Standard Health Consent: Gesundheitsdatennutzung


Gesundheitsakteure und Politik stehen vor der großen Herausforderung, das Vertrauen der Bevölkerung in die Gesundheitsdatennutzung aufzubauen.

Stephanie Brückner: „Das Vertrauen der Bevölkerung in die Nutzung von Gesundheitsdaten ist ein langfristiger Prozess - es wird schneller zerstört als aufgebaut.“ (Foto von Mulyadi auf Unsplash)

 

„Die gemeinsame Nutzung von Gesundheitsdaten und Datenplattformen ist ein Thema, das mit großen Erwartungen für die Patientenversorgung und medizinische Innovationen verbunden ist – aber auch mit Bedenken hinsichtlich fehlender Einbindung der Bürger:innen und Datenkapitalismus“, erklärt Stefanie Brückner, wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Forschungsgruppe „Medical Device Regulatory Science“ von Prof. Stephen Gilbert am Else Kröner Fresenius Zentrum für Digitale Gesundheit an der TU Dresden.

Die fortschreitende Digitalisierung des Gesundheitssystems hat zu einer enormen Datenflut geführt.

Bei Stefanie Brückner haben wir nachgefragt, wie genau das Projekt „Standard Health Consent“ funktioniert.

PM—Report: Wo liegt denn der Knackpunkt: Dass es Unmengen von Gesundheitsdaten gibt oder dass sie noch nicht wirklich miteinander verbunden und ausgewertet werden können?

Brückner: Die fortschreitende Digitalisierung des Gesundheitssystems hat zu einer enormen Datenflut geführt. Neben den klassischen klinischen Daten wie Laborbefunden, Röntgenbildern und Scans hat vor die Verbreitung von Smartphones und Wearables zu einer vollkommen neuen Kategorie von Gesundheitsdaten geführt, den Patienten-generierten Gesundheitsdaten wie digitalen Symptomtagebüchern und Blutzuckermesswerten. Gleichzeitig bietet die Weiterentwicklung von Künstlicher Intelligenz, z. B. Large Language Models, neue Möglichkeiten, diese riesigen Datensätze zu verarbeiten und zu analysieren. Ein Knackpunkt ist jedoch, dass die Bürger:innen diese Daten auch für die medizinische Forschung freigeben.

PM—Report: Neu ist die Erwartung nicht, dass Symptome, Schrittzahl oder Herzfrequenz im Patientenalltag eine immer wichtigere Rolle bei der Prävention, Diagnose und Behandlung von Krankheiten sowie deren Erforschung spielen. Warum sind wir bei Gesundheitsdaten so zurückhaltend?

Brückner: Gesundheitsdaten sind von Natur aus sehr sensible Daten und genießen daher in der DSGVO einen besonderen Schutz. Wenn wir uns nun die Patienten-generierten Gesundheitsdaten anschauen, dann werden diese von den Bürger:innen im Alltag über Smartphones und Wearables aufgezeichnet. Das sind tiefe Einblicke, die nicht nur Rückschlüsse auf die Person selbst, sondern auch auf die Familie und das Umfeld zulassen. Trotz Pseudonymisierung besteht ein Risiko der Re-Identifizierung, vor allem, wenn verschiedene Datensätze miteinander verknüpft werden. Die Angst vor Datenmissbrauch, Diskriminierung und Ähnlichem ist bei den Menschen einfach groß. Gerade deshalb bedarf es sehr klarer und gut kommunizierter Strategien zur Einholung von Einwilligungen, zur Datennutzung und zur Data Governance.

PM—Report: Sie kritisieren die fehlende Einbindung der Bürger:innen und Datenkapitalismus. Warum?

Brückner: Der erste Entwurf zum EHDS beabsichtigt Patient:innen die Kontrolle über ihre Gesundheitsdaten zu geben, sieht aber keinerlei Kontrollmechanismen für die Bürger:innen wie Consent, Opt-in oder Opt-out aus der Sekundärnutzung der Daten vor. Dies wird zu Recht heftig kritisiert, zuletzt auch von der European Digital Rights Association (EDRi), die ein Opt-in fordert. Unser Ansatz des Standard Health Consent für die Weitergabe von Gesundheitsdaten aus Apps und Wearables setzt genau hier an. Bürger:innen können über ein digitales Consent-Cockpit jederzeit einsehen, welche Gesundheitsdaten aus welchen Apps sie mit wem teilen - und diese Einstellungen selbst verwalten und ändern. So erhalten sie Kontrolle und Transparenz. Der Datenkapitalismus als Geschäftsmodell boomt. Die meisten haben ein Gefühl der Ohnmacht oder Alternativlosigkeit und akzeptieren deshalb den Kontrollverlust über die Weitergabe ihrer Daten. Das sollten wir bei der Nutzung von Gesundheitsdaten nicht kopieren. Der EHDS bietet die Möglichkeit, von Anfang an starke Kontrollmechanismen zu integrieren und die Bürger:innen als echte Teilhaber einzubinden.

PM—Report: Dabei gehen Sie und Ihr Team einer Lösung nach: mit dem „Standard Health Consent“. Wie funktioniert das?

Brückner: Kernstück ist ein persönliches Consent-Cockpit, über das Bürger:innen ihre Gesundheits-Apps verknüpfen und ihren Consent für die Weitergabe von Gesundheitsdaten aus diesen Apps steuern können, beispielsweise die Freigabe für die eigene elektronische Gesundheitsakte oder auch die Freigabe für medizinische Forschungszwecke. Wenn neue Apps zum Profil verknüpft werden, können Nutzer:innen ihre präferierten Consent-Einstellungen automatisch an die neue Anwendung knüpfen. Auf diese Weise kann die Einwilligungsmüdigkeit überwunden werden, die sich bei vielen über die Jahre der Cookie-Tyrannei aufgebaut hat. 

Gleichzeitig ist ein weiteres zentrales Element der Informed Consent. D.h. in unserem Forschungsprojekt entwickeln wir Ansätze, wie Nutzer:innen nachhaltig über die Bedeutung von Gesundheitsdatennutzung und Risiken aufgeklärt werden können. Darstellung und Inhalte sind standardisiert, sodass Nutzer:innen den Umgang mit dem Tool nur einmal lernen müssen. Das System gibt nicht nur Kontrolle, Transparenz und Aufklärung für die Bürger:innen, sondern ermöglicht eben auch eine sichere, legale und faire Datennutzung für die Datennutzer.

PM—Report: Glauben Sie, dass dadurch das Vertrauen in die Gesundheitsdatennutzung aufgebaut werden kann?

Brückner: Das Vertrauen der Bevölkerung in die Nutzung von Gesundheitsdaten ist ein langfristiger Prozess - es wird schneller zerstört als aufgebaut. Deutschland bereitet sich mit dem Digitalisierungsgesetz und dem Gesundheitsdatennutzungsgesetz auf den EHDS vor. Dabei sind die Einführung der Opt-out ePA und die damit geplante Nutzung von Gesundheitsdaten kritische Momente für die gesellschaftliche Akzeptanz. Die Einwilligung, wie wir sie im Standard Health Consent beschreiben, ist ein Aspekt. Begleitet von einer transparenten Data Governance Strategie und klarer Kommunikation zur Gesundheitsdatennutzung können wichtige Weichen gestellt werden.

PM—Report: Was muss noch passieren, damit Patient:innen ihre Daten mit u.a. Pharmaunternehmen teilen?

Brückner: Umfragen und Studien belegen, dass ein Großteil der Bürger:innen bereit ist, Gesundheitsdaten für medizinische Forschungszwecke zu teilen. Dies zeigt sich zum Beispiel auch in erfolgreichen Projekten wie dem Corona Data Donation Project, bei dem 540.000 Teilnehmer:innen Daten aus ihren Fitnessarmbändern und Smartwatches geteilt haben. Auf der Website des Projekts wird dann in verständlicher Sprache über die Forschungsergebnisse berichtet. Das schafft Vertrauen. Misstrauen entsteht aber schnell, wenn Daten mit gewinnorientierten Unternehmen geteilt werden, ohne Informationen über den Anwendungsfall zu erhalten und ohne Kontrolle darüber zu haben. Aber genau hier können wir ansetzen. Kontrolle, Transparenz über die spezifische Nutzung und Information zu den daraus gewonnenen Forschungsergebnissen können echte Anreize sein, Gesundheitsdaten zu teilen. 

 

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