DiGA-Markt: Strategieoptionen für Late Entries


Wie der „First Mover Advantage“ im DiGA-Markt ausgehebelt werden kann. 

Viele DiGA bilden einen „analogen“, Leitlinien gerechten Therapieansatz „digital“ ab. Damit ist der inhaltlich-therapeutische Innovationsspielraum in diesen Fällen eng begrenzt, Produktdifferenzierung kann also lediglich über die technische Umsetzung, z. B. modernere UI, erfolgen. (Foto von Adrian Regeci auf Unsplash)

 

Warum schaffen es die Second Mover-DiGAs in der gleichen Indikation nicht, die Verordnungszahlen der führenden DiGA im Markt zu erreichen? 

Die Antwort von Marcus Bergler, Business Angel und Advisory Board Member bei u.a. Digital-Health-Unternehmen.

Seit 14. Juli 2024 ist die Brustkrebs-DiGA optimune von GAIA nicht mehr im DiGA Verzeichnis gelistet - und zwar auf Initiative des Herstellers selbst. Die randomisierte kontrollierte Studie (RCT) zu optimune (als Voraussetzung für die permanente Listung) wurde vorzeitig gestoppt und zwar mit der Begründung, dass „…vor dem Hintergrund der zu erwartenden, nicht kostendeckenden Preise eine Fortsetzung der Studie nicht wirtschaftlich sei …“, so der CEO Dr. Mario Weiss in einer Pressemitteilung.

Die monokausale Argumentation, der zu erwartende Preis alleine hätte zu der Unternehmensentscheidung geführt, die Studie und damit die permanente Listung zu stoppen, vernachlässigt jedoch die Mengenkomponente.

Denn natürlich setzt sich der Umsatz (und damit die für Investitionen zur Verfügung stehenden Finanzmittel) aus Preis und Menge zusammen. Und darin liegt das eigentliche Problem von optimune und vielen anderen DiGA, die nach dem Marktführer in der jeweiligen Indikation gelauncht worden sind.

Es ist GAIA nicht gelungen, gegen den First Mover PINK! im Bereich der Brustkrebs DiGA signifikant Marktanteile zu gewinnen, wie die Verordnungszahlen aus dem 2024 DiGA Report der Techniker Krankenkasse belegen:

  • Hier werden für PINK! mit fünf Quartalen im Markt 1.143 ausgegebene Freischaltcodes für TK Versicherte aufgelistet, für optimune mit nur einem Quartal weniger im Markt lediglich < 100.
  • Die Relation wird sich mit hoher Wahrscheinlichkeit auf den gesamten GKV-Markt übertragen lassen, der optimune Umsatz reicht dann nicht, um die Zulassungsstudie und später auch noch den Vertrieb zu finanzieren.

 

Was zur Kernfrage führt: Warum schaffen es die Second Mover-DiGA in der gleichen Indikation (selbst bei sehr großen Indikationen, bei denen man davon ausgehen kann, dass das Patientenpotenzial bei weitem noch nicht ausgeschöpft ist) nicht, die Verordnungszahlen der führenden DiGA im Markt zu erreichen?

Eigentlich könnte man doch erwarten, dass in der Zwischenzeit z. B. die „DiGA Awareness“ in der Verordnerzielgruppe schon viel höher ist und der Vertrieb für „Late Mover“ damit einfacher werden müsste?

Vier grundsätzliche Einflussfaktoren lassen sich als Begründung identifizieren:

  1. Fehlende (bzw. schwer kommunizierbare) Produktdifferenzierung
  2. Early Adopter Potenzialausschöpfung
  3. Preis
  4. Evidenz

 

Fehlende (bzw. schwer kommunizierbare) Produktdifferenzierung

Viele DiGA bilden einen „analogen“, Leitlinien gerechten Therapieansatz „digital“ ab. Damit ist der inhaltlich-therapeutische Innovationsspielraum in diesen Fällen eng begrenzt, Produktdifferenzierung kann also lediglich über die technische Umsetzung, z. B. modernere UI, erfolgen. Dies wiederum als Alleinstellungsmerkmal an den verordnenden Arzt zu kommunizieren, ist extrem herausfordernd. Letztlich werden die „Late Mover“ in vielen Fällen somit nur als „Me Too“ Produkte wahrgenommen.

Early Adopter Potentialausschöpfung

„DiGA affine“ Early Adopter unter den Verordnern haben meist schon mit dem Marktführer Erfahrungen gesammelt. Diese sind dann entweder positiv und damit sind die Hürden, diese Zielgruppe von einer anderen DiGA zu überzeugen, sehr hoch. Oder aber die Erfahrungen mit den ersten DiGA Verordnungen sind negativ, dann werden diese Ärzte auch nur sehr schwer zum erneuten Einsatz einer anderen DiGA zu bewegen sein.

In letzter Konsequenz bedeutet das, dass in den meisten Fällen eine neue Zielgruppe jenseits der Early Adopters erschlossen werden muss, was insbesondere bei großen Facharztgruppen  (z. B. Hausärzte) mit erheblichem Aufwand verbunden ist.

Preis

Je nachdem, wann die zweite DiGA gelauncht wird und welche Pricingstrategie gewählt wird, stellt sich die Situation im schlechtesten Fall so dar, dass der First Mover bereits mehr als 12 Monate im Markt ist und somit einen niedrigen, verhandelten Preis hat, während der Late Entry einen hohen, selbstgesetzten Preis wählt. Auch wenn Ärzte DiGA nicht zulasten ihres Budgets verordnen, sind sie im Allgemeinen bei ihren Verordnungsentscheidungen doch sehr kostenbewusst und nutzen die DiGA Preise als Referenzpunkt.

Evidenz

Ähnliches gilt für die klinische Evidenz: eine permanent gelistete DiGA, mit nachgewiesener Evidenz, ist natürlich in der Wahrnehmung der verordnenden Ärzte einem vorläufig gelisteten, später in den Markt eintretenden, Wettbewerber überlegen.

Das Worst-Case-Szenario für einen Late Entry ist dann also eine Situation, in der ein undifferenziertes, als „Me Too“ wahrgenommenes Produkt, das teurer ist als der Marktführer und dessen Wirksamkeit schlechter belegt ist, mit dem führenden Produkt im Wettbewerb steht.

Die Strategieoptionen, um einen späteren Launch dennoch kommerziell erfolgreich zu machen, ergeben sich dabei stringent aus der Situationsanalyse mit den folgenden Handlungsfeldern:

  • Zulassungsstrategie: Zum Beispiel Pricing eher am führenden Wettbewerber und ggfs. Launch mit permanenter Listung (nachgewiesener klinischer Evidenz)
  • Zielgruppendefinition: Klares Verordner- und Patientenprofil
  • Produktpositionierung: Trennscharf und mit zielgruppenorientierter, personaspezifischer Kommunikation
  • Vertriebsstrategie: Effizienter Omnichannel Ansatz mit konsequenter ROI Betrachtung.

 

 

Grafik: Marcus Bergler

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Marcus Bergler

Business Angel und Advisory Board Member bei u.a. Digital-Health-Unternehmen

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