Karl Lauterbach ist davon überzeugt, dass „mit dieser Strategie Deutschland im Wettbewerb der Wissenschaft international wieder ganz oben mitspielen wird. Die Köpfe dafür haben wir schon lange. Ihnen fehlen aber häufig die Möglichkeiten.” (Foto von Dipesh Shrestha auf Unsplash)
Oder aber Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach sogar unter Druck gesetzt hat? Anzeichen gab es bereits einige, allen voran die durch Lauterbach und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck beigewohnte Pressekonferenz von Lilly Mitte November 2023. Dort wurde verkündet, dass das Unternehmen 2,5 Mrd.US-Dollar (2,3 Mrd. Euro) für eine neue Hightech-Produktionsstätte und bis zu 100 Mio. US-Dollar für das das Start-Up-Ökosystem in Deutschland investiert.
Habeck betonte auf der Konferenz, dass „mit der Neuansiedlung mit Hightech-Produktionsanlagen sowie Forschung und Entwicklung ein wichtiger Beitrag zur industriellen Wertschöpfung am Standort Deutschland geschaffen wird.“
Nun schwört Habeck sich ein: „Mit der Umsetzung der Pharmastrategie werden wir diese Bedingungen in Deutschland substantiell verbessern und zur medizinischen und gesundheitlichen Souveränität unseres Landes beitragen. Unser Anspruch ist es, unser Land wieder zu einem attraktiven Standort für Forschung, Entwicklung und Produktion von Arzneimitteln zu machen.“
Lauterbach fügte hinzu: „… Wir werden die Rahmenbedingungen für Forschung und Produktion noch weiter verbessern. So sichern wir Patientinnen und Patienten den schnellen Zugang zu neuen Therapieoptionen und machen uns unabhängiger von brüchigen Lieferketten. Europa braucht eine starke Pharmaindustrie und Forschung – auch für eine gute und sichere Gesundheitsversorgung. Deutschland will hier neue Impulse setzen.“
Konkreter Aktionsplan
Nun soll also „mit einem konkreten Aktionsplan Deutschland als Forschungs- und Produktionsstandort für die Pharmabranche wieder attraktiver werden. Das ist Ziel der Pharmastrategie der Bundesregierung, die das Bundeskabinett heute verabschiedet hat.“
Die wesentlichen Punkte in der Übersicht:
1. Beschleunigung klinischer Prüfungen
- Eine neue Bundes-Ethik-Kommission beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) entscheidet über wichtige Forschungsanträge und bündelt Antragsverfahren.
- Die Genehmigung von Anträgen für nationale Studien wird um 19 auf dann 5 Tage gekürzt.
- Die Strahlenschutzprüfungen werden in das arzneimittelrechtliche Genehmigungsverfahren integriert.
- Für klinische Prüfung werden Mustervertragsklauseln entwickelt.
- Auch jenseits von Universitätsklinika sollen Studien durchgeführt werden können.
2. Stärkung der Zulassungsstrukturen
- Das BfArM wird als zentraler Ansprechpartner für die pharmazeutische Industrie künftig die Koordinierung und das Verfahrensmanagement für Zulassungsverfahren und Anträge zu klinischen Prüfungen für fast alle Arzneimittel übernehmen.
3. Beschleunigung der Digitalisierung im Gesundheitswesen
- Mit dem Gesundheitsdatennutzungsgesetz soll auch Pharmaunternehmen auf Antrag die Forschung an Gesundheitsdaten ermöglicht werden.
- Bundesländerübergreifende Forschungsvorhaben werden künftig nur durch eine jeweils federführende Landesdatenschutzbehörde beaufsichtigt und genehmigt.
4. Anreize für Pharmaproduktion
- BMWK und BMG prüfen Förderinstrumente für den Aufbau neuer Produktionsstätten.
- Rabattverträge für onkologische Arzneimittel, die in der EU hergestellt werden, sollen künftig bevorzugt werden.
- Mit dem Vergabetransformationspaket soll die öffentliche Beschaffung vereinfacht, professionalisiert und beschleunigt werden. Dies kommt auch der Pharmaindustrie zugute.
5. Verbesserung der europäischen Rahmenbedingungen für F&E
- Deutschland setzt sich beim EU-Pharmapaket und dem Internationalen Pandemieabkommen für stabile und attraktive Rahmenbedingungen für die pharmazeutische Industrie ein (u.a. keine Verkürzung des Unterlagenschutzes und Schutz geistigen Eigentums).
6. Förderung von Innovations- und Forschungsprojekten
- Besonders in der frühen Entwicklungsphase sollen Forschung und Entwicklung von knappen Medikamenten (z.B. Antibiotika, Arzneimittel für seltene Erkrankungen) weiter gefördert werden.
- Im Wachstumschancengesetz ist u.a. eine umfangreiche Ausweitung der steuerlichen Forschungsförderung (Forschungszulage) vorgesehen, die auch den in Deutschland forschenden Pharmaunternehmen zugutekommen wird.
- Die Überführung akademischer Forschungsergebnisse in die Unternehmen (Translation) wird gefördert.
- Über den „Wachstumsfonds Deutschland“ und Initiativen der Bundesländer wird Wagniskapital aggregiert, um kleine und mittlere Unternehmen auch im Pharmamarkt zu fördern.
- Über das Regierungsprogramm EXIST werden Existenzgründungen aus der Wissenschaft gefördert.
7. Verlässliche Rahmenbedingungen für Pharmafirmen
- Die gesetzlichen Regeln für die Preisbildung innovativer Arzneimittel (AMNOG) werden evaluiert.
- Pharmazeutischen Unternehmern werden vertrauliche Erstattungsbeträge ermöglicht.
- Die Bundesregierung beabsichtigt, den Herstellerabschlag für erstattungsfähige Arzneimittel ohne Festbetrag auf dem Niveau von 7 % zu stabilisieren.
Was hält Pharma davon?
„Wir begrüßen die Beschlüsse zur Pharmastrategie. Damit ist der Weg geebnet, wichtige Maßnahmen zur Stärkung des Standorts Deutschland umzusetzen, Bürokratie abzubauen und die drohende Abwanderung einer innovationsstarken Schlüsselindustrie zu stoppen. Der erste Schritt ist gemacht, viele weitere müssen jetzt folgen“, urteilt und fordert zugleich Dr. Sabine Nikolaus, Vorsitzende der Geschäftsführung Boehringer Ingelheim Deutschland GmbH.
Doch für Dr. Kai Joachimsen, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Pharmazeutischen Industrie e. V. (BPI), bleibt „die Mammutaufgabe, die Arzneimittelversorgung in ihrer Breite sicherzustellen und den für Deutschland und Europa enorm wichtigen Pharmastandort bei Forschung, Entwicklung und Produktion zu stärken.“
Er legt noch nach: „Wenn ein Arzneimittel als Tagesdosis durchschnittlich sechs Cent erlöst, ist es kein Wunder, dass es kaum noch Anbieter auf dem Markt gibt. Geschweige denn welche, die in Europa produzieren. Und dadurch sind wir als Land inzwischen in eine nicht mehr akzeptable geopolitische Abhängigkeit geraten. Das Problem ist nicht, dass AUCH in Asien produziert wird. Sondern, dass in vielen Bereichen fast NUR noch dort produziert wird. Das ist eine Situation, die sich nur mit deutlich besseren Standortfaktoren lösen lässt. Es braucht eine gut durchdachte, wirksame und langfristige Pharmastrategie. Ihr Ziel muss es sein, ein anreizorientiertes Umfeld für Forschung, Innovationen und Investitionen sowie auskömmliche Marktbedingungen zu schaffen. Zudem müssen wir in Deutschland dramatisch schneller werden, dringend Bürokratie und Überregulierung abbauen – und zwar jetzt, hier und heute. Das Bundesgesundheitsministerium hat mit seinen Plänen zu einem Medizinforschungsgesetz einen richtigen Ansatz gefunden. Jetzt braucht es aber Tempo bei der Umsetzung – Pharmatempo!“
Vfa-Präsident Han Steutel findet, dass „in vielen Bereichen wichtige und seit Jahren vorgetragene Anliegen der Industrie aufgegriffen werden. Eine notwendige Bedingung für umfangreiche Investitionen in Zukunftstechnologien ist allerdings ein innovationsfreundliches Marktumfeld. Ohne einen heimischen Markt für Innovationen lassen sich Forschungs- und Produktionskapazitäten in Zukunft nicht ausbauen. Dies bedeutet: Weiterentwicklung der Erstattungsregeln und Korrektur innovationsfeindlicher Entscheidungen aus dem GKV-Finanzstabilisierungsgesetz im vergangenen Jahr.“
Insgesamt gilt, so Steutel: „Eine Strategie ist eine notwendige Voraussetzung für eine erfolgreiche Entwicklung des Standorts. Das jetzt vorgelegte Konzept ist ein wichtiger und großer Schritt. Jetzt kommt es auf die Umsetzung und den Willen aller Beteiligter an.“
BAH-Hauptgeschäftsführer Dr. Hubertus Cranz hat lange eine Wertschätzung vermisst: „Die Anerkennung der Arzneimittel-Hersteller als eine Leitindustrie der deutschen Volkswirtschaft mit großer Bedeutung für die Gesundheitsversorgung und den Wirtschaftsstandort tut gut. Solch eine Wertschätzung wurde lange vermisst …“
Er warnt aber auch: „Besonders wichtig ist die Verhinderung weiterer Belastungen durch neue europäische Gesetzgebung. Die Revision der kommunalen Abwasserrichtline, aber auch manche Vorschläge für die neue EU-Arzneimittelgesetzgebung bedrohen die Leistungsfähigkeit der Arzneimittel-Hersteller. Ohne Korrekturen daran werden an sich begrüßenswerte Ankündigungen zum Bürokratieabbau keine Wirkung haben.“
Bork Bretthauer, Geschäftsführer von Pro Generika, ist der wohl größte Kritiker: „Die dort angekündigten Schritte sind eine Ansammlung bereits auf den Weg gebrachter Maßnahmen. Sie reichen bei weitem nicht aus, um die Versorgung zu stabilisieren.“
Für ihn kommt es auf Versorgungssicherheit an: „Bei Kinderarzneimitteln hat die Politik den Kostendruck gelockert. So hat sie verhindert, dass noch mehr Hersteller aus der Produktion aussteigen. Das muss eine Blaupause für andere Arzneimittel sein. Es braucht jetzt Mut, Tempo und eine Strategie, die nicht nur den Standort Deutschland – sondern auch die Grundversorgung stärkt.“
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