KI in der Medizin: Rolle der Kausalität


Lassen sich mit sogenanntem Kausalen Maschinellen Lernen (ML) Behandlungsergebnisse abschätzen – und zwar besser als mit bisher gängigen Machine-Learning-Verfahren?

Maschinen können lernen, nicht nur Vorhersagen zu treffen, sondern auch mit kausalen Zusammenhängen umzugehen. Das könnte helfen, Therapien effizienter, sicherer und individueller zu machen. (Foto von Tomas Sobek auf Unsplash)

 

Dieser Frage hat sich ein internationales Team um Prof. Stefan Feuerriegel, Leiter des Instituts für AI in Management an der LMU, gestellt. Die Antwort: Ja, es werde Wirksamkeit und Sicherheit von Behandlungen verbessern können.

Einschub: Was ist Causal ML

Das Kausale Maschinelle Lernen (oder engl.: Causal ML) zielt darauf ab, die Fähigkeit von Modellen für maschinelles Lernen so zu verbessern, dass kausale Beziehungen in Daten erfasst werden können.

Modelle des maschinellen Lernens stützen sich häufig auf Korrelationslernen, also auf die Fähigkeit, Muster in Daten zu finden, um Vorhersagen zu treffen. Diese Fähigkeit kann jedoch in Situationen begrenzt sein, in denen ein tieferes Verständnis der zugrunde liegenden kausalen Beziehungen erforderlich ist. Die kausale Inferenz beim maschinellen Lernen versucht, diese Einschränkung durch den Einsatz von Techniken und Algorithmen zu überwinden, die die kausalen Beziehungen zwischen Variablen berücksichtigen.

„Über Ursache und Wirkung nachzudenken, bleibt am Menschen hängen“, sagt Rüdiger Pryss, Professor für Medizininformatik am Institut für Klinische Epidemiologie und Biometrie der Universität Würzburg. Denn in der Medizin geht es oft darum, in Patientendaten Muster zu finden, um die Patienten in Gruppen einzuteilen, für die jeweils spezifische Therapien gefunden werden können.

Geschieht das mit den gängigen Methoden des maschinellen Lernens, bleibt aber die Frage, warum jemand in einer bestimmten Gruppe gelandet ist, oft unbeantwortet. Die Maschinen können die Gründe für ihre Entscheidungen nicht erklären, und der Mediziner bekommt auch zu wenige Anhaltspunkte, um sie nachvollziehen zu können.

Gerade in der Medizin sei es aber unerlässlich, den Menschen an der richtigen Stelle einzubeziehen. Nur er kann den Ergebnissen der Algorithmen Sinn verleihen und muss letztlich auch die daraus abgeleiteten Therapieansätze verantworten.

Pryss plädiert deswegen dafür, nicht jedes Problem mit maschinellem Lernen „erschlagen“ zu wollen: „Es gibt sehr mächtige statistische Verfahren, die lange erprobt sind und oft besser zu einem speziellen Anwendungssystem passen.“ erklärt er. Die seien teils so eindeutig, dass sie das Ursache-Wirkung-Problem weniger aufkommen ließen. Wegen des aktuellen KI-Hypes würden aber viele Anwender instinktiv auf maschinelles Lernen setzen.

Neue Variante des Machine-Learnings: Erweiterte Möglichkeiten


Das Team um Feuerriegel kommt im Rahmen ihrer Analysen zu dem Fazit, dass insbesondere die neue Machine-Learning-Variante „eine Fülle von Möglichkeiten biete, Behandlungsstrategien zu personalisieren und damit die Gesundheit der Patienten individuell zu verbessern.“  

Denn viele Fragen, die sich bei Therapieentscheidungen stellen, bergen eben kausale Probleme. Beispiel Diabetes: Klassisches ML würde darauf abzielen vorherzusagen, wie wahrscheinlich eine Erkrankung ist, wenn der Patient eine Reihe von Risikofaktoren mitbringt. Mit Kausalem ML könnte man im Idealfall beantworten, wie sich das Risiko verändert, wenn der Patient ein Anti-Diabetes-Mittel bekommt, eine Ursache (Medikamentengabe) also eine Wirkung hat. Es wäre auch möglich abzuschätzen, ob ein anderer Behandlungsplan besser wäre als etwa das häufig verabreichte Medikament Metformin.  


Jonas Schweisthal, Doktorand in Feuerriegels Team, erklärt aber, dass „die Modelle lernen müssen, Fragen nach dem Muster ,Was wäre, wenn‘ zu beantworten. Wir geben der Maschine Regeln dafür mit, die kausale Struktur zu erkennen und das Problem richtig zu formalisieren.“  

Die Hoffnung der Forscher ist es, dass auch dort, wo es bislang keine zuverlässigen Behandlungsstandards gibt oder wo aus ethischen Gründen keine randomisierten Studien möglich sind (weil diese immer auch eine Placebogruppe einschließen), man aus den verfügbaren Patienten-Daten potenzielle Behandlungsergebnisse abschätzen und so Hypothesen für mögliche Behandlungspläne bilden kann. 

Möglich sollte es auch sein, mit Real-World-Daten die Patientenkohorten in den Abschätzungen immer präziser zu beschreiben und so einer individuell zugeschnittenen Therapieentscheidung näherzukommen.  


„Die Software, die wir für kausale ML-Methoden in der Medizin brauchen, gibt es nicht out of the box“, dafür sei eine „komplexe Modellierung“ der jeweiligen Problemstellung nötig, „bei der KI-Experten und Mediziner eng zusammenarbeiten“, betont Feuerriegel. In anderen Anwendungsgebieten, etwa dem Marketing, sagt Feuerriegel, sei das Arbeiten mit Kausalem ML schon seit ein paar Jahren in der Erprobungsphase. „Unser Ziel ist es, die Methoden auch einen Schritt näher an die Praxis zu bringen ..., in die es in den kommenden Jahren gehen könnte.“

 

Originalpublikation:

Stefan Feuerriegel, Dennis Frauen, Valentyn Melnychuk, Jonas Schweisthal, Konstantin Hess, Alicia Curth, Stefan Bauer, Niki Kilbertus, Isaac S. Kohane und Mihaela van der Schaar: Causal machine learning for predicting treatment outcomes. Nature Medicine, 2024

Erhalten Sie jetzt uneingeschränkten Zugriff auf alle interessanten Artikel.
  • Online-Zugriff auf das PM-Report Heftarchiv
  • Aktuelle News zu Gesundheitspolitik, Pharmamarketing und alle relevanten Themen
  • 11 Ausgaben des PM-Report pro Jahr inkl. Specials
Mehr erfahren