Strukturierte Patientendaten: Wirkliche Nutzung der Digitalisierung


Wer in einem Krankenhaus behandelt wird, kann seine Gesundheitsdaten für die Forschung „spenden“. Seit 2018 fördert das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) die Medizininformatik-Initiative (MII), um das Potenzial dieses Datenschatzes zu nutzen.

Daten zu strukturieren und austauschbar zu machen, ist die Grundlage, die Digitalisierung wirklich zu nutzen. (Foto von Alina Grubnyak auf Unsplash)

 

Forschungspartner sind dabei die Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) und das Uniklinikum Erlangen. Nun bekommt die Initiative insgesamt weitere 200 Mio. Euro. Prof. Dr. Hans-Ulrich Prokosch und Prof. Dr. Thomas Ganslandt, beide Lehrstuhl für Medizinische Informatik, sind federführend bei der Initiative.

Herausforderung: Unmengen an Daten

Ganslandt erzählt von den Herausforderungen: „Am Ausgangspunkt vor fünf Jahren saß jede der einzelnen Unikliniken – bildlich gesprochen – auf einem riesigen Topf von Daten. Viele davon werden dauerhaft gespeichert, etwa aus rechtlichen Gründen. Die meisten Daten wurden in der Vergangenheit jedoch nicht nachgenutzt. Uns ist es gelungen, quer über alle 34 Unikliniken in Deutschland eine aktive und vertrauensvolle Zusammenarbeit zu etablieren und uns auf Formate und Datenstrukturen zu einigen, die auch international anschlussfähig sind. Diese vereinheitlichten Daten stehen jetzt in der Breite erstmals in Deutschland für die Forschung zur Verfügung.

In den nächsten vier Jahren geht es um den „weiteren Ausbau der Infrastrukturen zur Datenintegration an allen deutschen Universitätskliniken und einem zentralen deutschen Forschungsdatenportal und es werden insgesamt elf neue Anwendungsfälle zur Nutzung der Daten gefördert. An sieben davon ist Erlangen beteiligt. Außerdem sollen auch Kliniken außerhalb der Universitätsmedizin und in einigen der Projekte auch niedergelassene Praxen in die MII integriert werden“, erklärt Prokosch. 

Datenintegration und Datensicherheit

Herausgekommen sind die Datenintegrationszentren (DIZ), die in den letzten fünf Jahren an den Universitätskliniken aufgebaut worden sind. Sie sammeln und speichern die Daten von Patientinnen und Patienten, die bei ihnen ambulant oder stationär behandelt wurden. Und eben diese neue Infrastruktur ermöglicht es, Daten zwischen der Patientenversorgung und der Forschung auszutauschen.

Bezüglich der Datensicherheit betont Ganslandt, dass die Daten „genauso gut geschützt sind wie in den normalen Informationssystemen der Krankenhäuser. Es gibt verschiedene Maßnahmen, um diesen Schutz weiter zu verbessern. Eine davon ist die Pseudonymisierung: Die Daten können nicht mehr ohne Weiteres Personen zugeordnet werden. An den Unikliniken sind hierzu Treuhandstellen aufgebaut worden, die die Pseudonymisierung vornehmen. Nur sie können die Daten wieder zuordnen. Die DIZ müssen immer die Treuhandstellen fragen, falls eine Zuordnung nötig ist.“

Einwilligung der Patient:innen

„Patientinnen und Patienten werden im Rahmen der Aufnahmeprozesse oder kurz danach gebeten, eine Einwilligung zu unterschreiben. Natürlich ist diese Einwilligung freiwillig. Im Unterschied zur Einwilligung für die Nutzung der Daten bei Klinischen Studien, bei denen die Forschenden genau beschreiben können, wofür sie die Daten nutzen, ist es bei der Erhebung von Krankenhaus-Routinedaten anfangs noch nicht klar, für welche Forschungsfragen und Projekte die Daten am Ende genutzt werden. Die Einwilligung für Klinische Studien wird deshalb Informed Consent genannt, die breite Zustimmung für die Datennutzung zu Forschungszwecken Broad Consent.“

Den Patient:innen ist es auch möglich, in Teilen zu zustimmen. 

Es gibt vier Module in der Einwilligungserklärung:

  • In Modul 1 können sie ihre Einwilligung für die Verwendung der Daten geben, die während ihres Krankenhausaufenthalts erhoben werden.
  • Mit Modul 2 können sie die Zustimmung erteilen, dass Bioproben, zum Beispiel Urin oder Gewebe, die bei Untersuchungen entnommen werden, ebenfalls für zukünftige Forschungsprojekte verwendet werden dürfen.
  • Modul 3 deckt die Nutzung der Daten ab, die außerhalb von ambulanten und stationären Aufenthalten im Uniklinikum erhoben werden, zum Beispiel in anderen Krankenhäusern und insbesondere in ärztlichen Praxen. Denn diese Informationen fehlen uns im Verlauf der Patientengeschichte.
  • Im Modul 4 fragen wir die Patientinnen und Patienten, ob sie einverstanden sind, für neue Forschungsprojekte wieder kontaktiert zu werden.

 

Beispiele aus der Praxis

Ganslandt gibt ein Beispiel: „Ein großes Projekt, an dem wir beteiligt sind, ist PM4Onco. Dabei geht es um personalisierte Medizin in der Onkologie, um Krebskranken die bestmögliche individuell angepasste Therapie zu bieten. Das Besondere ist, dass wir alle Datenquellen zusammenbringen, zum Beispiel aus der genetischen Diagnostik, aus der ganz normalen Tumordokumentation, aus der Vorgeschichte der Patient/-innen und auch aus dem Verlauf der Erkrankung nach der Therapie, um den vollständigen Krankheitsverlauf für die Forschung nutzbar zu machen.

Die Patient/-innen können zudem mit einer App ihren Gesundheitszustand dokumentieren, welche Therapiemaßnahmen durchgeführt wurden oder wie sie sich fühlen. Wir beziehen alle Informationen mit ein und können den Patient/-innen auch Informationen zurückspielen. Mit einer grafischen Aufbereitung können sie beispielsweise sehen, wo sie sich in ihrem Therapieverlauf befinden.“


Bei InterPOLAR geht es um die Vermeidung von Medikationsfehlern. Hier werden die Daten von Patient:innen untersucht, die viele Medikamente gleichzeitig einnehmen. Ziel ist es herauszufinden, bei welchen Personen das höchste Risiko für das Auftreten unerwünschter Wechselwirkungen besteht und sich daher im Krankenhaus ein Stationsapotheker bzw. eine Stationsapothekerin die Verschreibungen genau ansehen sollte.  

Beide Professoren finden, dass „die Daten strukturiert untereinander geteilt und damit austauschbar werden, schaffen wir die Grundlage, die Digitalisierung wirklich zu nutzen.“

 

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