Gesundheitswesen: Aufholjagd Digitalisierung


Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach wiederholt sich. Aber wahrscheinlich gerne. Denn die „Digitalgesetze“ sind im Bundestag verabschiedet worden.

Kern des GDNG ist die erleichterte Nutzbarkeit von Gesundheitsdaten für gemeinwohlorientierte Zwecke. (Photo by Rodion Kutsaiev on Unsplash)

 

So betonte Lauterbach bereits vor einiger Zeit, dass mit dem sogenannten Gesetz zur Beschleunigung der Digitalisierung des Gesundheitswesens (Digital-Gesetz – DigiG) und dem Gesetz zur verbesserten Nutzung von Gesundheitsdaten (Gesundheitsdatennutzungsgesetz – GDNG) „wir für das deutsche Gesundheitswesen endlich das digitale Zeitalter einläuten.“

Fokus –  allerdings erst ab 2025 –  wird die elektronische Patientenakte (ePA) sein. Durch diese sollen Gesundheitsdaten ausgetauscht und genutzt werden können. Das überschneidet sich mit der gerade eben beschlossenen Pharmastrategie, die u.a. folgendes vorsieht: Mit dem Gesundheitsdatennutzungsgesetz soll auch Pharmaunternehmen auf Antrag die Forschung an Gesundheitsdaten ermöglicht werden.

So wird eben mit dem GDNG „Gesundheitsdaten für Forschung und Entwicklung von Innovationen besser erschlossen werden und damit zu einer besseren Versorgung beitragen. Kern des Gesetzes ist die erleichterte Nutzbarkeit von Gesundheitsdaten für gemeinwohlorientierte Zwecke. Dazu wird eine Gesundheitsdateninfrastruktur mit dezentraler Datenhaltung und einer zentralen Datenzugangs- und Koordinierungsstelle für die Nutzung von Gesundheitsdaten aufgebaut.“

Die einzelnen Aspekte zu den zwei Gesetzen lesen Sie weiter unten oder finden diese auch beim BMG.

Reaktion auf die verabschiedeten Digitalgesetze

Der langjährige ehemalige Leiter des IQWiG, Jürgen Windeler, findet, dass die elektronische Patientenakte naheliegend ist, um seine Gesundheitsdaten in elektronischer Form zu speichern und zur Verfügung zu haben. Aber: Die zweite Ebene, wer auf die Gesundheitsdaten zugreifen kann, ist für ihn schon komplizierter. Nachzuhören im Deutschlandfunk-Interview.

Dr. Kai Joachimsen, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Pharmazeutischen Industrie e. V. (BPI), findet, dass „es längst überfällig ist, dass wir das Potenzial von Gesundheitsdaten für die Behandlung von Patientinnen und Patienten ausschöpfen.“ 

Denn „wenn pharmazeutische Unternehmen diese Daten nutzen können, trägt das dazu bei, Erkrankungen besser zu verstehen, neue Therapien zu entwickeln, Krankheiten vorzubeugen und Versorgungsstrukturen weiterzuentwickeln.“ 

Deswegen ist er früh über „die Absicht, durch neue Instrumente wie der zentralen Datenzugangs- und Koordinierungsstelle sowie dem Konzept einer federführenden Datenschutzbehörde, bürokratische Hürden abzubauen. Insofern geht das heute verabschiedete GDNG in die richtige Richtung, weitere Maßnahmen müssen jedoch folgen.“ Wie die Anbindung weiterer Register an das Forschungsdatenzentrum, den Abbau weiterer bürokratischer Hürden bei der Beantragung und Durchführung von klinischen Studien sowie eine nutzenorientierte Auslegung der Datenschutzgrundverordnung.  

Dr. Hans-Peter Hubmann, Vorsitzender des Deutschen Apothekerverbandes (DAV), meint: „Dass das E-Rezept ab 2024 nun auch für die Arztpraxen verpflichtend eingeführt wird, ist nur konsequent.“ Und fühl noch hinzu: „Die elektronische Patientenakte kann ein wichtiger Bestandteil der Versorgung werden, muss dazu aber funktionsfähig und patientenfreundlich ausgestaltet werden. Es ist unabdingbar, dass auch die Apotheken zur Befüllung ebendieser ePA mit Medikationsdaten einen Beitrag leisten.“

Der Verband der Diagnostica-Industrie (VDGH) dagegen kritisiert die Einschränkungen des Gesetzes in der Definition von Digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA) und damit auch Digitalen Pflegeanwendungen (DiPA). Die Begründung: Während das DigiG den Schritt macht und die Gesundheits-Apps für höhere Risikoklassen der Medizinprodukte-Verordnung öffnet, bleiben alle DiGA und DiPA, die nach der IVD-Verordnung zugelassen sind, weiter ausgegrenzt.

Dr. Martin Walger, Geschäftsführer des VDGH, erklärt das am Beispiel von Diabetes Patient:innen: „Künftig können Diabetes-Patienten mit einem sensorgestützten Messsystem von DiGA profitieren. Die Mehrheit nutzt jedoch die teststreifenbasierten Blutzuckermessgeräte. Da diese im rechtlichen Sinne ein IVD sind, kann eine DiGA hier nicht aufsetzen. Die große Mehrheit der über 8 Millionen Menschen mit Diabetes geht in Deutschland leer aus.“

Die Punkte der Gesetze in der Übersicht

Digital-Gesetz (DigiG)

  • Die elektronische Patientenakte (ePA) wird ab Anfang des Jahres 2025 für alle gesetzlich Versicherten eingerichtet. Wer die ePA nicht nutzen möchte, kann dem widersprechen (Opt-Out). Für privat Versicherte können die Unternehmen der PKV ebenfalls eine widerspruchsbasierte ePA anbieten.
  • Mit der ePA erhalten die Versicherten eine vollständige, weitestgehend automatisch erstellte, digitale Medikationsübersicht. In enger Verknüpfung mit dem E-Rezept können so ungewollte Wechselwirkungen von Arzneimitteln besser erkannt und vermieden werden. Zudem werden Ärztinnen und Ärzte im Behandlungsprozess unterstützt.
  • Von Beginn an werden in der ePA auch weitere wichtige Behandlungsinformationen, wie beispielsweise Arztbriefe, Befundberichte oder auch Entlassbriefe, verfügbar gemacht.
  • Menschen ohne eigenes Smartphone werden ihre ePA in ausgewählten Apotheken einsehen können. Außerdem werden die Ombudsstellen der Krankenkassen diejenigen Versicherten bei der Ausübung ihrer Rechte unterstützen, die ihre ePA nicht über eine ePA-App verwalten.
  • Das E-Rezept wird weiterentwickelt, als verbindlicher Standard in der Arzneimittelversorgung etabliert und ein weiterer Zugangsweg per ePA-App eröffnet.
  • Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) werden tiefer in die Versorgungsprozesse integriert und ihr Einsatz transparent gemacht. Mit der Ausweitung der DiGA auf digitale Medizinprodukte der Risikoklasse IIb werden sie auch für komplexere Behandlungsprozesse – z.B. für das Telemonitoring – genutzt werden können.
  • Damit die Telemedizin fester Bestandteil der Gesundheitsversorgung wird, werden die Mengenbegrenzungen aufgehoben und mit der Ausweitung der Telemedizin auf Hochschulambulanzen, psychiatrische Institutsambulanzen und psychotherapeutische Sprechstunden neue Versorgungsmöglichkeiten eröffnet. Mit der assistierten Telemedizin wird zudem ein niedrigschwelliger Zugang zur Versorgung geschaffen.
  • Ein neuer Prozess für die Erstellung und Festlegung von Datenstandards sorgt dafür, dass Interoperabilitätsvorgaben von hoher Qualität und verbindlich einzuhalten sind.
  • Ein Digitalbeirat bei der gematik, der unter anderem mit Vertretern des Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (BfDI), des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI), der Medizin und Ethik besetzt sein wird, soll künftig die gematik bei all ihren Festlegungen mit abgewogenen Empfehlungen zu Fragen des Datenschutzes, der Datensicherheit, der Datennutzung und der Anwenderfreundlichkeit beraten.

 

Gesundheitsdatennutzungsgesetz (GDNG)

  • Eine zentrale Datenzugangs- und Koordinierungsstelle für die Nutzung von Gesundheitsdaten wird bürokratische Hürden abbauen und den Zugang für die Forschung erleichtern. Hier werden erstmalig pseudonymisierte Gesundheitsdaten aus verschiedenen Datenquellen miteinander verknüpft werden können. Die Zugangsstelle soll als zentrale Anlaufstelle für Datennutzende fungieren.
  • Die federführende Datenschutzaufsicht für länderübergreifende Forschungsvorhaben wird auf alle Gesundheitsdaten ausgeweitet. Die datenschutzrechtliche Aufsicht für länderübergreifende Forschungsvorhaben im Gesundheitswesen kann durch eine/n Landesdatenschutzbeauftragte/n koordiniert werden.
  • Das Forschungsdatenzentrum Gesundheit (FDZ) beim BfArM wird weiterentwickelt. Für die Antragsberechtigung ist nicht mehr ausschlaggebend, wer beantragt, sondern wofür. Entscheidend sind die im Gemeinwohl liegenden Nutzungszwecke. Das FDZ kann pseudonymisierte Daten mit den Krebsregisterdaten sowie Daten weiterer gesetzlich geregelter medizinischer Register verknüpfen, wenn dies für den antragsgemäßen Forschungszweck erforderlich ist und die Interessen der Versicherten hinreichend gewahrt werden.
  • Für die Datenfreigabe aus der ePA gilt künftig ein Opt-Out-Verfahren. Damit können Behandlungsdaten für Forschungszwecke besser nutzbar gemacht werden. Es werden ausschließlich Daten übermittelt, die zuverlässig automatisiert pseudonymisiert wurden. Es wird eine einfache Verwaltung der Widersprüche eingerichtet, damit Patientinnen und Patienten über die Freigabe ihrer Daten für die Forschung oder weitere Zwecke an das FDZ entscheiden können. Versicherte können ihren Widerspruch auch bei den Ombudsstellen der Krankenkassen erklären, wenn sie die ePA nicht nutzen oder ihren Widerspruch nicht digital erklären können oder möchten.
  • Kranken- und Pflegekassen dürfen auf Basis von ihnen bereits vorliegenden Daten personalisierte Hinweise an ihre Versicherten geben, wenn dies dem individuellen Schutz der Gesundheit der Versicherten dient, zum Beispiel der Arzneimitteltherapiesicherheit, der Erkennung von Krebserkrankungen und seltenen Erkrankungen oder zur Verhinderung einer Pflegebedürftigkeit.
  • Leistungserbringer und deren Netzwerke werden befähigt, ihnen vorliegende Versorgungsdaten für Forschung, Qualitätssicherung und Patientensicherheit zu nutzen. Für die Nutzung von Gesundheitsdaten besteht ein Forschungsgeheimnis. Forschende dürfen also Gesundheitsdaten nur wie gesetzlich gestattet nutzen und weitergeben. Bei Verletzung dieser Geheimhaltungspflichten gilt künftig eine Strafnorm.

 

Erhalten Sie jetzt uneingeschränkten Zugriff auf alle interessanten Artikel.
  • Online-Zugriff auf das PM-Report Heftarchiv
  • Aktuelle News zu Gesundheitspolitik, Pharmamarketing und alle relevanten Themen
  • 11 Ausgaben des PM-Report pro Jahr inkl. Specials
Mehr erfahren