„Eine Revolution“ in den Krankenhäusern


Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach kritisiert: „Momentan werden zu oft Mittelmaß und Menge honoriert. Künftig sollen Qualität und Angemessenheit allein die Kriterien für gute Versorgung sein.“ Dafür legt sein Ministerium ein Krankenhauskonzept vor.

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach twittert gerne seine neuen Vorsätze.

 

Dem Deutschlandfunk gegenüber sagte er gestern (6.12.), dass Fallpauschalen in Krankenhäusern ein systematischer Anreiz dafür seien, dass dort zu viel gemacht, aber an der Qualität gespart werde. Er sprach von einer „Revolution“, die es nun bräuchte.

Weiter gab er im Interview zu, dass „vieles in den Krankenhäusern ineffizient ablaufe. So gäben viele Einrichtungen Geld aus, das sie nicht ausgeben müssten. Wenn etwa Behandlungen nur abgerechnet werden könnten, wenn sie stationär vorgenommen werden und nicht ambulant, dann habe ein Krankenhaus mehr Arbeit, bekäme aber nicht mehr Geld. Das Gleiche gelte, wenn Eingriffe getätigt würden, die nicht unbedingt medizinisch notwendig seien, nur damit das Krankenhaus überleben könne. Insgesamt brauche man in den Krankenhäusern zwar auch mehr Personal. Aber vor allem komme es auf eine Struktur an, die dazu beitrage, dass die Beschäftigten gerne in den Krankenhäusern arbeiteten und sich auf die Medizin konzentrieren könnten.“

Weniger Ökonomie, mehr Medizin

Mit einem Krankenhauskonzept soll genau das erreicht werden. Das Motto lautet „Weniger Ökonomie, mehr Medizin“. Eine 17-köpfige „Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung“ hat es ausgearbeitet. Demnach sollen die Kliniken nach drei neuen Kriterien honoriert werden: Vorhalteleistungen, Versorgungsstufen und Leistungsgruppen. Das Fallpauschalensystem müsse entsprechend weiterentwickelt werden.

„Um die Bedeutung der Krankenhäuser für die Daseinsvorsorge zu unterstreichen und um den wirtschaftlichen Druck auf möglichst viele Behandlungsfälle zu senken, empfiehlt die Regierungskommission, künftig einen festen Betrag als Vorhaltekosten zu definieren, den Krankenhäuser – je nach ihrer Zuordnung (siehe Punkte 2 und 3) – erhalten. Damit wird wirtschaftlicher Druck von den Krankenhäusern genommen,“ heißt es von der Kommission.

Kritik folgt prompt

Das Konzept geht nicht weit genug für den Verband der Ersatzkassen e. V. (vdek): „Der große Wurf ist Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach nicht gelungen. Der Minister hat viele Fehler in der Krankenhausbehandlung richtig benannt, es folgen aber nur zum Teil richtige Schritte daraus. Er hält weiterhin am System der Fallpauschalen fest, auch wenn er es etwas abspeckt: Nach seinen Plänen sollen nur noch 60 Prozent durch das Leistungsbudget nach dem bisherigen Fallpauschalensystem bezahlt werden. Die restlichen 40 Prozent der Krankenhausvergütung sollen durch ein sogenanntes Vorhaltebudget abgedeckt werden.

Richtig ist, bestimmte Bereiche, wie die Notfallmedizin, die Intensivmedizin oder die Geburtshilfe von dieser Regelung in größerem Umfang auszunehmen. Wie auch bei Krankenhäusern in der flächendeckenden Grundversorgung sollen hier die Fallpauschalen noch weniger eine Rolle spielen.

… Die Gesundheitsversorgung darf nicht länger am Gewinnstreben der Träger ausgerichtet sein. Maßstab aller ambulanten und stationären Behandlungen muss ausschließlich der gesundheitliche Bedarf der Patienten sein. Dafür braucht es eine große Reform, kein Herumdoktern am System. Die Fallpauschalen gehören abgeschafft. Die Vergütung darf nur der Selbstkostendeckung dienen.“

Der Kritisierte selber findet, dass das Konzept "eine Grundlage für unsere große Krankenhausreform sein wird. Patientinnen und Patienten sollen sich darauf verlassen können, dass sie überall, auch in ländlichen Regionen, schnell und gut versorgt werden sowie medizinische und nicht ökonomische Gründe ihre Behandlung bestimmen. Dafür müssen wir das Fallpauschalen-System überwinden. Wir haben die Ökonomie zu weit getrieben. Eine gute Grundversorgung für jeden muss garantiert sein und Spezialeingriffe müssen auf besonders gut ausgestattete Kliniken konzentriert werden. Momentan werden zu oft Mittelmaß und Menge honoriert. Künftig sollen Qualität und Angemessenheit allein die Kriterien für gute Versorgung sein."

Die Vorschläge in der Übersicht

1. Vergütung von Vorhalteleistungen

Derzeit erfolgt die Finanzierung von Krankenhausleistungen weitestgehend über Fallpauschalen (siehe Hintergrund unten). Fixkosten – wie das Vorhalten von Personal, einer Notaufnahme oder notwendiger Medizintechnik – müssen überwiegend ebenfalls über die Fallpauschale erwirtschaftet werden. Um die Bedeutung der Krankenhäuser für die Daseinsvorsorge zu unterstreichen und um den wirtschaftlichen Druck auf möglichst viele Behandlungsfälle zu senken, empfiehlt die Regierungskommission, künftig einen festen Betrag als Vorhaltekosten zu definieren, den Krankenhäuser – je nach ihrer Zuordnung (siehe Punkte 2 und 3) – erhalten. Damit wird wirtschaftlicher Druck von den Krankenhäusern genommen.

2. Definition von Krankenhaus-Versorgungsstufen (Leveln)

Die Krankenhausstrukturen in Deutschland sind historisch gewachsen. Jedes Krankenhaus unterhält unterschiedliche Fachabteilungen und bietet unterschiedliche Leistungen an. Künftig sollen Krankenhäuser in drei konkrete Level eingeordnet und entsprechend gefördert werden:

  • Grundversorgung – medizinisch und pflegerische Basisversorgung, zum Beispiel grundlegende chirurgische Eingriffe und Notfälle.
  • Regel- und Schwerpunktversorgung – Krankenhäuser, die im Vergleich zur Grundversorgung noch weitere Leistungen anbieten.
  • Maximalversorgung – zum Beispiel Universitätskliniken.

 

Für jedes Level sollen einheitliche Mindestvoraussetzungen gelten. Damit würden erstmals einheitliche Standards für die apparative, räumliche und personelle Ausstattung gelten – und damit die Behandlungsqualität für die Patientinnen und Patienten maßgeblich erhöht werden.  

Den Krankenhäusern des Levels I wird eine besondere Bedeutung zugemessen. Sie müssen flächendeckend eine wohnortnahe Versorgung garantieren. Sie werden daher unterteilt in Krankenhäuser, die Notfallversorgung sicherstellen (Level I n) und solche, die integrierte ambulant/stationäre Versorgung anbieten (Level I i). 

Krankenhäuser des Levels I i soll eine Schlüsselrolle auf dem Weg zur Überwindung der zu häufig noch stationärer-ambulant getrennten Gesundheitsversorgung zukommen. Deshalb empfiehlt die Regierungskommission, sie sektorenübergreifend regional zu planen, sie vollständig aus dem DRG-System herauszunehmen und über Tagespauschalen zu vergüten. Zudem soll durch entsprechende gesetzliche Änderungen ermöglicht werden, dass sie unter pflegerischer Leitung stehen können.

3. Einführung von definierten Leistungsgruppen

Die lediglich grobe Zuweisung von Fachabteilungen (wie „Innere Medizin“) zu Krankenhäusern soll durch genauer definierte Leistungsgruppen abgelöst werden (z. B. „Kardiologie“). Derzeit behandeln Krankenhäuser gewisse Fälle zu häufig auch ohne passende personelle und technische Ausstattung, etwa Herzinfarkte ohne Links-herzkatheter, Schlaganfälle ohne Stroke Unit oder onkologische Erkrankungen ohne zertifiziertes Krebszentrum.  

Behandlungen sollen künftig nur noch abgerechnet werden können, wenn dem Krankenhaus die entsprechende Leistungsgruppe zugeteilt wurde. Voraussetzung für die Zuteilung ist die Erfüllung genau definierter Strukturvoraussetzungen für die jeweilige Leistungsgruppe, etwa bezüglich personeller und apparativer Ausstattung. Je nach Komplexität wird für jede Leistungsgruppe festgelegt, ob sie an Krankenhäusern aller drei Level erbracht werden darf oder nur an Krankenhäusern höherer Level (II und III oder nur III). Die Behandlungsqualität für die Patientinnen und Patienten wird so maßgeblich verbessert. Für jede Leistungsgruppe wird ein Vorhalteanteil festgelegt.

Die Regierungskommission empfiehlt, die Regelungen nicht sofort gelten zu lassen, sondern in einer großzügigen Übergangsphase schrittweise einzuführen (Konvergenzphase von 5 Jahren). Damit bleibt den Krankenhäusern, den Ärztinnen und Ärzten, Krankenkassen und Ländern ausreichend Zeit, sich auf das veränderte Finanzierungssystem einzustellen.

Hintergrund: Die derzeitige Krankenhausfinanzierung

Krankenhäuser decken ihre laufenden Betriebskosten (Kosten für medizinische Behandlung, z. B. Personal, Operationsbedarfe, …) über die sogenannten Fallpauschalen (DRGs). Das bedeutet: Sie erhalten einen fixen Betrag, auch wenn die Behandlung tatsächlich mehr oder weniger gekostet hat. Investitionskosten – also zum Beispiel Kosten für Bauten oder bauliche Instandhaltung – sind in ausreichender Höhe von den Ländern zu tragen. Dies geschieht nicht flächendeckend in ausreichendem Maße.


Durch das Fallpauschalensystem besteht ein Anreiz, sehr viele – im Zweifelsfall auch unnötige – Operationen oder anderweitige Behandlungen durchzuführen (sog. Leistungs- oder Mengenanreiz), zudem insbesondere die Fallpauschalen abzurechnen, die besonders lukrativ sind – und Fachbereiche, die weniger lukrativ sind, wie die Kinder- und Jugendmedizin, zu schließen. Darüber hinaus besteht der wirtschaftliche Anreiz, Patientinnen und Patienten so früh wie möglich zu entlassen, um durch die Fallpauschale mehr einzunehmen, als die Behandlung gekostet hat („blutige Entlassung“). Entsprechend hoch ist der wirtschaftliche Druck im System.

Im weltweiten Vergleich finanziert Deutschland seine Krankenhäuser damit am stärksten über Leistungs- und Mengenanreize. Damit unterscheidet sich die Krankenhausfinanzierung nicht nur von anderen Gesundheitssystem, die Fallpauschalen nutzen, sondern auch von vergleichbarer kritischer Infrastruktur und Einrichtungen der Daseinsvorsorge in Deutschland (z. B. Feuerwehr).

In der Vergangenheit wurden verschiedene gesetzgeberische Schritte unternommen, um die negativen Auswirkungen der Fallpauschalen abzumildern. Etwa über die Definition von Anforderungen (z. B. eine bestimmte Mindestmenge), die die Krankenhäuser erfüllen müssen, um eine Leistung abzurechnen oder Zuschläge für bestimmte Krankenhäuser (z. B. Sicherstellungszuschläge für wirtschaftlich bedrohte, aber für die Versorgung wichtige Krankenhäuser) oder die Herausnahme der Pflege aus den Fallpauschalen. Diese Lösungen „im System“ haben die Defizite der Fallpauschalenfinanzierung nicht komplett beheben können.

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