Bundestag beschließt Arzneimittelreform – was Verbände davon halten


Immer wieder haben Lieferengpässe in den vergangenen Monaten Apotheken wie Patientenschaft vor Probleme gestellt. Nun reagiert die Bundesregierung. Wie Fachleute das neue Gesetz einschätzen.

Der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie e.V. (BPI) urteilt: Das neue ALBVVG nutzt vorhandene Chancen nicht. (Fotocredit: Shutterstock/Halawi)

Es trägt den umfassenden Namen „Gesetz zur Bekämpfung von Lieferengpässen bei patentfreien Arzneimitteln und zur Verbesserung der Versorgung mit Kinderarzneimitteln“, kurz ALBVVG. Am 23. Juni hat der Bundestag es beschlossen.

Die Kernpunkte des ALBVVG:

  • Für Kinderarzneimittel werden die Preisregeln gelockert.
  • Gleichzeitig müssen künftig Vorräte für rabattierte Arzneimittel angelegt werden.
  • Apotheken können nun leichter Ersatz für knappe Arzneimittel anbieten.
  • Die telefonische Krankschreibung, die sich in der Pandemie bewährt hat, wird unbefristet eingeführt.
  • Den Bundesländern wird die Möglichkeit eröffnet, so genanntes Drug-Checking einzuführen.
  • Europäische Produktionsstandorte werden gestärkt.
  • Die sechsmonatige Lagerhaltung wichtiger Arzneimittel ausgebaut und andere Reaktionsmechanismen auf Lieferengpässe verbessert.
     

Wie es in der Pressemitteilung des Bundesgesundheitsministeriums heißt, seien damit die Weichen gestellt, um Engpässe bei Arzneimitteln zu vermeiden. Übertriebene Ökonomisierung habe die Arzneimittelversorgung mit patentfreien Medikamenten über die letzten Jahre deutlich verschlechtert. Das soll mit dem ALBVVG korrigiert werden und Deutschland als Absatzmarkt für Arzneimittel wieder attraktiver.

Führt das Lieferengpassgesetz zum Ziel?

Viele Fachverbände begrüßen zwar, dass das Lieferengpassgesetz wichtige Probleme angeht. Aber überwiegend sehen Expert:innen den Beschluss kritisch. Den meisten gehen die Regelungen nicht weit genug und sie bewerten sie nicht als tatsächlichen Problemlöser.

Aus Sicht der Apothekerschaft sei das Gesetz „Licht und Schatten“ lässt beispielsweise die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) wissen.

Einerseits sei es begrüßenswert, dass insbesondere die Bundestagsabgeordneten in letzter Sekunde dafür gesorgt hätten, dass die Apotheken bei der Bewältigung der Engpasskrise mehr Freiheiten bekommen. Gleichzeitig kritisiert die Apothekerschaft sowohl die Bundesregierung als auch den Bundestag dafür, den knapp 18.000 Apothekenteams weder eine angemessene Wertschätzung noch eine auskömmliche Honorierung zuzugestehen und somit keine Zukunftsperspektive für eine flächendeckende Arzneimittelversorgung zu bieten.  

„50 Cent für Engpassmanagement sind Missachtung unserer Arbeit“

Gabriele Regina Overwiening, Präsidentin der ABDA sagt: „Extrem bitter ist, dass die Bundesregierung nicht verstanden hat, dass die Apotheken vor Ort finanziell unterstützt werden müssen. Die nun beschlossenen 50 Cent für das Engpassmanagement sind und bleiben eine Missachtung unserer Arbeit.“ Dass der zuständige Minister Karl Lauterbach offenbar eher dazu bereit ist, hunderte Millionen Euro in überflüssige Gesundheitskioske zu investieren, erzeuge in der Apothekerschaft Irritationen und Sorgen. Overwiening weiter: „Es muss sich für junge Menschen auch in fünf oder zehn Jahren noch lohnen, eine Apotheke zu gründen und diese mehrere Jahrzehnte lang zu betreiben.“

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Lieferengpässe werden sogar zunehmen

Sogar als Problemverschärfer bewertet der Verband Pro Generika das neu beschlossene Gesetz und spricht von einer „Scheinlösung“, die eigentliche Ursachen gar überdecke. Kritisch sehen sie vor allem einen Passus: Nämlich den, der Generika-Hersteller verpflichtet, Arzneimittelvorräte von sechs Monaten auf Lager zu haben, sofern sie einen Rabattvertrag eingehen.

Das werde sie an die Grenze ihrer Produktions- und Lagerkapazitäten bringen, die Wirtschaftlichkeit der Arzneimittelproduktion weiter reduzieren und zu noch mehr Engpässen führen. Die letzten verbliebenen Hersteller würden dadurch noch mehr belastet. Schon vorher hätten Hersteller und Maschinen nicht ausgereicht, um die Nachfrage zu bedienen.

„Diese Regelung ist unrealistisch und sie löst das Problem nicht“, sagt Bork Bretthauer, Geschäftsführer von Pro Generika. „Die jüngsten Engpässe sind nicht entstanden, weil es zu wenig Vorräte gab. Sie sind entstanden, weil wir in Deutschland   – wegen der geringen Erstattungspreise – zu wenig Produktionskapazitäten haben. Niemand weiß, wo jetzt noch mehr Kapazitäten herkommen sollen und wie sich die Produktion, die schon vorher oft kaum mehr wirtschaftlich war, noch rechnen soll. Unsere Unternehmen sind fassungslos darüber, dass die Politik, die anfänglich den Anschein erweckte, die Problemursachen verstanden zu haben, sich jetzt aus der Verantwortung zieht, auf eine Scheinlösung setzt und die Kosten dafür auf Generikaunternehmen abwälzt.“

„Gesetzchen gegen Einzellieferengpässe“

Ebenfalls als völlig ungeeignet, die Lieferengpässe wirksam zu bekämpfen, bewertet Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Pharmazeutischen Industrie e.V. (BPI) Dr. Kai Joachimsen das ALBVVG. Der BPI hält das geplante Gesetz für unzureichend und geht davon aus, dass sich Lieferengpassprobleme in den nächsten Jahren verschärfen. Medikamente, die gar nicht produziert würden, ließen sich nicht einlagern. Eine Bevorratung löse die derzeitigen Schwierigkeiten – unter anderem wegen Abhängigkeiten aus Fernost – nicht.

Es ist „eigentlich ein Gesetzchen gegen Einzellieferengpässe“, urteilt Joachimsen. Es lege den Herstellern weitere bürokratische und finanzielle Belastungen wie sanktionsbewehrte Lager- und Meldepflichten auf, „die keinen einzigen Lieferengpass verhindern!“.

Um den Pharmastandort zu stärken, Anbietervielfalt zu schaffen und Produktion in Europa zu halten, habe es seitens des BPI durchaus Vorschläge gegeben. „Ein bisschen davon findet sich jetzt im Gesetz wieder, aber ein bisschen genügt bei weitem nicht“, sagt der Geschäftsführer. „Bei fast allen Indikationen, zum Beispiel auch bei den Onkologika, bleibt alles so wie es ist, es gibt keine verpflichtende Mehrfachvergabe. Das alles sind keine nachhaltigen Lösungen, weder für die Patientinnen und Patienten noch für die Stärkung der Arzneimittelversorgung in unserem Lande.“ Joachimsen hält es für wahrscheinlich, dass es schon sehr bald weitere Maßnahmen brauche.

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