Biotechnologie: Schlüssel für die Medizin der Zukunft


Die Biotechnologie hat sich zu einer der zentralen Säulen medizinischer Innovation entwickelt. Aber die Pharmaverbände sehen noch viel Handlungsbedarf.

Gentherapien, Antikörper-gelenkte Therapien, personalisierte Tumorvakzine: Große wissenschaftliche Fortschritte kommen in der Biotechnologie aktuell in der Versorgung an. (Foto von BoliviaInteligente auf Unsplash)

 

Der Biotechnologie (oder auch Biotech, eine interdisziplinäre Wissenschaft, bei der es um die Nutzung von Enzymen, Zellen und ganzen Organismen in technischen Anwendungen geht) sowie den Gen- und Zelltherapien werden viel Potenzial zugesprochen: Lösungen für bislang unheilbare Krankheiten. 

Auch wird sich erhofft, dass die Versorgung durch Gentherapien, personalisierte Tumorvakzine und Antikörper-gelenkte Wirkstoffe transformiert werden kann. Diese Technologien stehen nicht nur für einen medizinischen Fortschritt, sondern markieren eine „Zeitenwende“ in der Gesundheitsversorgung, wie Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach auf dem Zukunftsforum am 21. November 2024 betonte.

Er ergänzte noch:

„Biotechnologie ermöglicht Behandlungsansätze, die bisher unvorstellbar waren. KI nimmt einen größeren Raum ein, Dauertherapien werden durch Einmal-Interventionen abgelöst, die bisherige Blockbustern-Ansätze (one size fits all) werden durch individualisierte, teils vor Ort produzierte Arzneimittel abgelöst. Zugleich führen die neuen Behandlungsansätze zu neuen Herausforderungen in der Versorgung. Die medizinische Biotechnologie steht vor einem Innovationssprung. In ihr steckt unglaubliches Potenzial. Sie kann die Lebensperspektive vieler Menschen verändern und die personalisierte Medizin revolutionieren. Sie eröffnet Chancen zur Heilung seltener und genetisch bedingter Erkrankungen, die bis vor Kurzem undenkbar schienen.“

Eine Revolution braucht verbesserte Rahmenbedingungen

Moderne biotechnologische Verfahren erlauben es, genetische Defekte zu korrigieren, das Immunsystem gegen Tumore zu mobilisieren und Krebszellen gezielt zu bekämpfen. Diese Entwicklungen stellen eine Abkehr von traditionellen Therapien dar, die häufig nach dem „One-size-fits-all“-Prinzip funktionieren.

Um das Potenzial dieser Therapien vollständig zu entfalten, fordern Vertreter der Pharmaindustrie, wie Dorothee Brakmann, Hauptgeschäftsführerin von Pharma Deutschland, bessere Rahmenbedingungen. Bürokratische Hürden, wie komplexe Genehmigungsverfahren und digitale Defizite, behindern derzeit Forschung und klinische Studien.

Vier Kernbereiche wurden als prioritär identifiziert:

  • Bürokratieabbau: Einheitliche und beschleunigte Genehmigungsverfahren für Forschungsprojekte.
  • Digitalisierung: Effizientere Identifikation von Studienteilnehmer:innen und bessere Nutzung medizinischer Daten.
  • Stärkung der klinischen Forschung: Transparente, laienverständliche Informationsportale sowie öffentlich-private Partnerschaften.
  • Innovative Vergütungsmodelle: Erfolgsorientierte Bezahlung und adaptive Nutzenbewertung.

 

Deutschland im internationalen Wettbewerb

Deutschland hat in den vergangenen Jahren erhebliche Fortschritte erzielt, etwa bei der Grundlagenforschung und der präklinischen Entwicklung. Dennoch droht der Standort international zurückzufallen. Während die USA und China mit Hunderten klinischer Studien jährlich führend sind, verzeichnete Deutschland 2023 lediglich 78 Studien zu Gen- und Zelltherapien. Diese Diskrepanz verdeutlicht den Handlungsbedarf, insbesondere im Transfer von Forschungsergebnissen in marktfähige Produkte.

Nationale Strategie für Gen- und Zelltherapien

Bis 2019 hatte Deutschland an diesem Trend nur geringen Anteil, wie der Biotech-Report 2020 von vfa und BCG konstatierte. In dem Report wird das Fazit gezogen: „Deutschland droht, bei der klinischen Entwicklung von Gen- und Zelltherapien und dem Transfer von Forschungsergebnissen in marktfähige Produkte den Anschluss an China und die USA zu verlieren. Nur eine starke Grundlagenforschung zu diesem Gebiet zu haben, genügt dafür nicht.“  Ein vitaler Standort für Gen- und Zelltherapien zeichnet sich dadurch aus, dass Institute, Unternehmen bzw. Kliniken in sechs „Disziplinen“ aktiv sind: Grundlagenforschung, präklinische Entwicklung, klinische Entwicklung, Produktion, Versorgung und Vernetzung. 

Für Deutschland würde das bedeuten:

  • Forscher:innen in Deutschland sind sehr aktiv in der Grundlagenforschung zu durch Gen- und Zelltherapien adressierbaren Krankheiten und biologischen Phänomenen, die für Gen- und Zelltherapien genutzt werden können. Da hat Deutschland laut der Studie „Technologische Souveränität Pharma/Biotech“ von Fraunhofer ISI (2023) seinen Output an themenbezogenen Fachpublikationen nach 2018 erheblich gesteigert, auf rund 600 im Jahr 2021 – gleichauf mit UK und nur überboten von China und den USA mit jeweils mehreren tausend Artikeln (aktuellere Zahlen sind leider noch nicht verfügbar).
  • Präklinische Entwicklung für konkrete Gen- und Zelltherapien findet ebenfalls in Deutschland statt. Hiesige Forschung zu als Vektoren geeigneten Viren ist beispielsweise in die Entwicklung einiger zugelassener Therapien eingeflossen. Entwickelt werden in Labors hierzulande unter anderem Gentherapien gegen angeborene Gendefekte, aber auch therapeutische mRNA-Impfungen für die Krebsbehandlung – sie zählen ebenfalls zu den Gentherapien. Einige davon haben auch schon das Laborstadium verlassen und werden mit Patient:innen erprobt.
  • An der klinischen Entwicklung, also bei Studien mit Patient:innen zur Erprobung von Gen- und Zelltherapien, wirken deutsche medizinische Einrichtungen vielfach mit. Für 2023 wurden 78 solche Studien gezählt, siehe „Monitor ATMP-Standort Deutschland“ des vfa. In UK waren es allerdings 84, in den USA und China jeweils mehr als 550. Erprobt werden hierzulande sowohl Therapien aus deutscher wie sonstiger präklinischer Entwicklung.
  • Für die kommerzielle Produktion von Gen- und Zelltherapeutika verfügt Deutschland über Ausrüster und Dienstleister. Entwicklungsarbeit fließt in die Teilautomatisierung von Herstellungsschritten. Einige Kliniken haben im Rahmen der „Hospital Exemption“ die Erlaubnis, unter ärztlicher Verantwortung und nur für einzelne Patient:innen Gen- oder Zelltherapeutika herzustellen, die keine formale Marktzulassung haben.
  • Versorgung der Patientinnen und Patienten: In Deutschland werden 13 der 15 zugelassenen Gentherapien und beide Zelltherapien zumindest in einigen Kliniken durchgeführt (eine weitere Gentherapie können deutsche Patient:innen in Mailand erhalten).
  • Vernetzung hat bereits in einigen Fällen zwischen verschiedenen im Themenfeld aktiven Playern stattgefunden. Dem Zweck, diese weiter zu fördern, dient auch seit März 2024 eine Kooperation von Deutscher Gesellschaft für Gentherapie (DG-GT) und vfa. Vier deutsche Einrichtungen (Kliniken oder Institute) wirken auch am EU-Programm Join4atmp.eu mit, das das wirtschaftliche Risiko der Entwicklung von Gen- und Zelltherapien senken und solche Therapien in der EU besser verfügbar machen soll. Deutschland ist also in allen „Disziplinen“ vertreten, aber die Aktivität ist noch ausbaufähig.

 

Mit der im Juni 2024 präsentierten Nationalen Strategie für gen- und zellbasierte Therapien wurde ein entscheidender Schritt unternommen. Das Strategiepapier, das unter Federführung des Berlin Institute of Health (BIH) erarbeitet worden ist, definiert Maßnahmen in acht Handlungsfeldern, darunter Vernetzung, Produktion und Versorgung. Ziel ist es, den Standort Deutschland nachhaltig zu stärken und Patienten den Zugang zu innovativen Therapien zu erleichtern.

Ein Blick in die Zukunft

Die Biotechnologie hat das Potenzial, die Lebensperspektive von Millionen Menschen zu verändern. Sie eröffnet Heilungschancen für seltene und genetisch bedingte Erkrankungen, die noch vor wenigen Jahren als unheilbar galten. Um dieses Potenzial auszuschöpfen, bedarf es eines entschlossenen Zusammenspiels von Politik, Wissenschaft und Industrie. Nur so kann Deutschland seine Rolle als Vorreiter in der biomedizinischen Forschung und Versorgung behaupten.

Das Zukunftsforum hat gezeigt: Die Basis für den Erfolg ist gelegt. Nun gilt es, konkrete Maßnahmen umzusetzen, um eine neue Ära der Medizin Wirklichkeit werden zu lassen.

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