
Die EU will Wasser sauberer und gesünder machen. Die Viertbehandlung wird aber zusätzliche Kosten verursachen. (Foto von Anderson Rian auf Unsplash)
Die Europäische Union hat die Behandlung von kommunalem Abwasser neu geregelt.* Demnach soll eine vierte Reinigungsstufe aufgebaut werden, deren Kosten zum großen Teil von der Pharma- und Kosmetikindustrie getragen werden sollen. Gegen die Kommunale Abwasserrichtlinie (KARL) haben jetzt einige Pharmafirmen beim Europäischen Gerichtshof Klage eingereicht.
Kommunales Abwasser: Neue EU-Regelung
Die EU will Wasser sauberer und gesünder machen. Bereits die Richtlinie 91/271/EWG hatte das Ziel, die Umwelt vor einer Beeinträchtigung durch Einleitungen von unzureichend behandeltem kommunalen Abwasser zu schützen.
Mit der Ende 2024 verabschiedeten Richtlinie 2024/3019 will die EU die Abwasserrichtlinie an den Green Deal angleichen und das Problem der Mikroverunreinigungen berücksichtigen. Eine wichtige Maßnahme dafür ist die Modernisierung kommunaler Abwasserbehandlungsanlagen:
„Obgleich bei der Erst-, Zweit- und Drittbehandlung bereits einige Mikroschadstoffe entfernt werden, sollte eine zusätzliche Behandlung, d. h. eine Viertbehandlung, eingeführt werden, um sicherzustellen, dass ein breites Spektrum der verbleibenden Mikroschadstoffe aus dem kommunalen Abwasser entfernt wird.“
Eine 4. Reinigungsstufe wird kommen
Die Viertbehandlung wird, so sieht es die EU, zusätzliche Kosten verursachen. Für die EU ist klar, wer diese Kosten tragen soll: „…im Einklang mit dem in Artikel 191 Absatz 2 AEUV verankerten Verursacherprinzip ist es von wesentlicher Bedeutung, dass die Hersteller, die in der Union Produkte in Verkehr bringen, die Stoffe enthalten, die am Ende der Lebensdauer des Produkts als Mikroschadstoffe in das kommunale Abwasser gelangen, Verantwortung für die zusätzliche Behandlung übernehmen, die erforderlich ist, um diese im Rahmen ihrer geschäftlichen Tätigkeit angefallenen Stoffe zu entfernen. Ein System der erweiterten Herstellerverantwortung ist das am besten geeignete Mittel, um dies zu erreichen, …
In diesem Zusammenhang sollte die erweiterte Herstellerverantwortung unabhängig davon gelten, ob die Produkte in Verkehr gebracht werden, ob ihre einzelnen Komponenten in einem Mitgliedstaat der Union oder in einem Drittland hergestellt worden sind oder ob die Hersteller über einen Sitz in der Union verfügen oder das Produkt über eine digitale Plattform in Verkehr gebracht worden ist. Arzneimittel und kosmetische Rückstände stellen derzeit die Hauptquellen für Mikroschadstoffe im kommunalen Abwasser dar, die eine Viertbehandlung erforderlich machen. Daher sollte die erweiterte Herstellerverantwortung für diese beiden Produktgruppen gelten.“
(Anmerkung der Redaktion: Die EU-Kommission geht davon aus, dass über 80% der im Abwasser vorgefundenen Mikroschadstoffe durch Pharmazeutika und Kosmetika verursacht werden.)
Klage gegen erweiterte Herstellerverantwortung
Und genau um diese erweiterte Herstellerverantwortung** geht es in der Klage der Pharmaunternehmen Accord, Fresenius Kabi, Sandoz, Teva, Viatris und Zentiva mit Unterstützung von Pro Generika. Das Ziel der Klage sei es, „eine, diskriminierende und unverhältnismäßige Kostenbelastung zu vermeiden und so den Zugang zu lebenswichtigen Medikamenten zu sichern.“
Pro Generika warnt, dass Generika-Hersteller einen Großteil der Kosten übernehmen müssten. Obwohl es im Abwasser nicht um Produktionsabfälle der Pharmaindustrie gehe, da die Herstellung bereits strengen Umweltauflagen unterliege, sondern vielmehr um die Arzneimittelrückstände aus Ausscheidungen von Patientinnen und Patienten.
Außerdem kritisiert der Verband, dass eine vierte Klärstufe auch Rückstände aus kommunalem Abwasser herausfiltert, die nicht nur aus Arzneimitteln und Kosmetika, sondern auch aus verschiedenen industriellen oder landwirtschaftlichen Quellen stammen. Und: Das Prinzip der erweiterten Herstellerverantwortung, das Anreize für die Entwicklung „umweltfreundlicherer” Arzneimittel schaffen soll, ignoriere „völlig die Besonderheit von Arzneimitteln, bei denen eine Neugestaltung des Produkts nicht durchführbar ist, ohne die Wirksamkeit zu beeinträchtigen und eine neue Zulassung zu benötigen.“
Mit seiner Kritik steht Pro Generika allerdings nicht allein. Bereits 2022 hat der BAH Bundesverband der Arzneimittelhersteller, heute Pharma Deutschland, bemängelt: „Die grundlegende Einschätzung der EU-Kommission, nach der ‚Humanarzneimittel und Körperpflegeprodukte die beiden Hauptverursacher schädlicher Mikroverunreinigungen‘ seien, lässt sich durch wissenschaftliche Studien nicht begründen.“
Weil die Anwendung von Arzneimitteln für die gesamte Gesellschaft von Nutzen sei, „sollten grundsätzlich die Folgen der Arzneimittelverwendung von der gesamten Gesellschaft getragen werden“.
Die forschenden Pharma-Unternehmen vfa moniert, dass „die Verengung auf nur zwei Branchen den im EU-Recht verankerten Gleichheitsgrundsatz verletzt“ und „weitgehend das zu den wichtigsten Grundsätzen des EU-Umweltrechts gehörende Verursacherprinzip“ missachte. Darüber hinaus verletze die Verengung auf nur zwei Branchen den im EU-Recht verankerten Gleichheitsgrundsatz.
EPR: Extended Producer Responsibility
Die erweiterte Herstellerverantwortung (Extended Producer Responsibility, EPR) existiert allerdings bereits in anderen Bereichen. Mit der EPR sollen Hersteller und Vertreiber in die Verantwortung für die gesamte Lebensdauer ihrer Produkte, insbesondere für Entsorgung und Recycling, genommen werden. Das gilt in Deutschland und Europa durch gesetzliche Vorschriften geregelt vor allem für Verpackungen, Verpackungsabfälle, Elektro- und Elektronikgeräte sowie Batterien.
Es gibt auf verschiedenen Ebenen durchaus Bestrebungen, EPR-Modelle auf weitere Produktkategorien auszudehnen. Bei der EU beispielsweise auch auf Arzneimittel. Die WHO unterstützt die Idee, dass Hersteller auch von Arzneimitteln eine Verantwortung für die gesamte Lebensdauer ihrer Produkte übernehmen sollen. Und Organisationen wie Greenpeace, WWF, Health Care Without Harm, European Environmental Bureau (EEB) sowie Pharmaceutical Waste Management Coalition treten für eine umfassendere Verantwortung der Pharmahersteller bei der Reduzierung der Umweltbelastungen durch Arzneimittel ein.
Hohe Kostenbelastung
Pro Generika sieht enorme Ausgaben auf die Firmen zukommen. Da sich die Gebühr für die 4. Klärstufe nach dem Volumen der Arzneimittel richte, würden Generika-Hersteller mit einem Anteil von 80% der in Deutschland benötigten rezeptpflichtigen Arzneimittel besonders belastet. Die Nachrüstung der Kläranlagen soll nach Schätzungen der EU-Kommission jährlich etwa 3,8 Mrd. Euro kosten.
Ein viel zu niedriger Ansatz, meint Pro Generika. Laut einer Modellrechnung dürften die Kosten eher zwischen 5 und 11 Mrd. Euro pro Jahr rangieren. Das Bundesumweltamt schätze den Aufwand allein für Deutschland auf rund 1 Mrd. Euro pro Jahr. Laut Berechnungen des Marktforschungsinstituts IQVIA würden dadurch die Herstellungskosten in Deutschland z. B. für das Antibiotikum Amoxicillin um bis zu 116% und die des Diabetesmittel Metformin um bis zu 446% steigen. Auch der vfa warnt vor „negativen Auswirkungen auf die Arzneimittelversorgung.“
Verunreinigte Gewässer: ein wachsendes Problem
Fraglos stellt die Verunreinigung der Umwelt und insbesondere der Gewässer durch Ausscheidungen oder unsachgemäße Entsorgung von Human- aber auch Tierarzneimitteln eine große Herausforderung dar. Im Januar 2025 meldete das Umwelt Bundesamt:
„Bis 2020 wurden bei Untersuchungen in 89 Ländern weltweit 992 pharmazeutische Wirkstoffe und deren Abbauprodukte oberhalb der Nachweisgrenze in Böden, Oberflächengewässern und Sedimenten gemessen, das sind 221 Wirkstoffe mehr als 2016. In der Umwelt in Deutschland sind es mit 414 Arzneiwirkstoffen inklusive deren Abbauprodukte 145 mehr als noch 2016. Besonders häufig werden Substanzen aus diesen Wirkstoffklassen nachgewiesen: jodierte Röntgenkontrastmittel, Epilepsie-Medikamente, speziell Carbamazepin, schmerz- und entzündungshemmende Arzneimittel, insbesondere Diclofenac und Ibuprofen. Antibiotika, insbesondere Sulfamethoxazol, Cholesterinsenker und Blutdrucksenker.“ Mit der Zunahme der alternden Bevölkerung wird sich die potenzielle Gefahr eher noch steigern.
Die möglichen Gefahren für Menschen und Tieren werden von vielen als bedrohlich eingeschätzt. Das Umwelt Bundesamt warnt, dass „biologisch hochaktive Stoffe, die gezielt in den Regelungsmechanismus von Organismen eingreifen“ und dort „zum Beispiel den Stoffwechsel beeinflussen, das hormonelle Gleichgewicht verschieben oder die Signalübertragung von Zelle zu Zelle verändern“ können. Doch wie groß das Risiko tatsächlich ist, lässt sich laut Umwelt Bundesamt bisher kaum genau bestimmen: „Für viele Arzneistoffe ist das Ausmaß der Risiken vor allem wegen fehlender Daten zur Wirkung und fehlender Langzeituntersuchungen nicht genau abzuschätzen.“
Vor einer unverhältnismäßigen Kostenbelastung bei der Behandlung des Abwassers warnt Pro Generika. Geschäftsführer Bork Bretthauer: „Die ‚Kommunale Abwasserrichtlinie‘ hat ein wichtiges Ziel – sauberes Wasser. Doch ohne eine kluge Finanzierungsstrategie gefährdet sie unbeabsichtigt die Medikamentenversorgung in Europa bzw. Deutschland.“
Quellen:
*RICHTLINIE (EU) 2024/3019 DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 27. November 2024 über die Behandlung von kommunalem Abwasser (https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=OJ:L_202403019)
** Artikel 9
Erweiterte Herstellerverantwortung
(1) Die Mitgliedstaaten treffen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass die Hersteller, die eines der in Anhang III aufgeführten Produkte in Verkehr bringen, bis zum 31. Dezember 2028 die erweiterte Herstellerverantwortung übernehmen.
Mit diesen Maßnahmen soll sichergestellt werden, dass diese Hersteller folgende Kosten übernehmen:
a) mindestens 80 % der Gesamtkosten für die Erfüllung der Anforderungen gemäß Artikel 8, einschließlich der Investitionen und Betriebskosten für die Viertbehandlung zur Entfernung von Mikroschadstoffen, die sich aufgrund der von ihnen in Verkehr gebrachten Produkte und den Rückständen dieser Produkte im kommunalen Abwasser befinden, und für die in Artikel 21 Absatz 1 Buchstabe a genannte Überwachung von Mikroschadstoffen,
b) die Kosten für die Erhebung und Überprüfung von Daten über in Verkehr gebrachte Produkte und
c) sonstige Kosten, die im Rahmen der Wahrnehmung ihrer erweiterten Herstellerverantwortung anfallen.
ANHANG III
LISTE DER PRODUKTE, DIE UNTER DIE ERWEITERTE HERSTELLERVERANTWORTUNG FALLEN
1. Humanarzneimittel, die in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates fallen
2. Kosmetische Mittel, die in den Anwendungsbereich der Verordnung (EG) Nr. 1223/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates fallen.
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