DAK-AMNOG-Report: „Blinde Flecken“ im Arzneimittelmarkt


Der Fokus im aktuellen AMNOG-Report liegt auf dem GKV-FinStG und auf den (Aus-)Wirkungen des Gesetzes.

Laut AMNOG-Report zeichnet sich ab, dass sich die Ausgabendynamik 2024 weiter verschärfen wird. Denn u.a. liegen mittlerweile die durchschnittlichen Jahrestherapiekosten für neue Arzneimittel bei fast 400.000 Euro pro Patienten. Mit 8 Prozent lag der Anteil der Marktneueinführungen mit erheblichem oder beträchtlichem Zusatznutzen auf einem Allzeittief.  (Foto von Anastasiia Gudantova auf Unsplash)

Allgemeines Fazit

Im Zeitraum Februar bis April 2022 – und damit vor der Verabschiedung des GKV-FinStG – lagen die monatlichen GKV-Ausgaben für patentgeschützte Arzneimittel (auf Ebene des Apothekenverkaufspreises) bei 1,86 Mrd. Euro. Im gleichen Zeitraum 2023 beliefen sie sich auf 2,16 Mrd. Euro, 2024 stiegen sie um 18% auf 2,54 Mrd. Euro.

„Die ungebremste Ausgabendynamik auf dem Arzneimittelmarkt ist eine enorme Herausforderung für die Finanzstabilität der GKV. Durch die inkonsequenten politischen Maßnahmen gibt es jetzt einen enormen Handlungsdruck“, kritisiert Andreas Storm, Vorsitzender des Vorstands der DAK-Gesundheit.

Und er fordert: „Wir brauchen deshalb dringend eine einnahmenorientierte Ausgabenpolitik. Die Leistungsausgaben dürfen nicht schneller steigen als die Einnahmen, denn das können die Versicherten und die Wirtschaft auf Dauer nicht verkraften. Dies muss auch Konsequenzen für den Arzneimittelbereich haben. In Zeiten von Rekordausgaben und gleichzeitiger Rekordsteigerung der Umsätze ist es völlig unangemessen, weitere Maßnahmen auf Kosten der Beitragszahlerinnen und Beitragszahler zu beschließen.“

 

Fokus GKV-FinStG

Das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz (GKV-FinStG) hat das Ziel, die für die GKV „bedrohliche Kostendynamik bei patentgeschützten Arzneimitteln einzudämmen“, wie es im AMNOG-Report der DAK Gesundheit heißt.

Das kaum überraschende Ergebnis lautet: „Der AMNOG-Report 2023 sowie ein AMNOG-Kurzreport dieses Jahr zeigen, dass die Anpassungen des GKV-FinStG nicht ausreichten, um die exorbitante Ausgabendynamik im AMNOG-Markt zu stoppen.“

Auswirkungen des GKV-FinStG auf die Nutzenbewertung

  • von Orphan Drugs:

 

  • Bis Ende 2023 wurden 29 Orphan Drugs nach Überschreibung der Umsatzschwelle einer uneingeschränkten Nutzenbewertung („Vollbewertung“) unterzogen. Erst nach Überschreitung der Umsatzschwelle gilt ein Zusatznutzen für Orphan Drugs nicht mehr automatisch als belegt, was Einfluss auf die Höhe der zu verhandelnden Preise haben kann.
  • Unabhängig vom allgemeinen zeitlichen Trend zu mehr Vollbewertungen ergeben sich klare Hinweise auf einen Effekt der im Rahmen des GKV-FinStG vorgenommenen Absenkung der Umsatzschwelle. Allein im Jahr 2023, nach Inkrafttreten der Neuregelung wurden zehn Vollbewertungen von Orphan Drugs veranlasst.
  • Hinweise auf eine verbesserte Evidenzgrundlage der Nutzenbewertung von Orphan Drugs zeigen sich bislang nicht, sind aber im Hinblick auf den Planungshorizont klinischer Studien auch noch nicht zu erwarten.

 

  • auf die Nutzenbewertungsergebnisse aller Arzneimittel:

 

  • Seit Einführung des AMNOG bis Ende 2023 haben insgesamt 413 Wirkstoffe eine erstmalige frühe Nutzenbewertung durchlaufen. Im Durchschnitt wurde in 57 Prozent aller Erstbewertungsverfahren in mindestens einer Teilpopulation ein Zusatznutzen festgestellt.
  • Nach Einführung des GKV-FinStG wurden im Jahr 2023 insgesamt 38 Erstbewertungsverfahren abgeschlossen. Bei der Betrachtung der Zusatznutzenzuschreibungen fallen im Vergleich zu den Vorjahren insbesondere zwei Aspekte auf: Mit 20 Verfahren (53 Prozent) wurde im Jahr 2023 absolut wie relativ ein neues Allzeithoch bei den jährlichen Erstbewertungen ohne belegten Zusatznutzen erreicht. Ein Tiefststand zeigt sich zudem hinsichtlich der Erstbewertungen mit beträchtlichem oder erheblichem Zusatznutzen. Mit knapp 8 Prozent lag ihr Anteil im Jahr 2023 so tief wie nie und etwa 10 Prozentpunkte unter dem AMNOG-Durchschnitt. Zu beachten ist jedoch die kurze Zeitreihe und damit die geringe Datengrundlage.

 

  • auf Markteinführung und Marktrücknahmen:

 

  • Die durchschnittliche Zeit zwischen europäischer Zulassung und Markteintritt eines neuen Arzneimittels in Deutschland liegt seit Einführung des AMNOGs bei 124 Tagen. Die mediane Time-to-Market bewegt sich im Zeitverlauf auf einem Niveau zwischen 34 Tagen (2017) und 71 Tagen (2023).
  • Die mediane Time-to-Market der Produkte, für die nach Inkrafttreten der Regelungen des GKV-FinStG erstmals ein Nutzenbewertungsverfahren veranlasst wurde, liegt bei 64 Tagen. Auch der Mittelwert liegt mit 151 Tagen weit unter dem Durchschnitt der EU-27-Länder von etwa 517 Tagen.
  • Orphan Drugs kommen im Schnitt schneller auf den deutschen Markt als andere Arzneimittel. Die mediane Zeit von Zulassung bis zur Verfügbarkeit neuer Orphan Drugs liegt insgesamt bei 38 Tagen und nach Inkrafttreten des GKV-FinStG bei 45 Tagen.
  • Bis einschließlich April 2024 wurden 51 von insgesamt 457 AMNOG-Produkten (11,2 Prozent) in Deutschland außer Vertrieb gesetzt. Unmittelbar nach Inkrafttreten des GKV-FinStG waren im Jahr 2023 fünf Marktaustritte zu beobachten.
  • In der Regel handelt es sich bei den vom Markt genommenen Produkten nicht um neue Arzneimittel. So waren die zuletzt vom Markt genommenen Arzneimittel im Schnitt bereits 36 (Rücknahmen des Jahres 2023) bzw. sogar 63 Monate (Rücknahmen des Jahres 2024) im Markt.

 

Statement vom BPI

Der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) findet, dass „ ... die einseitige Fokussierung auf steigende Arzneimittelausgaben mit Blick auf eine Versorgungverbesserung grundsätzlich nicht zielführend ist. Arzneimittel sind eine effiziente und kostengünstige Form der Gesundheitsversorgung. Mit Arzneimitteln kann die Entstehung von Krankheiten vermieden beziehungsweise die Verschlechterung von Krankheitsverläufen aufgehalten werden. Auch können Erkrankungen gänzlich ausheilen. Gesundheitliche und gesellschaftliche Folgekosten lassen sich somit vermeiden, die sich ansonsten auch durch nichtmedikamentöse Behandlungen ergeben würden. So werden gesundheitliche und gesellschaftliche Folgekosten vermieden, die sich ansonsten beispielsweise auch durch nichtmedikamentöse Behandlungen ergeben. Zudem tragen Arzneimittel auch dazu bei, dass eine Teilhabe am Berufs- und Gesellschaftsleben auch in höherem Alter noch möglich bleibt. Die Devise müsste also lauten: Mit Arzneimitteln sparen, als an Arzneimitteln sparen.“

Aus dem Fazit:

Blinde Flecken gibt es auch im AMNOG. Das Schließen dieser Wissenslücken ist sowohl für die Beurteilung politischer Regulierung als auch für eine wirksame und faire Weiterentwicklung des Verfahrens essenziell. Der aktuelle DAK-AMNOG-Report zeigt dabei insbesondere zwei bedeutende blinde Flecken auf:

1. Die Ausgaben für hochpreisige Arzneimittel im Krankenhaus sind bislang ein relevanter gesundheitspolitischer blinder Fleck. Auf über 1,2 Mrd. Euro belaufen sich diese Ausgaben inzwischen pro Jahr – und das trotz regulativer Maßnahmen wie einem erhöhten Herstellerabschlag. Dieser ist inzwischen wie geplant ausgelaufen, weshalb auch zukünftig mit weiteren Ausgabenzuwächsen für hochpreisige Arzneimittel in Kliniken zu rechnen ist. Dass mehr Transparenz über diese Ausgabenentwicklungen dringend erforderlich ist, zeigt der DAK-AMNOG-Report.

2. Die geplante Einführung eines pauschalen Abschlags in Höhe von 20 Prozent auf Kombinationstherapien ist bislang nicht umgesetzt. Hintergrund ist ein Streit über die konkrete Ausgestaltung. Dabei geht es um die vermeintlich triviale Frage, wann die Abgabe von zwei potenziell kombinierbaren Arzneimitteln eine Kombinationstherapie ist. Der Report zeigt erstmalig, dass ein vom BMG vorgeschlagener Algorithmus nicht in der Lage ist, die mit dem GKV-FinStG formulierten jährlichen Einsparziele in Höhe von bis zu 185 Mio. Euro zu erreichen. Eine Schwäche liegt in dem bislang nicht vorgesehenen Einbezug von Arzneimittelumsätzen im Krankenhaus – auf dem „Krankenhausauge“ ist das AMNOG auch weiterhin blind.

Grafik: DAK AMNOG-Report 2024

In Beiträgen von Prof. Josef Hecken (Gemeinsamer Bundesausschuss), Dr. Antje Haas, Dr. Michael Ermisch und Dr. Barbara Wanjiku (GKV-Spitzenverband), Prof. Dr. Jörg Ruof (r-connect GmbH) sowie Dorothee Brakmann (Pharma Deutschland) werden die blinden Flecken im Markt aus ihrer Sicht beleuchtet und beurteilt.

Den DAK AMNOG-Report 2024 finden Sie hier (PDF, 102 Seiten).

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