Die DiGA sind als Therapieunterstützung oder als Ergänzung gedacht, einfach durch eine App. Doch die Vorteile sind noch nicht ganz angekommen. (Foto von Onur Binay auf Unsplash)
So wird am Anfang des Reports noch betont: „Zu wenig Detailwissen und falsche Erwartungen führen dazu, dass DiGA zurückhaltend verordnet werden. Es braucht vor allem mehr Detailwissen zu den Apps auf Rezept.“
Einige Ergebnisse im Überblick:
Allgemein
- Rund 600.000 Mal haben gesetzlich Versicherte in Deutschland eine App auf Rezept verordnet bekommen.
- Die 42 unterschiedlichen im Jahr 2022 verordneten DiGA wiesen insgesamt ein recht überschaubares Indikationsspektrum auf.
- Vier Fünftel aller Verordnungen entfielen auf die verordnungsstärksten sechs der 18 hier insgesamt differenzierten Anwendungskategorien (Bewegungsapparat, Adipositas, Tinnitus, Depressionen, Angst- sowie Schlafstörungen).
- Mehr als ein Drittel aller DiGA-Verordnungen erfolgte durch Hausärztinnen und Hausärzte.
- Bei einigen Anwendungskategorien dominierten jedoch andere Fachgruppen: So waren mehr als vier Fünftel aller Verordnungen der beiden Kategorien Bewegungsapparat sowie Tinnitus den Fachgruppen „Orthopädie, Chirurgie“ beziehungsweise „Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde“ zuzuordnen.
- DiGA werden weit überwiegend bei Personen im Erwerbsalter verordnet.
- Während geringe Verordnungsraten bei Jüngeren aus dem oftmals für DiGA-Anwendungen geforderten Mindestalter von 18 Jahren resultieren, deuten niedrige Verordnungsraten in höherem Alter jenseits des 70. Lebensjahres auf eine bislang geringere Affinität älterer Generationen zu digitalen Anwendungen hin.
Aus Sicht der Ärzt:innen
- Ein Drittel der Behandler:innen schätzen den eigenen Informationsstand als schlecht oder sehr schlecht ein. Vier Fünftel stimmten der Aussage zumindest teilweise zu, dass Informationen zu den einzelnen DiGA unzureichend seien, darunter 43% überwiegend oder vollständig.
- Als Informationsquelle zu DiGA wurden am häufigsten Fachzeitschriften angegeben.
- Das DiGA-Verzeichnis des BfArM hatten 45% der Behandler:innen nach eigenen Angaben noch nie genutzt.
- Rund 70% der Behandler:innen wurden bereits von Patientinnen oder Patienten auf DiGA angesprochen. Immerhin 56 Prozent der befragten Behandler:innen gaben an, in den vergangenen zwölf Monaten wenigstens eine DiGA selbst verordnet zu haben.
- Nur 2,5% der Befragten gab dabei Verordnungsmengen an, die im Jahresmittel der wöchentlichen Verordnung mindestens einer DiGA entsprach.
Aus Sicht der Krankenkasse
- Die Entwicklung von DiGA steht aktuell noch am Anfang.
- Durch Erweiterungen des Indikationsspektrums, aber auch durch einen Generationenwechsel bei den Versicherten sowie bei den Behandlerinnen und Behandlern sind merkliche weitere Zuwächse zu erwarten.
- Bislang bestehen teils erhebliche Informationsdefizite zu DiGA, denen durch eine optimalere Bereitstellung von Informationen begegnet werden sollte.
- Nicht alle DiGA werden angemessen lange genutzt – in digitalen Zeiten bei digitalen Anwendungen sollten auch seitens der Patientinnen und Patienten Probeanwendungen möglich sein, ehe die vollen Kosten zulasten der Krankenkasse abgerechnet werden.
- Ein Monitoring von Anwendung und Nutzen der DiGA erscheint aus Perspektive der Versorgungsforschung auch nach dauerhafter Aufnahme in das DiGA-Verzeichnis sinnvoll.
Konkretes Beispiel: ViViRA App
Dem Bericht zufolge ist die ViViRA App gegen Rückenschmerzen am häufigsten verordnet worden. Die BARMER-Befragung zeigt, dass 89,1% der Patient:innen mit ärztlichem Rezept die ViViRA-App nach Erhalt des Freischaltcodes auch aktivierten. 58,8% der Patient:innen nutzten die aktivierte App dann an mindestens 4 Tagen pro Woche, 83,4% nutzten die App an mindestens 2-3 Tagen pro Woche. 58,4% befolgten die ViViRA Therapie mindestens für die vollen 90 Tage der Verordnung, 80,8% wendeten die DiGA mindestens über einen vollen Monat an.
Am häufigsten verordnet wurde das Angebot an Vollberufstätige (41%), Teilzeitberufstätige (22%) und Rentner (28%). Die Verschreibung entfällt mit 73,4% auf Patientinnen. Die größte Altersgruppe der ViViRA Nutzer:innen waren die 35- bis 64-Jährigen.
Bewertung der Verordner:innen
Die Option zur Behandlung von Patient:innen mit DiGA wird so eingeschätzt: 77,6% der befragten Ärzt:innen sagten, dass die Therapie mit einer DiGA sehr häufig, häufig oder gelegentlich die Behandlung der Patient:innen insgesamt sinnvoll unterstützte. 22,3% gaben an, die DiGA hätte selten oder nicht sinnvoll die Behandlung unterstützt.
DiGA: In der Gesundheitsversorgung angekommen?
Für Dr. Philip Heimann, Gründer und Geschäftsführer der Vivira Health Lab GmbH, zeigt die Auswertung der Krankenkasse, dass „digitale Gesundheitsanwendungen nicht nur immer häufiger von Ärzt:innen verordnet werden, er zeigt auch, dass DiGA …. nach ärztlicher Verordnung erfolgreich aktiviert und genutzt werden. Für eine so junge Versorgungsform wie DiGA, gerade einmal etwas länger als 2 Jahre Teil der Regelversorgung, ist das ein großer Erfolg. Die Entwicklung zeigt deutlich, dass digitale Therapiekomponenten wie ViViRA ein immer wichtigerer Teil der Versorgung in Deutschland werden. Sie helfen, Menschen aus der Unterversorgung in die Versorgung zu bringen, indem sie konventionelle Zugangsbarrieren überwinden, Therapie unabhängig von Ort und Zeit ermöglichen und Patient:innen über zunehmende Personalisierung immer mehr ins Zentrum der Versorgung rücken.“
Etwas verhaltener sieht das Prof. Dr. med. Christoph Straub, Vorstandsvorsitzender der BARMER, der die Nutzung der DiGA als noch fragwürdig einstuft:
„Kenntnislücken sind wohl auch der Grund für das fragwürdige Nutzungsverhalten der Patientinnen und Patienten. Sie wissen oft nicht, was ihre DiGA leisten kann und wo ihre Grenzen liegen. Unter den für den Arztreport befragten Versicherten nutzen etwa 600 Personen den digitalen Helfer nicht über die vorgesehene Erstanwendungsdauer von 90 Tagen, darunter 230 weniger als einen Monat. Zum Teil brechen die Anwenderinnen und Anwender deren Nutzung auch deutlich früher ab. Bei einem solchen verkürzten Einsatz werden der gesetzlichen Krankenkasse jedoch die vollen Kosten in Rechnung gestellt, ohne dass DiGA einen tatsächlichen medizinischen Nutzen bringen.“
Er schlägt deswegen einen vorgeschalteten Testzeitraum von 14 Tagen vor:
„In dieser Zeit können die Versicherten prüfen, ob der Einsatz der DiGA ihnen wirklich liegt. Hier steht vor allem das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) in der Pflicht. Die Informationen müssen in dem dortigen DiGA-Verzeichnis einheitlich und verständlich dargestellt werden. Das wäre wichtig, um enttäuschten Erwartungen aus Patientensicht vorzubeugen. Nur so können sich die digitalen Anwendungen auf Dauer als wertvolle Hilfe etablieren und ein beständiger Teil des Versorgungsgeschehens werden.“
Den BARMER Arztreport 2024 finden Sie hier (mit Grafiken und Statements | 37 Seiten).
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