Antibiotika: Sinkende Verordnungen


Zwar sind die Antibiotika-Verordnungen nach 2020 und 2021 wieder gestiegen. Aber insgesamt ist die Tendenz der Verordnungszahlen seit 2013 sinkend. 

Der Verordnungsanteil von Reserveantibiotika blieb trotz des insgesamt wieder steigendenAntibiotika-Einsatzes stabil und lag zuletzt bei 42 Prozent. (Foto von Towfiqu barbhuiya auf Unsplash)

 

Das Wissenschaftliche Institut der AOK (WIdO) hat die Zahlen analysiert:

  • Die Zahl der Verordnungen von Antibiotika war in den Jahren 2020 und 2021 rückläufig.
  • Im Jahr 2022 sind sie wieder angestiegen: Mit knapp 31 Millionen Verordnungen liegt die Zahl der Verordnungen etwa zehn Prozent unter dem Wert von 2019, also vor Beginn der Corona-Pandemie.
  • Der Wert von 31 Millionen Verordnungen von Antibiotika entsprechen 733 Mio. Euro zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV).
  • Das entspricht fast jeder 25. ambulanten Verordnung in der GKV.
  • Der Verordnungsanteil von Reserveantibiotika blieb trotz des insgesamt wieder steigenden Antibiotika-Einsatzes stabil und lag zuletzt bei 42%.

 

Helmut Schröder, WIdO-Geschäftsführer, ordnet die Ergebnisse ein:

„Trotz des grundsätzlich positiven Trends werden Reserveantibiotika immer noch zu oft verordnet. Sie sollten den Leitlinien entsprechend nur im Bedarfsfall bei schweren bakteriellen Erkrankungen eingesetzt werden. Je sorgloser sie verordnet werden, desto resistenter werden Bakterien gegen Antibiotika. Die einstigen Wunderwaffen gegen Infektionskrankheiten werden durch ihren starken Einsatz sowohl in der Humanmedizin als auch in der Tierhaltung zunehmend stumpfer.“

Regionale Unterschiede

In einer Auswertung aller Verordnungen aus den 17 Kassenärztlichen Vereinigungen sind durchschnittlich 191 Standardantibiotika-Verordnungen und 176 Verordnungen von Reserveantibiotika je 1.000 Versicherte im Jahr 2022 verzeichnet worden.

Die Auswertung für die einzelnen Kassenärztlichen Vereinigungen zeigt beachtliche regionale Unterschiede: So lag der Verordnungsanteil der Reserveantibiotika in Hamburg mit 118 Verordnungen je 1.000 GKV-Versicherte am niedrigsten, während der Anteil in Hessen mit 227 Verordnungen je 1.000 GKV-Versicherte fast doppelt so hoch war. 

Bei den Gesamt-Verordnungen von Antibiotika lag das Saarland mit 444 Verordnungen je 1.000 GKV-Versicherte an der Spitze, die wenigsten Verordnungen gab es auch hier in Hamburg (276 Verordnungen je 1.000 Versicherte). 

Schröder findet: „Auch wenn bei dieser Betrachtung die Alters- und Geschlechtsstruktur der GKV-Versicherten wie auch deren Morbidität unberücksichtigt bleiben, liefert sie Hinweise darauf, dass regionale Informationskampagnen und Zielvereinbarungen das ärztliche Verschreibungsverhalten sinnvoll unterstützen können.“

Nötige, neue Wirkstoffe 

Das WIdO betont vor dem Hintergrund der aktuellen Auswertung, „dass neben einer zurückhaltenden Verordnung in der Human- und Tiermedizin auch Wirkstoffe mit neuen Wirkprinzipien benötigt werden, die in der Lage sind, die gegebenen Resistenzen zu überwinden.“ 

Und führt weiter aus: „Um betriebswirtschaftliche Anreize für die pharmazeutische Industrie zu schaffen, hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung 2018 bis zu 500 Millionen Euro für zehn Jahre bereitgestellt, mit denen unter anderem die Entwicklung neuer Antibiotika unterstützt werden soll. Diese öffentliche Förderung soll helfen, innovative Arzneimittel auf den Markt zu bringen.“

Pharmaindustrie: Entwicklung von nur wenig neuen Antibiotika 

Im Zuge des Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetzes (ALBVVG) hat das Bundeskabinett unter anderem verstärkte finanzielle Anreize für die Forschung und Entwicklung neuer Reserveantibiotika angekündigt. 

In den vergangenen zehn Jahren waren lediglich neun von insgesamt 362 Wirkstoffen, die neu in den Markt eingeführt worden sind, Antibiotika. Zudem entfielen von den im Jahr 2022 verordneten knapp 2.500 verschiedenen Wirkstoffen und Wirkstoffkombinationen nur 57 auf Reserveantibiotika. 

Lieferengpässe: Verstärktes Abweichen von Standardtherapie

Auch die in den letzten Jahren häufig berichteten Lieferengpässe bei ausgewählten Antibiotika könnten die angespannte Situation weiter verschärfen, befürchtet das WIdO. 

Vor allem von den Engpässen betroffen waren Standardantibiotika wie Amoxicillin, Phenoxymethylpenicillin und Ampicillin, aber auch Reserveantibiotika wie Cotrimoxazol und Cefaclor. 

Aber durch das Abweichen von der Standardtherapie durch die Nutzung eines anderen verfügbaren (Reserve-)Antibiotikums kann die Gefahr von Resistenzbildungen erhöhen. Diverse Fachgesellschaften haben im Zuge der Lieferengpässe erneut einen bewussten und gezielten Einsatz von (Reserve)-Antibiotika gefordert. 

Damit in Deutschland auch weiterhin ein Versorgungsengpass bei Antibiotika vermieden werden könne, müsse der Gesetzgeber durch ein verpflichtendes Meldeverfahren von pharmazeutischen Herstellern, Großhändlern und Apotheken für eine lückenlose Transparenz über die komplette Lieferkette für Antibiotika und andere Arzneimittel sorgen, fordert das Institut.

Grafik: WIdO

Reserveantibiotika sind Medikamente, die Mittel der zweiten Wahl darstellen und für deren Einsatz eine strenge Indikation vorgesehen ist. Sie sollten leitliniengetreu und nur im Bedarfsfall bei schweren bakteriellen Erkrankungen eingesetzt werden, um Resistenzbildung weitestgehend vorzubeugen.

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