt das Berufsfeld „Unternehmenssteuerung“ mit rechnerisch 34.601 fehlenden Arbeitskräften; dies entspricht 20% der gesamten Fachkräftelücke in pharmarelevanten Berufen.
- In der „IT“ konnten 26.992 offene Stellen rechnerisch nicht mit passend qualifizierten Arbeitslosen besetzt werden, so dass auf dieses Berufsfeld 15% der gesamten Fachkräftelücke in pharmarelevanten Berufen entfiel.
- In der „Produktion“ ist die Stellenbesetzung unabhängig vom Anforderungsniveau der zu besetzenden Stelle schwierig – am geringsten ist die Stellenüberhangsquote hier bei Stellen für Spezialisten mit 58%, am höchsten bei Stellen für Experten mit 77%.
- Im Berufsfeld „Handel und Vertrieb“ können auf allen Anforderungsniveaus jeweils rund zwei von zehn offenen Stellen rechnerisch nicht adäquat besetzt werden.
- Im Bereich „IT“ und der „Unternehmenssteuerung“ konzentrieren sich die Stellenbesetzungsschwierigkeiten primär auf hoch qualifizierte Experten, während in der „Forschung und Entwicklung“ vor allem offene Stellen für beruflich qualifizierte Fachkräfte schwierig zu besetzen sind.
- Im Vergleich zum Jahr 2013 hat sich die Stellenüberhangsquote in jedem der betrachteten Berufsfelder auf nahezu jedem Anforderungsniveau erhöht.
In der IW-Studie werden zentrale Handlungsfelder aufgezeigt
Ein Schlüssel besteht darin, das vorhandene Fachkräftepotenzial in Deutschland besser auszuschöpfen. Dies betrifft insbesondere:
- Frauen, die derzeit in vielen MINT-Berufen noch unterrepräsentiert sind. Durch bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie sowie flexible Arbeitsmodelle können mehr Frauen in Vollzeit beschäftigt werden.
- Ältere Beschäftigte, die länger im Erwerbsleben gehalten werden müssen, indem Unternehmen flexible Modelle zur Verlängerung der Erwerbsphase über das Rentenalter hinaus anbieten.
- Geringer qualifizierte Arbeitskräfte, die durch gezielte Nachqualifizierungen für anspruchsvollere Aufgaben in der Pharmaindustrie fit gemacht werden können.
- Technologischer Fortschritt bietet erhebliche Chancen, die Auswirkungen des Fachkräftemangels zu dämpfen. Automatisierung und Digitalisierung können sich wiederholende Aufgaben übernehmen und gleichzeitig die Produktivität steigern. Durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) können beispielsweise Prozesse in der Forschung und Entwicklung beschleunigt und die Markteinführung neuer Medikamente schneller vorangetrieben werden.
- Damit dies gelingt, können Investitionen in die Digitalisierung sicherstellen, dass Mitarbeitenden die nötigen digitalen Fähigkeiten entwickeln. Gleichzeitig ist es entscheidend, dass die Politik die notwendige digitale Infrastruktur bereitstellt.
- Der Zuzug qualifizierter Fachkräfte aus dem Ausland wird eine entscheidende Rolle spielen, um die Fachkräftelücke zu schließen. Allerdings bremsen hier bürokratische Hürden. Es braucht daher effiziente und zentrale Anlaufstellen, die Unternehmen bei der Anwerbung internationaler Talente unterstützen.
- Neben der Erwerbsmigration sollten die Potenziale von internationalen Studierenden und Auszubildenden besser genutzt werden. Schon heute kommen viele internationale Studierende nach Deutschland, vor allem in MINT-Studiengänge. Es ist wichtig, die jungen Talente stärker zu fördern und besser in den Arbeitsmarkt zu integrieren.
Appell an die Politik, zu handeln
So betont Francesco Grioli, IGBCE-Vorstandsmitglied, dass „wir nur durch gemeinsames Handeln von Wirtschaft, Politik und Gewerkschaften der Transformation der Industrie und den demografischen Entwicklungen erfolgreich begegnen und sicherstellen können, dass Schlüsselindustrien, wie die Pharmabranche, auch zukünftig in Deutschland wettbewerbsfähig bleiben.
Das gelingt nur mit einer Offensive für ,Gute Arbeit‘, mit mehr Ausbildung und mit lebenslangem Lernen. Voraussetzung dafür sind gefestigte Mitbestimmungsstrukturen, sich kontinuierlich weiterentwickelte Tarifverträge und gelebte Sozialpartnerschaft. Deutschlands wichtigste Rohstoffe liegen in den Köpfen und Händen. Fachkräfte entwickeln, gewinnen und binden müssen wir zur obersten Priorität machen.“
Han Steutel, Präsident des vfa, sieht „die harmaindustrie vor großen Chancen, aber auch Herausforderungen (stehen). Um die Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit des Pharmastandorts Deutschland zu sichern, müssen wir alle Fachkräftepotenziale ausschöpfen, Produktivität steigern und gezielt Fachkräfte aus dem Ausland gewinnen. Alle Beteiligten sollten zudem noch besser darüber nachdenken, wie wir gut qualifizierte Menschen aus anderen Branchen für die Schlüsselindustrie Pharma gewinnen können. Der Quereinstieg hat enormes Potenzial und ist vor allem auch eine Chance für jene, die sich heute mit dem Strukturwandel konfrontiert sehen.“
Grafik: IW
Grafik: IW
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