Daten zu Seltenen Erkrankungen: Eine Herausforderung


Geht es um die Arzneimittelentwicklung für Menschen mit Seltenen Erkrankungen (SE) sind besondere Schwierigkeiten zu überwinden. Die Digitalisierung kann hier helfen, Stichwort Real-World-Daten.

Screenshot Springer Link

Drei Positionen 

Welche Verbesserungen dabei durch eine zunehmende Digitalisierung erwartet werden, beleuchten drei Expert:innen von diesen Institutionen: Frauke Naumann-Winter vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), Thomas Kaiser vom Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) und Antje Behring vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA).

Um einen Aspekt des Fazits vorwegzunehmen: Die Autor:innen sind davon überzeugt, dass digitale Indikationsregister helfen können. Das sei zwar ein ziemlicher Kraftakt von Seiten der Unternehmen - finanziell und organisatorisch - aber ein Investition in gutes Wissen würde sich lohnen. 

Die Rolle der Digitalisierung

In ihrem Beitrag “Evidenzbasierte Arzneimittelversorgung bei Seltenen Erkrankungen: die Rolle der Digitalisierung” geben sie zu bedenken: “Überall und jederzeit werden neu diagnostizierte und prävalente Patient*innen ihr gesamtes Leben lang medizinisch versorgt. Angesichts der vielen Fragen, die es für eine optimale Behandlung mit einem bekannten oder neuen Therapieansatz zu beantworten gäbe, haben die während der Versorgung erhobenen bzw. erhebbaren Daten sehr großes Potenzial, das Wissen über –und damit auch Behandlungsansätze für – die oft unverstandenen Seltenen Erkrankungen (SE) zu verbessern… Versorgungsnah erhobene Gesundheitsdaten, sogenannte Real-World-Daten, haben das Potenzial, Ergebnisse aus der klinischen Forschung wertvoll zu ergänzen, solange relevante Daten adäquat erhoben werden. Adäquat bedeutet hier – auch in Abhängigkeit von der konkreten Fragestellung – eine verlässliche, vollständige und nachvollziehbare Datenerhebung im Rahmen eines angemessenen Studiendesigns. Dazu gehört auch die methodisch sachgerechte Auswertung der Daten.”

Die Position des BfArM ist dazu u.a.:

“Register können sowohl im Vorfeld wertvolle Daten zur Studienplanung beisteuern als auch für den Zeitraum nach der Zulassung beauflagt werden, um konkrete Unsicherheiten im Nutzen-Risiko-Verhältnis zu adressieren. Das Wissen um den natürlichen Krankheitsverlauf kann u. a. eine valide Fallzahlplanung und die Festlegung einer geeignete Studiendauer ermöglichen bzw. kann es die Grundlage für die Erhebung gängiger Behandlungsmuster oder Ereignisraten in Untergruppen bilden und ggf. die Extrapolation von Studienergebnissen begründen. Systematisch, vollständig und qualitätsgesicherte Daten aus der Versorgung könnten dazu beitragen, den Surrogatcharakter eines Biomarkers näher zu beleuchten. Der Aufwand für die Gründung eines Registers oder auch nur die Planung einer effizienten Studie in einem bestehenden Register sollte jedoch nicht unterschätzt werden.”

Oft unzureichende Evidenz

Das IQWiG findet, dass bei Orphan Drugs die Evidenz für Therapieentscheidungen oft unzureichend ist. Und das Institut fragt deswegen: Wie kann Digitalisierung dabei helfen, diesen Evidenzmangel zu beheben? 

Die Antwort lautet u.a.: “Digitalisierung sollte dazu beitragen, die organisatorischen und finanziellen Hürden bei der Durchführung hochwertiger, versorgungsnaher Studien bei Orphan Drugs abzubauen. Dazu gehören insbesondere registerbasierte RCTs (RRCTs).” Und: “Hochwertige Evidenz sollte nicht erst nach der Zulassung, sondern bereits während des Zulassungsprozesses generiert werden, damit die für Therapieentscheidungen notwendige Evidenz zum Zeitpunkt des Marktzugangs, mindestens aber verlässlich kurz danach, vorliegt.”

Weiter führt das IQWiG aus: “Digitalisierung und versorgungsnahe Daten sind jedoch nicht per se hilfreich, sie müssen sinnvoll eingesetzt werden, damit die Evidenzbasis für Therapieentscheidungen wirklich verbessert wird… Aus Sicht des IQWiG spricht nichts gegen eine beschleunigte evidenzbasierte Versorgung, aber es spricht sehr viel gegen eine beschleunigte Zulassung ohne relevante Evidenz für die Versorgung…

Es ist daher notwendig, mit Hilfe der Digitalisierung zum Zwecke der Evidenzgenerierung für Orphan Drugs eine hochwertige Datenplattform aufzubauen und diese für die Evidenzgenerierung bereits vor Zulassung zu nutzen. Dazu gehört auch, dass organisatorische und finanzielle Hürden zur Nutzung dieser Datenplattform für interventionelle, versorgungsnahe Studien (z. B. RRCTs) abgebaut werden, also eine entsprechende Forschungskultur unterstützt wird. Die Datenplattform muss, ausgestattet mit einem Basisdatensatz, fragestellungsbezogen erweiterbar sein, um die unterschiedlichen Informationsbedarfe für die verschiedenen Erkrankungen abzudecken. Idealerweise sollten bereits die Zulassungsstudien unter Verwendung dieser Datenstruktur durchgeführt werden, um die Langzeitnachbeobachtung nach Abschluss der ursprünglichen Studie zu ermöglichen. Vergleichende Studien sollten, unabhängig von den Anforderungen an die Zulassung, noch während des Zulassungsverfahrens begonnen und vor Erteilung der Zulassung vollständig rekrutiert werden.”

Orhan Drugs: Besondere Herausforderung

Der G-BA gibt zu, dass “bei der Nutzenbewertung von Orphan Drugs der G‑BA vor der besonderen Herausforderung steht, dass graduierte Feststellungen zum Zusatznutzen häufig ohne Vergleich und auf Basis einer sehr unsicheren Erkenntnislage getroffen werden müssen.”

Der Vorschlag lautet: “Damit eine anwendungsbegleitende Datenerhebung für die Nutzenbewertung verwertbar ist, sollten von allen Beteiligten Anstrengungen unternommen werden, eine gleichförmige, vollständige Dokumentation der relevanten Endpunkte für alle Patient*innen sicherzustellen, unabhängig von deren Therapie. Ansonsten sind die Datensätze bereits durch die Unterschiedlichkeit und Unvollständigkeit der Dokumentation verzerrt und nicht auswertbar. Um die Vorteile der Digitalisierung und strukturierten Dateneingabe zu nutzen, sind Vorgaben in Registerprotokollen zur Standardisierung der Datenerfassungen sowie zu Art und Umfang einer Informationsübertragung, z. B. aus Krankenakten, erforderlich. Beispielsweise können Confounder-Analysen in Bezug auf Patientencharakteristika ohne Standardisierung und einheitliche Operationalisierung der Begrifflichkeiten für alle Anwender im Register nicht bewertet und ausgewertet werden. Neben der Planung eines Registers selbst sind die Registerstudien und deren statistische Auswertungen – analog zum Aufsetzen anderer klinischer Studien – mittels Protokoll zu planen. Die Erstellung eines statistischen Analyseplans in Kenntnis der Ergebnisse der Registerdaten stellt eine Unabhängigkeit der Auswertungen in Frage.”

Fazit

“… bei allen Unterschieden lassen sich auch wichtige Gemeinsamkeiten der beteiligten Institutionen feststellen. Dazu gehört insbesondere die Art der Daten(‑Plattform), die mit Hilfe der Digitalisierung erreicht werden sollen: qualitativ hochwertige Indikationsregister, und zwar als stehende Infrastrukturen, damit bereits früh in der Entwicklung von Arzneimitteln für SE auf hochwertige Daten zurückgegriffen werden kann. 

Dadurch kann auch die Effizienz jedes einzelnen Schrittes des oft langen Weges einer Arzneimittelentwicklung gesteigert werden. Dies ist nicht einfach umsetzbar und mit entsprechenden finanziellen wie organisatorischen Investitionen verbunden. Die ungünstigere Alternative ist jedoch, weiterhin in vielen Bereichen unwissend zu bleiben oder Wissen erst dann zu generieren, wenn es im Grunde kaum noch benötigt wird, weil schon der nächste Entwicklungsschritt ohne ausreichendes Wissen die Versorgung prägt. Es lohnt sich also, in gutes Wissen für eine bessere Versorgung zu investieren.”

Das Abstract finden Sie hier.

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