Das ethische Dilemma in der Pharmabranche


Welche Rolle spielen Partnerschaften mit der Pharmabranche eigentlich in der medizinischen Lehre und welcher Interessenkonflikt ist dabei ein ständiger Begleiter?

Wie wahrt man die Objektivität der medizinischen Fortbildung, wenn sie durch Industriesponsoring finanziert wird? (Foto von Jonas Jacobsson auf Unsplash)

 

Die Pharmaindustrie spielt eine zentrale Rolle im Gesundheitswesen und ist mit einem Umsatz von rund 49 Mrd. Euro (BPI Pharma-Daten 2022) ein bedeutender Wirtschaftsfaktor. Die enge Beziehung zwischen den Pharmaunternehmen und der Ärtz:innenschaft ist dabei kein Geheimnis. Eine weniger bekannte Grauzone ist jedoch die Rolle von finanzieller Förderung medizinischer Bildung.

Die Pharmaindustrie liefert essenzielle Möglichkeiten für die Medizin, eine bessere Patientenversorgung zu gewährleisten oder durch gezielte Finanzmittel schnellere Fortschritte in Forschung und Entwicklung zu erreichen.

Trotzdem stellt die Unterstützung durch Pharmaunternehmen innerhalb der medizinischen Aus- und Weiterbildung die Objektivität der Medizin infrage und sollte transparent behandelt werden.

Die Rolle der Pharmaindustrie in der medizinischen Ausbildung

„Warum sollte es jemals notwendig sein, dass ein Pharma- oder Medizintechnik-Hersteller Studienleistungen für Medizinstudent:innen finanziert?“

Das fragte Robert M. Califf, der Beauftragte der US-amerikanischen Food and Drug Administration (FDA), auf dem World Medical Innovation Forum 2023, das von Mass General Brigham (MGB) und der Bank of America veranstaltet wurde. Die Pharmaindustrie hat eine entscheidende Funktion bei der Förderung von Innovationen und der Bereitstellung neuer Ressourcen für die Patientenversorgung. Ihre Rolle bei der Finanzierung medizinischer Fortbildung wirft eine komplexe Debatte über die Unabhängigkeit der Gesundheitsversorgungsbranche auf.

Methoden der Unterstützung

Wie die Pharmabranche medizinische Fortbildung unterstützt, gestaltet sich auf unterschiedliche Art und Weise, mal mehr oder weniger diskret. Ein klassisches Beispiel sind kommerzielle Weiterbildungsprogramme, kurz CME (Continuing Medical Education).

Pfizer finanziert über sein Independent Grants for Learning and Change (IGLC)-Programm postgraduale Bildungsinitiativen in verschiedenen Therapiebereichen. Andere Unternehmen wie Novartis, Merck und Johnson & Johnson haben ebenfalls Bildungsprogramme in verschiedenen medizinischen Disziplinen gesponsert und schaffen damit wichtige Bildungs- und Forschungsinitiativen.


Ethik im Fokus

Wie wahrt man die Objektivität der medizinischen Fortbildung, wenn sie durch Industriesponsoring finanziert wird? 

Adriane Fugh-Berman, Ärztin und Professorin und Bildungsanbieterin an der Georgetown School of Medicine, betont in einem 2021 im British Medical Journal (BMJ) veröffentlichten Aufsatz, dass CME wie Produktwerbung reguliert werden sollte. Verschiedene Studien legen nahe, dass Industriefinanzierung die Präferenz für von der Industrie entwickelte Produkte beeinflussen kann, was die Objektivität der medizinischen Ausbildung beeinträchtigt.

Es gibt zwar Richtlinien und ethische Standards, um sicherzustellen, dass CME unvoreingenommen bleibt und sich auf die Verbesserung der Patientenversorgung konzentriert. Die Realität sieht dennoch oft anders aus. 

Umso wichtiger ist das Bewusstsein über potenzielle Interessenkonflikte aller Angehörigen der Gesundheitsberufe, insbesondere aller derjenigen, die sich an CME-Aktivitäten beteiligen.


Weitere Sponsoring-Formate

Neben CME-Programmen übernehmen Pharmaunternehmen oft das Sponsoring von Konferenzen, Seminaren und Symposien, und unterstützen damit indirekt die medizinische Fortbildung. 

Beispielsweise ist die American Heart Association (AHA) Scientific Sessions eine wichtige Herz-Kreislauf-Konferenz, die von Unternehmen wie Pfizer, Novartis und Amgen gesponsert wurde.

Die Präsentation von relevanten Medikamenten oder (neuen) therapeutischen Möglichkeiten der Sponsoren durch Pharmavertreter:innen gehört dabei zur Tagesordnung.

Medizinische Forschung & Entwicklung

Die Pharmaindustrie ist der bei weitem größte Sponsor der medizinischen Forschung. Durch Forschungsstipendien können die teuren Kosten für präklinische Forschung und klinische Studien gedeckt werden. Das Potenzial für Konflikte oder Publikationsverzerrungen ist hoch, da Forscher:innen möglicherweise geneigt sind, Daten im Sinne des Sponsors zu beeinflussen.

Neben der Qualität der Forschung ist aber auch die Priorisierung ein Stichwort. Die pharmazeutische Industrie ist stets stark gewinnorientiert. Das Ergebnis ist, dass für 90% der Gesundheitsprobleme der Welt nur 10% Ressourcen verwendet werden.

Transparenz und strenge ethische Standards sind entscheidend, um diesen Herausforderungen zu begegnen. Außerdem engagieren sich immer mehr öffentliche Institutionen bei der Unterstützung verschiedener Forschungsprogramme und versuchen damit, ein Gegengewicht zu den gewinnorientierten Prioritäten der Industrie zu schaffen. 

Finanzielle Unterstützung für medizinische Fachzeitschriften

Ausschlaggebend für das Überleben vieler medizinischer Fachzeitschriften sind ebenfalls unterschiedliche Pharmaunternehmen. Dabei geht das Sponsoring über die eigentliche Forschung hinaus, indem Spenden direkt an die Magazine fließen, um eine Veröffentlichung sicherzustellen.

Natürlich spielt klassische Werbung in medizinischen Fachzeitschriften und Publikationen ebenfalls eine wichtige finanzielle Rolle für die Printmedien. Ethikstandards sind unerlässlich, um sicherzustellen, dass die Zuschüsse die wissenschaftliche Integrität nicht beeinträchtigen und Publikationen objektiv bleiben.


Zuschüsse für medizinische Fakultäten und Institutionen

Medizinische Fakultäten und Institutionen auf der ganzen Welt werden finanziell durch Pharmaunternehmen gefördert. Diese finanziellen Mittel werden wiederum für Forschung, Bildungsinitiativen, Stipendien und Ausrüstung verwendet. Die Herausforderung besteht darin, sicherzustellen, dass diese Beiträge die Unabhängigkeit und Integrität der Bildungs- und Forschungsprozesse bewahren.

Vorteile vs. Risiken?

Arzneimittelsponsoring spielt ohne Frage eine bedeutende finanzielle Rolle für den Wohlstand und die Verfügbarkeit medizinischer Ausbildung auf mehreren Ebenen. Dennoch besteht die Gefahr, dass damit verbundene Risiken den potenziellen Nutzen schmälern und die wissenschaftliche Integrität, die Patientenversorgung und die Krankheitsergebnisse gefährden.

Vorteile wie kostengünstigere Ausbildung für Mediziner:innen und Studenten:innen, Fortbildung für Ärzt:innen oder eine gesicherte Forschung und Entwicklung müssen gegen einen ständigen Interessenkonflikt kämpfen, welcher die Objektivität von Institutionen, Lehrkräften, Forscher:innen und Zeitschriften gefährdet.

Dabei ist mangelnde Transparenz ein wichtiges Stichwort, ebenso die Verantwortung der gesamten medizinischen Gemeinschaft. Seien es Gesundheitsdienstleister:innen, Ärzt:innen, medizinisches Personal oder Student:innen – das Gleichgewicht zwischen Nutzen und Risiken sollte allgemein verstanden werden, um eine ethische medizinische Ausbildung zu gewährleisten.

 

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