Für Krebspatient:innen bedeuten die Chemo-Infusionen oftmals die Hoffnung auf die Verlangsamung oder den Stopp der Krankheit. (Foto von Mat Napo auf Unsplash)
Das Krebskartell: Recherche in „Buch Zwei“ (SZ vom 22./23. Juli 2023)
So fängt der Beitrag an:
„Wenn der Apotheker Robert Herold seinen Reinraum betritt, kann er in wenigen Minuten mehr Geld verdienen als an einem ganzen Tag hinter dem Verkaufstresen … Der Raum muss rein von jeglichen Keimen sein, weil Herold darin die Infusionsbeutel für Chemotherapie zubereitet … „Pharmagold“ werden diese Infusionsbeutel mit den Krebsmedikamenten in der Branche auch genannt.
Im vergangenen Jahr haben die gesetzlichen Krankenkassen mehr als fünf Milliarden Euro dafür ausgegeben, das sind rund zehn Prozent sämtlicher Arzneimittelkosten, die von den Kassen übernommen wurden – bezahlt vor allem von den Versicherten.
Ein Teil dieses Geldes floss an die Unternehmen, die die Wirkstoffe entwickeln und herstellen … Ein anderer Teil blieb bei Apothekern wie Robert Herold hängen. Dieser Teil, sagt er, sei jedoch viel zu groß. Er will das Gold nicht mehr.“
In der SZ wird der Betrag von mehr als hunderttausend Euro für die patentgeschützten Wirkstoffe im Rahmen einer Chemotherapie genannt.
Falscher Anreiz
Der Apotheker Herold hat sich an die Süddeutsche Zeitung, WDR und NDR gewendet, „um zu erzählen, was er erlebt hat.“ Und das sind Bestechungen: „Eine Onkologin habe von ihm 5000 Euro im Monat verlangt, damit seine Apotheke die Rezepte für die Chemo-Infusionen bekommt, die in der Praxis verschrieben werden. Denn über die Wahl der Apotheke entscheidet faktisch der Arzt, der das Rezept in der Regel direkt dorthin schickt. Ein anderer Onkologe habe sogar 20 000 Euro im Monat gefordert, so Herold …“
„Von den rund 18 000 Apotheken in Deutschland bereiten weniger als 300 Chemo-Infusionen zu, wohl auch weil die Reinräume Hunderttausende Euro kosten. Nur diese Apotheken profitieren vom Gold.
Herold glaubt, dass es bald noch weniger sein werden. Er beobachtet einen „Konzentrationsprozess“, der von Branchenberichten belegt wird: Kleine Betriebe wie seiner werden zusehends von einigen Großunternehmen verdrängt. Dabei verschwinde, was ihm am wichtigsten sei, sagt Herold: der enge Kontakt zu den erkrankten Menschen.“
Er hat seine Apotheke in einer kleineren Stadt im Südwesten von Sachsen und beschäftigt 25 Mitarbeiter:innen.
Kassen: Einsparungen möglich
Laut Berechnungen der SZ, NDR und WDR „auf Grundlage der Preislisten hätten die Kassen 2021 mindestens 540 Millionen Euro im Bereich der Chemo-Infusionen sparen können, 2022 mindestens 445 Millionen Euro … Diese mutmaßliche Verschwendung läuft in dieser Form seit 2009 – und auch 2023 weiter.“
Die drei Recherchepartner werden ihre Erkenntnisse „auch zum Gesundheitsminister, zum Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen (GKV) und zu einigen besonders einfallsreichen Apothekern und Onkologen, die das Geschäft mit den Chemo-Infusionen im ganz großen Stil betreiben“ weiterreichen.
„Wie ein gerechtes Modell ohne Zusatzgewinne aussehen könnte, hat der Apotheker Franz Stadler bereits vor sechs Jahren in einer Fachzeitschrift skizziert. Stadler schlägt ein „Kommissionsmodell“ vor, bei dem die Hersteller die Apotheker mit den Wirkstoffen versorgen, ohne dass diese in Vorleistung gehen müssen oder für die Waren haften. Die Apotheker melden die verbrauchten Mengen dann an die Kassen, die anschließend direkt mit den Herstellern abrechnen.“
Forderung des AOK-Bundesverbands
Der AOK-Bundesverband fordert als Lösung die gesetzliche Wiedereinführung regionaler Ausschreibungsmöglichkeiten.
„Seit Jahren problematisiert die AOK-Gemeinschaft die bestehenden Einkaufsvorteile für Apotheken bei Krebsmedikamenten. Die aktuell bekannt gewordenen Listen zeigen nun, dass es diese Vorteile tatsächlich immer noch gibt. Pro angefertigter Rezeptur kann die Apotheke offenbar zum Teil mehrere Hundert Euro extra abrechnen - zusätzlich zur eigentlichen Vergütung des Arbeitspreises, der bereits auskömmlich ist. So gehen die überteuerten Beträge voll auf Kosten der Beitragszahlenden“, kritisiert Dr. Sabine Richard, Geschäftsführerin Versorgung beim AOK-Bundesverband.
Sie möchte, dass die „Krankenkassen die Möglichkeit zurück (bekommen), die Belieferung der Arztpraxen mit Zytostatika in einem transparenten Verfahren regional auszuschreiben. Wir haben uns immer wieder für die Möglichkeit eingesetzt, dass die Krankenkassen regional wirtschaftliche Verträge mit einzelnen Apotheken schließen können, die die Ärzte beliefern. Schon vor Jahren ging es um Einsparungen in Höhe von mindestens 600 Millionen Euro pro Jahr für die gesamte Gesetzliche Krankenversicherung. Diese Verträge sind aber nach einer Kampagne von Apothekern und Ärzten 2017 gesetzlich verboten worden.“
Auch die offensichtlichen Verflechtungen zwischen Ärzten und beliefernden Apotheken oder Herstellbetrieben treibt sie um: „Aus guten Gründen gehört es zu den Grundprinzipien der Gesundheitsversorgung, dass Ärzte nicht an dem verdienen sollen, was sie selbst verordnen. Umgekehrt ist es Arzneimittellieferanten nicht erlaubt, Arztsitze zu Vertriebszwecken aufzukaufen.“ Daher dürften Apotheken inzwischen auch keine Medizinischen Versorgungszentren mehr gründen. Um möglichem Fehlverhalten vorzubeugen, sollten Ärzte zudem nicht selbst auswählen, welche Apotheke die parenteralen Zubereitungen liefert.
Auch hier könnten apothekenseitige regionale Ausschreibungen einen Riegel vorschieben. Denn seit dem Verbot der regionalen Verträge der Krankenkassen dürfen Ärzte wieder uneingeschränkt selbst entscheiden, von welcher Apotheke sie die Zytostatika beziehen wollen. Das mache den Aufkauf der Praxen so attraktiv für die Lieferanten der Krebsmedikamente.
Im SZ-Bericht wird Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach zitiert, dass „sein Ministerium das Problem auf jeden Fall regulatorisch angehen müsse.“
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