Pharma-Standort Deutschland so unattraktiv wie nie


Der Trend geht abwärts. Experten zeigen sich beunruhigt angesichts der schlechten Konjunktur und stellen dem Industrie- und Pharmastandort Deutschland ein schlechtes Zeugnis aus. Was jetzt geschehen muss, um das zu ändern.

Eine neue VC-Agenda für Deutschland und Europa, Warum wir privates Wachstumskapital mobilisieren müssen und wie wir das schaffen. (Fotocredit: Bundesverband Beteiligungskapital e.V. (BVK) (Hg.), BVK/IEF/Schalast/LakeStar 2023)

Die Halbjahresbilanz für die chemisch-pharmazeutische Industrie fällt enttäuschend aus. Die Hoffnungen, dass nach einem milden Winter und deutlich gesunkenen Gas- und Strompreisen eine Erholung einsetzen würde, hätten sich nicht erfüllt, heißt es. 

Im Gegenteil: „Die Nachfrage nach Chemikalien nimmt ab. Die Zahlen für das erste Halbjahr sind rot und die Produktionskosten am Standort Deutschland nicht wettbewerbsfähig“, kommentierte Markus Steilemann, Präsident des Verbandes der Chemischen Industrie (VCI), die aktuelle Lage in einer Pressemeldung. Der VCI korrigiert seine Jahresprognose daher nach unten.

Die Zahlen im Detail:

  • Produktion sinkt im Vorjahresvergleich um 10,5%
  • Branchenumsatz geht um 11,5% zurück
  • Prognose 2023: Umsatz -14%, Produktion -8%
     

Ähnlich besorgt über den Pharma- und Industriestandort zeigte sich Rainer Westermann, Vorstandsvorsitzender der Life Sciences Acceleration Alliance e.V. (LSAA) in einem Kommentar. Die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands schwächele aktuell in vielen Bereichen. „Deutschland und Europa verlieren zunehmend an Boden – vor allem auf dem Gebiet der Life Sciences“, sagte Westermann. 

Überbordende Bürokratie, schleppende Digitalisierung, leistungsträgerfeindliche Steuerpolitik und Fachkräftemangel – für Unternehmer, Investoren und Gründer sei „Deutschland schon jetzt so unattraktiv wie nie zuvor“.

Für das zweite Halbjahr wenig Besserung in Sicht

Die Prognose für die nächsten Monate sieht daher düster aus. Angesichts der schwachen Industriekonjunktur geht der VCI für das Gesamtjahr 2023 von einem Rückgang der Produktion von 8% aus. Das Pharmageschäft herausgerechnet, dürfte die Chemieproduktion um 11% sinken.

Bei insgesamt rückläufigen Preisen erwarten die Fachleute, dass der Branchenumsatz insgesamt um 14% zurückgeht. Das Exportgeschäft (-12%) läuft dabei kaum besser als der inländische Absatz (-17%).

Herausforderungen für den Standort Deutschland

Die aktuelle Mitgliederbefragung des VCI förderte gleichzeitig zutage, dass die strukturellen Defizite des Standorts Deutschland Sorgen bereiten. „Der Glaube an den Standort Deutschland schwindet. Wir sind keine notorischen Schwarzseher. Aber dieses Klumpenrisiko aus hohen Energiepreisen und Unternehmenssteuern, schlechter Infrastruktur, Fachkräftemangel, Digitalisierungsstau und Bürokratiewahnsinn raubt unseren Unternehmerinnen und Unternehmern die Zuversicht“, erläutert Steilemann.

  • 80% der Unternehmen bewerten laut VCI-Befragung den Bürokratie- und den Regulierungsaufwand als erheblichen Standortnachteil. Nie zuvor war dieser Wert so hoch.
  • In Sachen Genehmigungsverfahren sieht es ebenfalls trübe aus. Das macht sich insbesondere beim Ausbau erneuerbarer Energien bemerkbar.
  • Insbesondere die Energiekosten bewerten fast 90% der Unternehmen im internationalen Vergleich als schlecht beziehungsweise sehr schlecht. Zwar seien die Stromkosten gesunken sind, aber sie liegen immer noch über dem Vorkrisenniveau. Zudem waren sie bereits zuvor ein entscheidender Standortnachteil.
     

Der VCI fordert daher eine „Offensive 2030“ die den Industriestandort fit machen soll, sodass die deutsche Wirtschaft im globalen Wettbewerb um die Märkte der Zukunft bestehen kann.

Aus Sicht des VCI muss eine Reform dafür sorgen, dass

  • Deutschland über eine sichere Energie- und Rohstoffversorgung sowie wettbewerbsfähige Preise für Strom und Gas verfügt.
  • der Bürokratiewahnsinn ein Ende findet, um das notwendige Tempo bei Genehmigungsverfahren zu ermöglichen.
  • eine nationale und europäische De-Regulierung erfolgt, die Freiraum schafft, um unternehmerische Lösungen für die anstehenden Herausforderungen zu finden.
  • der Standort Deutschland für in- und ausländische Arbeitskräfte und Investoren sowie für heimische Produktion und Importe attraktiv ist.
  • Deutschland wieder stärker die Europa-Karte spielt: Nur ein wirtschaftlich starkes Europa findet auch international politisches Gehör.
     

Was ein attraktiver Standort Deutschland braucht

Ähnliche Erkenntnisse liefert die Studie zum Venture Capital (VC) „Eine neue VC-Agenda für Deutschland und Europa“ des Bundesverbands Beteiligungskapital e.V.: Eine Transformation und Verbesserung der Situation sei nur durch den Dreiklang von Innovation, Wachstum und Wagniskapital möglich.

Anschließend daran fordert Westermann, dass die Regierung Regularien und bürokratische Hürden abbauen müsse und mehr Anreize für Investoren schaffen.

Dafür brauche es konkret:

  • Wir müssen über Wagniskapital aufklären, die Aversion gegenüber Risikokapital reflektieren und seine wichtige Rolle für das Ökosystem im Pharma- und Biotechnologiesektor verdeutlichen.
  • Wir müssen neue Kapitalquellen erschließen und schneller fließen lassen.
  • Wir müssen Regulierung verringern und junge Unternehmen und Start-ups finanziell besser aufstellen und umfassend unterstützen.
     

Westermann ist sich sicher: „Nur so hat Deutschland die Chance, wieder ein international wettbewerbsfähiger oder gar führender Pharma- und Biotechnologie-Standort zu werden und eine angestrebte Leitfunktion für die wissenschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung der Biotechnologie einzunehmen.“                                                                                

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