Gerade die Nutzung von Gesundheitsdaten sorgt für Zündstoff. (Foto von Pietro Jeng auf Unsplash)
Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) geht selbstbewusst davon aus, dass „die Gesetze die notwendige Digitalisierung im Versorgungsalltag mit einer gemeinwohlorientierten Weiterverwendung von Gesundheitsdaten in der Forschung kombinieren.“
Kernaspekt des „Gesetzes zur Beschleunigung der Digitalisierung des Gesundheitswesens“ (Digital-Gesetz - DigiG) ist die elektronische Patientenakte (ePA), die 2025 für alle gesetzlich Versicherten angeboten und eingerichtet wird. Das „Gesetz zur verbesserten Nutzung von Gesundheitsdaten“ (Gesundheitsdatennutzungsgesetz – GDNG) soll eine bessere Verfügbarkeit von Gesundheitsdaten durch eine erleichterte Nutzbarkeit von Gesundheitsdaten für gemeinwohlorientierte Zwecke etablieren.
Laut Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach „starten wir mit diesen Gesetzen die dringend benötigte Aufholjagd bei Digitalisierung und Datennutzung. Durch eine schnelle und sichere elektronische Patientenakte bilden wir das Herzstück für eine bessere Behandlung und Forschung. Dabei wird künstliche Intelligenz Patienten und Ärzte revolutionär unterstützen.“
Ganz schön viele Buzzwörter: Digitalisierung, Daten, ePA und KI. Dementsprechend sind auch nicht alle d’accord mit dem Vorgaben. Vor allem bei den den Daten scheiden sich die Geister.
Die Reaktionen
Zum Gesundheitsdatennutzungsgesetz (GDNG) hat der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat eigens eine Stellungnahme über 13 Seiten veröffentlicht.
Darin heißt es: „... befürworten die hauptamtlichen unparteiischen Mitglieder des G-BA den Aufbau der Datenzugangs- und Koordinierungsstelle für eine zentrale sekundäre Datennutzung, die Übernahme einer zentralen datenschutzrechtlichen Aufsicht bei länderübergreifenden Forschungsprojekten sowie die Weiterentwicklung des Forschungsdatenzentrums Gesundheit. Es wird begrüßt, dass im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens bereits wichtige Punkte aufgenommen wurden, die in der Stellungnahme der hautpamtlichen unparteiischen des G-BA vom 14. August 2023 thematisiert wurden.“
Zum Gesetzentwurf eines Gesetzes zur Beschleunigung der Digitalisierung des Gesundheitswesens (Digital-Gesetz – DigiG) haben die hauptamtlichen unparteiischen Mitglieder auch eine Stellungnahme (14 Seiten) abgegeben.
Einleitend wird dort betont:
„Die hauptamtlichen unparteiischen Mitglieder des G-BA begrüßen weiterhin die im Gesetzentwurf der Bundesregierung (Regierungsentwurf) enthaltenen Maßnahmen zur Digitalisierung der Gesundheitsversorgung. Die bislang noch unberücksichtigt gebliebenen Vorschläge aus der Stellungnahme der hauptamtlichen unparteiischen Mitglieder des G-BA vom 31. Juli 2023 zum Referentenentwurf des Bundesministeriums für Gesundheit zur Unterstützung des Ausbaus der digitalen Kommunikationswege für die Umsetzung von Einladungen inklusive Informationen über Screening-Programme sowie die schnelle Aufforderung zur Abklärung von auffälligen Befunden über die elektronische Patientenakte (ePA) werden hier vertieft dargelegt.“
Freie Ärzteschaft: Ein „Unding aus Sicht von Ärzten und Patientenvertretern“
Der Bonner Medizinrechtsanwalt Dirk Wachendorf stärkt eine der Kernforderungen der Freien Ärzteschaft, kommerziellen Unternehmen und Krankenkassen keinen Zugriff auf sensible Patientenakten zu gewähren. So mahnt er an: „Minister Lauterbach plant mit diversen Gesetzen (Digitalgesetz und Gesundheitsdatennutzungsgesetz) einen völligen Paradigmenwechsel im Gesundheitswesen. Im Gegensatz zu der bisherigen Zustimmungslösung soll für die geplante elektronische Patientenakte (ePA) eine Widerspruchslösung greifen. Das heißt: Von jedem, der nicht aktiv widerspricht, werden die Krankheitsdaten zentral in der Cloud gespeichert. Diese Daten sollen zukünftig zu verschiedensten Zwecken genutzt werden können, auch von kommerziellen Firmen für gewinnorientierte Forschungen. So dürfen Krankenkassen beispielsweise aktiv auf Patienten zugehen und ihnen irgendwelche Vorschläge für medizinische Behandlungen machen.“
KBV: Kein Nutzen
Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) sieht keinen Nutzen im neuen § 25b SGB V aus dem GDNG, der den Krankenkassen die Möglichkeit einräumt, Abrechnungsdaten für eine bessere Beratung ihrer Versicherten aufzubereiten. Dr. Sibylle Steiner, Mitglied des KBV-Vorstands, argumentiert, dass die Daten nicht geeignet sind: „Es gibt kein valides Prognosemodell, um schwerwiegende Gesundheitsgefahren erkennen zu können.“
Bezüglich der Beratungskompetenz verweist sie auf Gefahren durch mögliche falsch-positive Diagnosen. Dies könnte zu einer starken Verunsicherung der Patienten führen.
Gesetze gehen in die richtige Richtung
Dass die Bestrebungen der jetzigen Regierung die Digitalisierung in Schwung brächten, darin sind sich viele Politiker:innen quer der Couleur einig. „Die Gesetze gehen in die richtige Richtung“, findet z. B. Erwin Rüddel MdB, CDU. Der Berichterstatter für Digitalisierung im Gesundheitswesen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und Mitglied des Ausschusses für Gesundheit begrüßt, dass Regierung und Opposition hier in die gleiche Richtung arbeiten.
Der SPD-Abgeordnete Matthias Mieves und Mitglied des Gesundheits- und des Digitalisierungsausschusses betont, dass gerade in der Prävention Deutschland Nachholbedarf hat und ist erleichtert über die digitale „Aufholjagd“. Er verweist darauf, dass viele europäische Nachbarn in der Digitalisierung weit voraus seien - Skandinavien beispielsweise 20 Jahre gegenüber Deutschland.
Dr. Susanne Ozegowski, Abteilungsleiterin Digitalisierung & Innovation im Bundesministerium für Gesundheit, verweist darauf, dass die elektronische Patientenakte (ePA) Herzstück des digitalen Schubs sei. Die jetzigen Gesetzespakete mit dem Digitalgesetz und dem Gesundheitsdatennutzungsgesetz seien ein Wendepunkt.
Sie nennt neben der Einführung der Opt-out-Regelung die Interoperabilität als Beispiele. Parallel hierzu seien grundlegende architektonische Umbauten bei der ePA notwendig, damit die Daten nicht nur sicher in der ePA gespeichert würden, sondern sie auch einfach genutzt werden können.
Wichtig sei, dass Versorgungsprozesse nicht mehr solitär gedacht, sondern zusammenhängend gestaltet werden. Deshalb werden künftig auch digitale Gesundheitsanwendungen (DiGAs) an die ePAs angebunden und Disease-Management-Programme (DMPs) digitalisiert.
Die im Digital-Gesetz angestrebte Integration von DiGA in Therapiebegleitung, wie das digitale Messen von Blutzucker im Rahmen einer medikamentösen Diabetesbehandlung, wird vom BAH positiv gesehen. „Digitale Gesundheitsanwendungen, die die Therapie unterstützen, bringen große Vorteile für die Patientenversorgung. Mit ihnen können medikamentöse Behandlungen genauer überwacht werden...“
VDGH-Geschäftsführer Dr. Martin Walger betont den Fokus des DigiG, der „auf der signifikanten Aufwertung Digitaler Gesundheitsanwendungen (DiGA) liegt, um sie noch effektiver in der Patientenversorgung einzusetzen ...“ Denn DiGA „unterstützen Versicherte im Umgang mit ihrer Krankheit und stärken das Arzt-Patienten-Verhältnis... Damit DiGA ihr volles Potenzial für die Gesundheitsversorgung entfalten können, muss sichergestellt werden, dass auch Anwendungen integriert werden, die diagnostische Daten einbeziehen. Hier besteht eine gesetzliche Regelungslücke, die mit dem Digitalgesetz geschlossen werden kann.“
IKK gesund plus-Vorstand Uwe Deh sagt ganz deutlich: „Die Verfechter des Datenschutzes agieren bisher sehr vormundschaftlich und die Dateneigner werden wie latent geschäftsunfähig behandelt.“
Er fordert, dass die Information und die Aufklärung in Zukunft an den Lebenswirklichkeiten der Menschen ausgerichtet werden. Die Möglichkeiten der Nutzung von Primärdaten für die Versorgung der Patienten ist für Krankenkasse ein wirklicher Quantensprung.
Die Versicherten hätten weniger Bedenken hinsichtlich der Auswertung ihrer Daten durch die Krankenkassen. Eine forsa-Umfrage des IKK e.V. im August 2023 hat gezeigt, dass 81 Prozent der befragten GKV-Versicherten es gut finden, wenn Kranken- und Pflegekassen die Daten ihrer Versicherten zur Verbesserung der Versorgung und der Patientensicherheit auswerten und ihre Versicherten ansprechen dürfen.
Der Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes, Jens Martin Hoyer, ist dieser Meinung: „Bei aller Kritik im Detail markiert das Digitalgesetz einen echten Wendepunkt in der Digitalisierung des deutschen Gesundheitswesens: Mit der Einführung der elektronischen Patientenakte für alle und der damit verbundenen Widerspruchslösung kann sich die ePA endlich zur zentralen Plattform für die Speicherung und den sicheren Austausch von Gesundheitsdaten entwickeln. Damit haben wir die Chance, dass sich auch der digitale Austausch von medizinischen Informationen und Dokumenten zwischen den Ärzten und Kliniken, die an der Behandlung beteiligt sind, ab 2025 deutlich verbessert.
Das Gesundheitsdatennutzungsgesetz wird ebenfalls wichtige Fortschritte bringen. Denn bei der effektiven und systematischen Nutzung von Gesundheitsdaten hinkt Deutschland im Vergleich zu vielen anderen europäischen Ländern hinterher. Daher ist es gut, dass die Politik dieses Thema anpackt, um beispielsweise die Entwicklung innovativer Forschungsansätze voranzubringen. Ein besonderes Lob verdient der Plan, den gesetzlichen Krankenkassen datengestützte Auswertungen zur Verbesserung des individuellen Gesundheitsschutzes und der Versorgung ihrer Versicherten zu ermöglichen. Das öffnet die Tür für zahlreiche sinnvolle Anwendungen.“
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