KI in der Neurolgie wird immer wichtiger und birgt einiges an Potential. (Foto von Bret Kavanaugh auf Unsplash)
KI in der Neurologie
Dass Elon Musk mit seinem Unternehmen Neuralink die erste von der FDA zugelassene klinische Studie über das Einpflanzen von Computerchips in menschliche Gehirne durchführt, führt zu geteiltem Echo. Surjo Soekadar von der Charité forscht in gleicher Richtung und sieht darin enorme Chancen.
Soekadar war ein Keynote-Speaker auf der diesjährigen re:publica (5.-7. Juni 2023). Er entwickelt und erforscht innovative Neurotechnologien, um die Lebensqualität von Menschen mit neurologischen und psychiatrischen Erkrankungen zu verbessern. Mit seiner bisherigen Forschung konnte er beispielsweise Querschnittsgelähmten ermöglichen, mithilfe eines hirngesteuerten Hand-Exoskeletts – einer Art Stützstruktur – erstmals wieder selbständig zu essen und zu trinken. Menschen, die an schweren Depressionen oder Zwangsstörungen leiden, können durch die gezielte Beeinflussung des Gehirns mit Magnetfeldern behandelt werden.
Methoden kombiniert mit Künstlicher Intelligenz (KI) können diese Technologien nicht nur neue Behandlungsmethoden hervorbringen oder Lebensqualität verbessern, bedingen aber auch der Aufklärung. Soekadar möchte zu einem möglichst breiten öffentlichen Diskurs beitragen.
Gehirn-Computer-Schnittstellen
Im Vorfeld der re:publica ist er interviewt worden. Gefragt worden ist er z. B. woran er gerade arbeitet und betont aber auch die Probleme:
„Mein Team und ich arbeiten gerade an einer neuen Generation von Gehirn-Computer-Schnittstellen, die eine direkte Interaktion zwischen Gehirn und Maschine in beide Richtungen erlauben sollen, und zwar völlig kontaktlos über Magnetfelder. Aktuell wird viel über implantierbare Schnittstellen berichtet, z. B. über die Ansätze von Neuralink oder Synchron. Zwar hat eine Implantation den Vorteil, dass die Schnittstelle 24/7 einsatzbereit und unsichtbar ist, aber die Risiken von Blutungen und Infektionen ist nicht zu vernachlässigen. Zudem ist unklar, was passiert, wenn der Hersteller plötzlich pleite geht. Das Ganze ist also wirklich nicht massentauglich, sondern nur für wenige, die keinen anderen Weg haben sich mitzuteilen oder komplett gelähmt sind – wie zum Beispiel beim Locked-in-Syndrom, also einer totalen Bewegungs- und Sprachlosigkeit bei völligem Bewusstsein.
Außerdem müssen wir davon ausgehen, dass der dauerhafte Einsatz von Assistenzsystemen oder sogenannter augmentativer Technologien außerhalb medizinischer Anwendungen zu negativen Effekten führen kann. Ein Beispiel: Durch die Verfügbarkeit von GPS auf unseren Smartphones sind wir beispielsweise fast nicht mehr in der Lage, uns ohne Handy zu orientieren. Der Schuss kann also nach hinten losgehen.“
Dort sieht er Potential: „Als wir unsere nicht-invasiven Gehirn-Computer Schnittstellen regelmäßig zur Assistenz, zum Beispiel zur Steuerung eines Exoskeletts bei Handlähmung, eingesetzt haben, konnten wir etwas Überraschendes feststellen: Nach einem Monat konnte ein Teil der Patient:innen wieder selbständig greifen. Ich sehe also das Potential dieser Technologie weniger in der dauerhaften Assistenz, sondern in den Möglichkeiten, Erholungsprozesse im Gehirn anzustoßen.“
Das Gehirn ist kein Computer
Missverständnisse entstehen dadurch, weil „die meisten Menschen das Gehirn für einen Computer halten, der nach den gleichen Prinzipien funktioniert wie unser Laptop oder Smartphone. Die Wahrheit ist: Wir wissen nicht einmal, wie Informationen im Gehirn repräsentiert sind. Das macht das Auslesen von Informationen natürlich sehr schwierig. Aktuell haben wir weniger das Problem, Signale aus dem Gehirn auszulesen, sondern vielmehr diese Signale sinnvoll zu interpretieren. Grundsätzlich freue ich mich, dass Neurotechnologie so viel Aufmerksamkeit bekommt, allerdings sehe ich die Gefahr, dass übertriebene Erwartungen enttäuscht werden“, erklärt Soekadar.
Seine Empfehlung zum Thema sind:
„How neurotechnology could endanger human rights“ von Allan McCay beim TEDxSydneySalon, „Are brain implants the future of computing?“ von The Economist, sowie der „Neurotech Podcast“ von Loup Ventures.
Surjo R. Soekadar ist Professor für Klinische Neurotechnologie an der Charité-Universitätsmedizin Berlin, gefördert durch die Einstein Stiftung Berlin. Für seine wissenschaftliche Arbeit, die auch vom Europäischen Forschungsrat (ERC) gefördert wird, hat er Auszeichnungen erhalten, darunter den International BCI Research Award und die BIOMAG und NARSAD Young Investigator Awards.
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