Das Gesundheitssystem resilienter machen


Die Krisen haben auch schon längst das Gesundheitssystem erreicht. Umso wichtiger ist es, dass es resilienter wird. Der Sachverständigenrat hat dazu in seinem Gutachten einige Vorschläge gemacht.

Laut des SVR ist unser Gesundheitssystem noch überhaupt nicht resilient, müsste es aber dringend werden. (Foto von Alex Shute auf Unsplash)

Deutsches Gesundheitssystem ist nicht vorbereitet

Der SVR hat sein neues Gutachten „Resilienz im Gesundheitswesen. Wege zur Bewältigung künftiger Krisen“ genannt. Denn „SARS-CoV-2-Pandemie, Krieg gegen die Ukraine, Hochwasser, Waldbrände und Hitzewellen als Folgen des Klimawandels, unterbrochene Lieferketten, Energieknappheit“ haben Deutschland herausgefordert. Und „gerade die Pandemie hat die Stärken und Schwächen unseres Gesundheitssystems besonders deutlich werden lassen, nicht zuletzt die mangelhafte Nutzung digitaler Möglichkeiten.“

Ganz klar wird dort konstatiert, dass „die vor den genannten Krisen häufig anzutreffende Selbstwahrnehmung, dass in Deutschland alles gut organisiert sei und wir angesichts eines ausdifferenzierten Rettungs- und Gesundheitssystems bestens auch auf unvorhergesehene Entwicklungen vorbereitet seien, war und ist trügerisch. Unser Gesundheitssystem ist sehr komplex und fragil, pointiert gesagt: ein nicht sehr reaktionsschnelles, wenig anpassungsfähiges „Schönwettersystem“, das nicht nur im Krisenfall unzureichend koordiniert und im Ergebnis häufig schlechter ist, als angesichts des hohen Mitteleinsatzes zu erwarten wäre. Weder auf Folgen des Klimawandels noch auf Pandemien ist unser Gesundheitssystem ausreichend vorbereitet. Dies gilt auch für andere bekannte und – wahrscheinlich erst recht – für noch unbekannte krisenhafte Herausforderungen.“

Maßnahmen für eine Resilienzstrategie

Als eine Maßnahme schlagen die Expert:innen vor, eine umfassende Resilienzstrategie zu etablieren - mit diesen Phasen: a) Vorbereitungsphase, b) rechtzeitige Erkennung des Schocks, c) Wirkung und Bewältigung des Schocks, d) Erholung und Lernen.

Und weiter: „Bei der Entwicklung einer Resilienzstrategie empfiehlt sich die Vermeidung reiner Top-down-Ansätze zu Gunsten einer Multistakeholder-Perspektive, die mehrere Sichtweisen kombiniert, periphere Verantwortung ebenso stärkt wie die horizontale und vertikale Koordination und eine gesellschaftliche Beteiligung anstrebt. Die Vorbereitungsphase außerhalb von Krisenzeiten ist eine Schlüsselphase, die das rechtzeitige Ergreifen von Präventionsmaßnahmen sowie die Antizipation, frühzeitige Entdeckung und Bewältigung potenzieller Krisen ermöglicht. Die Realisierung dieser vorbereitenden Maßnahmen sollte regelmäßig überprüft werden. Bewährte Ansätze wie Vision-Zero-Konzepte in der Luftfahrt, Arbeits- und Verkehrssicherheit sollten in Verbindung mit strikten, sanktionsbewehrten Kontrollmechanismen und klaren Zuständigkeiten der prozessoralen Rollen zum Einsatz kommen.“

Regionale Gesundheitszentren als Vorsorge

Um eine strukturelle Resilienz aufbauen zu können, „sollten integrierte regionale Gesundheitszentren als moderne und bedarfsgerechte Form der Daseinsvorsorge viele Krankenhäuser der Grundversorgung ablösen. Das Leistungsspektrum sollte an die regionalen Bedarfe angepasst werden. Dies kann u. a. Kurzliegestationen (allgemeinmedizinische Beobachtungsstationen) beinhalten. Durch den Aufbau regionaler Gesundheitszentren entfallen stationäre Patientenpflegetage und es werden substanziell personelle Kapazitäten für notwendige stationäre Aufenthalte geschaffen.“

Verfügbare Medikamente als ein Schlüsselpunkt

Auch die Verfügbarkeit von Medikamenten garantiert, dass das Gesundheitssystem funktioniert. So „sollte ein resilientes Gesundheitssystem in der Lage sein, vorübergehende Lieferengpässe auszugleichen und einen erhöhten oder speziellen Bedarf im Krisenfall kurzfristig zu decken. Dazu gehören nicht nur Strategien zur Stabilisierung oder zum Ersatz der globalen Lieferketten, sondern auch zur Bevorratung mit besonders relevanten Produkten und zur Sicherung von Produktionskapazitäten.“

Die konkreten Vorschläge dazu lauten:

  • Ein besseres Monitoring, eine zumindest partiell regionale Beschaffung und eine verstärkte globale Kooperation würden dazu beitragen, die Vorteile globalen Handels zu nutzen, ohne dass die Ausfallrisiken globaler Lieferketten die Versorgungssicherheit in Frage stellten. Um Abhängigkeiten bei der Beschaffung unabdingbarer Gesundheitsgüter und ihrer Vorprodukte zu mildern, sollten daher Strategien zur Stärkung der Lieferketten implementiert werden, z. B. Multiple Sourcing, Nearshoring und globale Diversifikation.
  • Dies könnte bei Arzneimitteln durch Ausschreibungen für Rabattverträge mit entsprechenden Klauseln erfolgen und darüber hinaus im Rahmen von Bevorratungsvorgaben verpflichtend geregelt werden. Zudem ist die Sicherung von regionalen Produktionskapazitäten für Produkte erforderlich, die lebensnotwendig und für die Krisenbewältigung essenziell, aber nicht für die Bevorratung geeignet sind, damit der Bedarf in einer Krisensituation mit der notwendigen Geschwindigkeit gedeckt werden kann.
  • Dabei sollte auf hybride Systeme gesetzt werden, die die Vorteile von Kapazitätszahlungen und Leistungsanreizen kombinieren.
  • Ergänzend sollte über die bestehenden gesetzlichen Bestimmungen hinaus eine ausreichende Bevorratung durch verbindliche, sanktionsbewehrte Vorgaben gesichert werden. Ein dezentraler Bevorratungsansatz ist einer zentralen Bewirtschaftung vorzuziehen, da eine stärkere Einbeziehung der Leistungserbringer und Händler eine effiziente Umwälzung der Lagerbestände incentiviert und vereinfacht. Ein Teil der Vergütung und die Betriebsgenehmigung von Leistungserbringern sollte an die Einhaltung von Bevorratungspflichten gekoppelt werden. Wichtig sind auch eine umfassende Dokumentation sowie eine regelmäßige, stichprobenartig unangekündigt „vor Ort“ stattfindende Überprüfung der Bevorratung.
  • Zur Stärkung der Innovationskraft ist neben Maßnahmen zur Verbesserung des Forschungsumfeldes in Deutschland weiterhin ein verlässlicher Patentschutz notwendig, damit auch zukünftig möglichst schnell Mittel zur Krisenbekämpfung gefunden werden. Zugleich gilt es anzuerkennen, dass die Bekämpfung einer globalen Krise nur gelingt, wenn auch mit Staaten kooperiert wird, die nicht die Möglichkeit haben, Monopolpreise zu zahlen. Internationale Solidarität ist hier – auch im aufgeklärten Eigeninteresse – angezeigt.

 

Wichtig: Transparente Kommunikation

Die Corona-Krise hat auch gezeigt, dass es wichtig ist, die Menschen abzuholen und mitzunehmen — sonst helfen alle Maßnahmen und einfach „gutes Reden“ nichts. Dafür sollten auch „Strategien und Kriterien einer transparenten Gesundheitskommunikation verfolgt werden. Dazu zählen vor allem, Risiken zu kommunizieren, die Vor- und Nachteile einer Maßnahme transparent darzustellen, eine für verschiedene Bevölkerungsgruppen verständliche Sprache zu nutzen, Argumente mit Fakten zu begründen und Unsicherheiten und Wissenslücken als Teil der Wissensproduktion in einem dialogischen Austausch verstehbar zu machen.

Für bestimmte Zielgruppen (z. B. mit niedrigem sozioökonomischem Status oder geringer Gesundheitskompetenz) sind aufsuchende Strategien zur Aufklärung und Information erforderlich. Gesundheitskioske sind z. B. eine geeignete Anlaufstelle für vulnerable Bevölkerungsgruppen. Durch regelmäßige Analysen einer beauftragten Institution (z. B. IQWiG) sollten gezielt die Quellen und Inhalte von Falschinformationen ermittelt und politische und juristische Maßnahmen genutzt werden, um wirksam gegen die Weiterverbreitung solcher Informationen vorzugehen, unter Umständen die Anonymität von Quellen aufzuheben, die Einhaltung presserechtlicher Standards zu sichern und bei Verstößen eine Haftung zu erwirken.“

Resilienz als Chance

Zum Abschluss versucht der SVR positiv zu klingen: „Sowohl in Deutschland als auch weltweit steigt das Risiko für das Auftreten disruptiver Ereignisse. Das Stärken der Resilienz im deutschen Gesundheitssystem stellt daher eine komplexe und herausfordernde Aufgabe dar, der wir uns dringend stellen müssen. Ziel ist es nicht nur, den Status quo zu erhalten, sondern wenn möglich sogar gestärkt aus Krisen hervorzugehen, sodass der Aufbau resilienter Strukturen nicht nur als anstrengende Aufgabe, sondern auch und vor allem als Chance zu verstehen ist.“

Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach meint zu dem Gutachten: "Die Pandemie hat gezeigt, dass unser Gesundheitswesen widerstandsfähiger werden muss. Deswegen bin ich dankbar, dass der Sachverständigenrat die Resilienz zum Thema macht. Das gibt uns Rückenwind für die geplanten schwierigen, aber dringend notwendigen Reformen: wir ordnen die Krankenhausstruktur neu, machen Arzneimittelversorgung sicherer, sorgen mit niederschwelligen Angeboten für gute Medizin für alle. Und wir ziehen Lehren aus der Pandemie. Wenn das nächste Virus zur Gefahr wird, werden wir international wie national besser aufgestellt sein. Zu diesen Themen bleibe ich mit dem Sachverständigenrat im Austausch. Das aktuelle Gutachten bietet dafür eine gute Grundlage."

Das Gutachten und ein Executive Summary finden Sie hier.

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