3D-Druck von Medikamenten: Ein wirkliches Potenzial?


Die Technologie für 3D-Druck von Medikamenten entwickelt sich spannend, mit mehreren zugelassenen Medikamenten und laufenden Studien. 

3D-Druck von Medikamenten in Apotheken? Ist denkbar und wäre auch eine Erweiterung ihrer Möglichkeiten. (Foto von Rob Wingate auf Unsplash)

 

Spritam von Aprecia Pharmaceuticals, das 2015 von der FDA zugelassen wurde, war das erste 3D-gedruckte Medikament für Epilepsiepatienten. FabRx, ein in Großbritannien ansässiges Biotech-Unternehmen, führt die erste pädiatrische klinische Studie mit 3D-gedruckten Medikamenten in Europa durch, um die Wirksamkeit und Anpassung von 3D-gedruckten Medikamenten in realen Gesundheitsumgebungen zu untersuchen.

Wenn Apotheken maßgeschneiderte Pillen drucken könnten, die auf die spezifischen Bedürfnisse einer Patientin oder eines Patienten zugeschnitten sind und dabei Alter, Gewicht, Stoffwechsel und sogar genetisches Profil berücksichtigen, könnte dies die Einhaltung und Wirksamkeit von Medikamenteneinnahme revolutionieren. Denn die Patienten würden so genau die richtige Dosis in einer für sie am einfachsten einzunehmenden Form erhalten.

Der 3D-Druck könnte zudem eine dezentrale Arzneimittelherstellung ermöglichen, sodass Medikamente näher am Behandlungsort produziert werden können, was möglicherweise Kosten senkt und den Zugang in abgelegenen oder unterversorgten Gebieten verbessert.

Sind 3D-gedruckte Medikamente ein wirklicher Trend und über welches Potenzial verfügt diese Technik? 

Wir haben Prof. Dr. Anne Seidlitz, Heinrich Heine University Düsseldorf, Faculty of Mathematics and Natural Sciences | Institute of Pharmaceutics and Biopharmaceutics, gefragt.

PM—Report: Frau Prof. Dr. Seidlitz, warum birgt der 3D-Druck Potenzial gerade für individualisierte Therapien?

Seidlitz: Moderne industrielle Herstellungstechnologien sind hinsichtlich der Effizienz bei der Herstellung großer Stückzahlen optimiert. Ganze Abteilungen in pharmazeutischen Unternehmen beschäftigen sich mit Prozessplanung und -optimierung. Dabei liegt ein Fokus auf der Herstellung großer Chargen oder dem kontinuierlichen Betrieb von Anlagen, unter anderem um Rüstzeiten in denen die Anlagen stillstehen zu reduzieren. Typischerweise werden die gleichen Formate (z. B. Tablettenstempel) für alle Einheiten, die in einem Fertigungsprozess hergestellt werden, verwendet. Daher sind mit diesen Verfahren patientenindividuelle Dosierungen oder Formen industriell nicht wirtschaftlich herstellbar. Wenn es gelingt den 3D-Druck zu etablieren, kann beispielsweise die Form der Arzneiform einfach digital angepasst und an den Drucker übertragen werden. (...)

PM—Report: Das erste 3D-Druck-Medikament ist bereits seit 2015 zugelassen: Spritam, das das Antiepileptikum Levetiracetam enthält. Die 3D-Produktion macht eine hochporöse Struktur möglich, durch die sich die Tabletten in Sekundenschnelle im Mund auflösen. Gibt es weitere Zulassungen für 3D-gedruckte Medikamente?

Seidlitz: Spritam ist derzeit in den USA zugelassen und wird von der Firma Aprecia Pharmaceuticals hergestellt und vermarktet. Weitere 3D-gedruckte zugelassene Fertigarzneimittel sind mir nicht bekannt. Triastek Inc. hat die Erlaubnis zum Transport über die inneramerikanischen Staatsgrenzen, was eine Voraussetzung zur Durchführung von klinischen Studien in den USA ist, für mehrere Entwicklungspräparate von der US-Amerikanischen Zulassungsbehörde FDA (Food and Drug Administration) erhalten.

Auch die Firma FabRx aus Großbritannien führt in Europa zusammen mit Wissenschaftlern klinische Studien mit 3D-gedruckten Arzneimitteln durch und zahlreiche weitere Firmen arbeiten an unterschiedlichen 3D-Druck-Projekten. Dabei ist es wichtig zu wissen, dass es nicht eine einzige 3D-Drucktechnologie gibt. 

Unter dem Begriff 3D-Druck werden verschiedene additive Herstellungsverfahren verstanden, die auf ganz verschiedenen Materialien und Prozessen beruhen und dementsprechend unterschiedliche Chancen und Herausforderungen für die Überführung in die Arzneimittelherstellung besitzen. (...)

PM—Report: In welchen anderen Bereichen kann der 3D-Druck eine Lösung bieten?

Seidlitz: (...) Neben der Anpassung der Dosierung bei festen Arzneiformen sehen wir enormes Potenzial zur gezielten Veränderung der Wirkstofffreisetzung durch 3D-Druck, die individuelle Kombination von verschiedenen Arzneistoffen in einer Darreichungsform sowie für den 3D-Druck von Arzneimitteln, die individuell an die physiologischen Bedingungen des Patienten angepasst werden sollten. Dies kann beispielsweise bei Implantaten der Fall sein, die an die Anatomie des jeweiligen Patienten angepasst werden sollten. In diesem Forschungsgebiet gab es beispielsweise bereits einen individuellen Heilversuch der Medizinischen Hochschule Hannover mit einem arzneistofffreisetzenden Implantat für den äußeren Gehörgang, das einer Patientin eingesetzt wurde.

PM—Report: Welche Vorteile bringt das für Apotheken?

Seidlitz: Apotheken übernehmen in Deutschland seit vielen Jahrzehnten die wichtige Aufgabe der individualisierten Herstellung im Rahmen der Rezeptur. Hier werden momentan sehr viele halbfeste Zubereitungen, aber auch Kapseln und Zäpfchen sowie flüssige Arzneiformen (z. B. Parenteralia) hergestellt. Dies ist von unschätzbarem Wert für Patienten, für die geeignete Fertigarzneimittel nicht verfügbar sind. Dies ist beispielsweise bei Kindern mit seltenen Erkrankungen häufig der Fall, für die keine geeigneten kindgerechten und individuell dosierbaren Arzneiformen zur Verfügung stehen. (...)

PM—Report: Wie sieht es für Pharmaunternehmen aus?

Seidlitz: Auch hier bieten sich aus meiner Sicht zahlreiche Chancen. Ich halte es beispielsweise für mehr als unwahrscheinlich, dass Apotheken die zu verdruckenden Grundlagen vollständig selbst herstellen werden. (...) Ich bin sehr gespannt, in welche Richtungen sich die Unternehmen hier in den nächsten Jahren entwickeln werden. Nicht zuletzt wird auch spannend sein, wie sich die regulatorischen Behörden hierzu positionieren werden.

 

Das gesamte Interview lesen Sie in der Oktoberausgabe (10/24) des PM—Report.

Hintergrund: Additive Druckverfahren in der Medizin

Die additive Fertigung ermöglicht seit mehreren Jahrzehnten die Produktion von dreidimensionalen Objekten, indem Materialien in immer neuen Schichten aufgebaut werden. In der Medizin wird der 3D-Druck im Bereich der Implantate und Prothesen bereits eingesetzt und maßgeschneiderte Lösungen sind in einer vorher nicht erreichbaren Perfektion möglich. Aktuell wird der Einsatz von 3D-Druckverfahren in der Medikamentenherstellung erforscht – insbesondere im Bereich der individualisierten Therapie.

Beispiele sind:

  • Ein gedrucktes Silikon-Implantat, mit dem eine Gehörgangsstenose eines achtjährigen Mädchens behandelt wurde. Das Implantat hielt nicht nur den Gehörgang offen, sondern war mit Dexamethason und Ciprofloxacin beschichtet.
  • Ein weiteres Projekt kommt aus den USA, wo das erste 3D-Druck-Medikament bereits seit 2015 zugelassen worden ist: Spritam, das das Antiepileptikum Levetiracetam enthält und im 3D-Druckverfahren entstanden ist. Die 3D-Produktion macht eine hochporöse Struktur möglich, durch die sich die Tabletten in Sekundenschnelle im Mund auflösen.

 

Noch sind die mit 3D-Druck hergestellten Medikamente allerdings um ein Vielfaches teurer als herkömmlich produzierte Arzneimittel. Neben dem Arbeitskreis von Seidlitz forschen auch Wissenschaftler:innen des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE) in zwei Projekten an der Herstellung von Medikamenten und Implantaten mit einem 3D-Drucker. Die Mitarbeitenden der Klinikapotheke möchten in einer Machbarkeitsstudie aufzeigen, dass der 3D-Druck von Arzneimitteln in den digitalen Medikationsprozess des UKE integriert werden kann.

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