Krankenhausreform: Notbremse oder Kostenlawine?


Das Ziel der Krankenhausreform: Unnötige Klinikschließungen vermeiden und flächendeckend eine hochwertige Versorgung auch in ländlichen Regionen sicherstellen. Funktioniert das?

Die deutschen Krankenhäuser sind teilweise auch selber Notfälle. (Foto von camilo jimenez auf Unsplash)

 

Kritiker, die nicht erst seit gestern lautstark sind, meinen ganz klar: Nein. Befürworter oder mäßige Kritiker finden, dass das Krankenhauswesen endlich angepackt und umstrukturiert werden muss.

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach machte klar: 

„Mit der Krankenhausreform zieht die Bundesregierung die Notbremse. Ohne die Strukturen der stationären Versorgung zu ändern, drohen Klinik-Insolvenzen, schlechte Behandlung und weite Wege. Mit der Reform können wir dagegen in einer alternden Gesellschaft gute stationäre Behandlung für alle gewährleisten. Das Krankenhaus auf dem Land, die Geburtsstation in erreichbarer Nähe, eine schnelle Versorgung im Notfall und hervorragende Qualität bei komplizierten Eingriffen – diesen berechtigten Ansprüchen der Patientinnen und Patienten müssen wir gerecht werden. Fallpauschalen, die momentan oft das medizinische Handeln bestimmen, werden wir deshalb durch Vorhaltepauschalen und Qualitätsvorgaben ersetzen. Dann bestimmt der medizinische Bedarf die Behandlung, nicht die Ökonomie.“

Wo setzt die Reform an

Diese Fallpauschalen sollen durch ein System der Vorhaltepauschalen abgelöst werden. So sollen Kliniken hauptsächlich dafür Geld erhalten, dass sie ausreichend Personal oder bestimmte medizinische Geräte bereithalten. Nicht mehr alle Krankenhäuser werden nach der Reform nach alle Behandlungen durchführen, sondern sich auf bestimmte Angebote spezialisieren.

Blockade gegen die Reform

Was Lauterbach als „Notbremse“ in der Krankenhauslandschaft bezeichnet, sehen Krankenkassen als Kostenlawine. Von Patientenschützern und aus den Bundesländern kommt ebenso Kritik: Der Gesundheitsminister wolle durch Qualitätsvorgaben indirekt die Krankenhausplanung zentralisieren. Baden-Württembergs Gesundheitsminister Manfred Lucha drohte mit einer Blockade der Gesetzespläne im Bundesrat durch den Vermittlungsausschuss. Der Präsident des Deutschen Landkreistages, Reinhard Sager, befürchtet, dass es durch die Reform zu weiteren Kliniksterben auf dem Land kommen wird.  Die Vorsitzende des Marburger Bunds, Susanne Johna, findet, dass sich bei näherem Hinsehen die Reform als „Etikettenschwindel“ entpuppt.

Und wie immer, wenn es um Änderungen geht, geht es um eines: Geld.

Sager kritisiert, dass der Bund nicht genügend Mittel zur Verfügung stellt. Stefanie Stoff-Ahnis, Vorständin des GKV-Spitzenverbandes, rechnet vor: „Der Krankenhaustransformationsfonds soll 50 Milliarden Euro umfassen, von denen die gesetzlichen Krankenkassen 25 Milliarden Euro übernehmen sollen. Die private Krankenversicherung ist mit 0 Euro beteiligt. Dies sind 25 Milliarden Euro aus den Portemonnaies der Beitragszahlenden für eine staatliche Aufgabe, bei der noch nicht mal klar ist, in welche Richtung, mit welchem konkreten Zielbild die Krankenhäuser überhaupt transformiert werden sollen.

Die gesetzlichen Krankenkassen haben im letzten Jahr aufgrund von Millionen von einzelnen Rechnungen 94 Milliarden Euro an die Krankenhäuser überwiesen. Die systematische, automatisierte Abrechnungsprüfung soll abgeschafft werden. Stichprobenartige Prüfungen von Rechnungen schaffen zunehmend Schlupflöcher für überhöhte Abrechnungen gegenüber den Krankenkassen. In dieser Form ist die geplante Abschaffung der etablierten, bereits quotierten, Abrechnungsprüfung mit dem Wirtschaftlichkeitsgebot nicht vereinbar.“

Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) schlägt in die gleiche Kerbe: „Wir müssen konstatieren: Die von Karl Lauterbach immer wieder als Entökonomisierung angepriesene Vorhaltefinanzierung, hält nicht ansatzweise das, was der Gesundheitsminister versprochen hat. Vor allem kleineren Kliniken in der Fläche droht das Aus, weil sich deren Finanzierungsgrundlage nicht verbessert. Aber auch für Krankenhäuser mit Spezialaufgaben droht die Vorhaltefinanzierung zum Fiasko zu werden, weil zusätzliche Patientenbehandlungen, die sie aus kleineren Standorten übernehmen sollen deutlich schlechter vergütet werden als im heutigen Finanzierungssystem … Im Blindflug in ein neues Finanzierungssystem zu starten, in dem sich dann rund 70 Milliarden Euro in veränderter Art und Weise auf die Krankenhäuser verteilen, ist ein unverantwortliches Vabanquespiel der Politik.“

Andere Reaktionen

Bitkom-Hauptgeschäftsführer Dr. Bernhard Rohleder findet, dass „die Krankenhausreform einige gute Ansätze enthält, um die aktuellen Herausforderungen der Kliniken anzugehen.“ Aber: „(Sie) lässt wesentliche Potenziale der Digitalisierung ungenutzt. In deutschen Krankenhäusern sind bereits zahlreiche digitale Anwendungen und Verfahren im Einsatz. Für eine optimale Versorgung der Patientinnen und Patienten müssen die Kliniken aber noch viel digitaler werden. Es braucht einen Innovationsschub … Aus Digitalperspektive muss es um einen konsequenten Ausbau der Telemedizin gehen. Sie wird künftig bei Diagnostik, Therapie, Verlegung oder während Operationen unverzichtbar, um eine flächendeckende und nahtlose Versorgung sicherzustellen. Auch eine digitale und telemedizinische Verknüpfung von stationärem und ambulantem Bereich sollte künftig Standard sein. Die Digitalisierung darf nicht an den Außenmauern des Krankenhauses enden, sondern muss alle Akteure des Gesundheitssektors miteinander verbinden. Nur so kann eine effiziente und optimale Versorgung der Patientinnen und Patienten sichergestellt werden. Bei der Digitalisierung des Gesundheitssystems wurden zuletzt große Schritte gemacht. Mit gleichem Elan sollte nun auch die Digitalisierung der Kliniken vorangetrieben werden.“ 

VdK-Präsidentin Verena Bentele weist darauf hin, dass „angesichts der aufgeheizten Stimmung um das Krankenhausgesetz viele vergessen, worum es wirklich gehen sollte: die Patientinnen und Patienten. Vieles von dem, was das Bundesgesundheitsministerium erarbeitet hat, hat das Potenzial, die Qualität des Gesundheitssystems im Sinne der Patientinnen und Patienten erheblich zu verbessern. Dazu zählen weniger finanzieller Druck für Krankenhäuser, bessere Verzahnung von ambulanter und stationärer Versorgung und die Möglichkeit, die besten Ärztinnen und Ärzte für die eigene Operation schnell zu finden.

Aber: Im jetzt anstehenden Gesetzgebungsprozess muss dringend noch an der Finanzierung gearbeitet werden. Es kann nicht sein, dass die gesetzlich Versicherten allein zur Kasse gebeten werden. Das würde zu extremen Beitragserhöhungen führen. Der VdK fordert, die Privatversicherten in die Finanzierung der 25 Milliarden Euro für die Transformation einzubeziehen oder diese aus Steuermitteln zu bezahlen.“

Und sie betont noch: „Unser Gesundheitssystem ist zu teuer und zu wenig effektiv. Keine Veränderung ist leicht und besonders so große Veränderungen kommen einigen sicher unmöglich vor. Aber wir müssen diese bittere Pille schlucken, damit unser Gesundheitssystem nicht irgendwann zusammenbricht.“

 

Die Krankenhausreform im Überblick

  • Den Krankenhäusern wird der ökonomische Druck genommen: Durch eine Vorhaltevergütung sollen bedarfsnotwendige Krankenhäuser künftig weitgehend unabhängig von der Leistungserbringung zu einem relevanten Anteil gesichert werden. Kurzfristig wird die Berechnungsgrundlage für die Bezahlung der Krankenhäuser (Landesbasisfallwert) angepasst.
  • Für Stroke Units, Traumatologie, Pädiatrie, Geburtshilfe, Intensivmedizin, Koordinierungsaufgaben, Unikliniken, Notfallversorgung werden zusätzliche Mittel gewährt.
  • Um die Qualität der Versorgung zu verbessern, werden Kriterien für 65 Leistungsgruppen (LG) definiert und sämtliche Leistungen der Krankenhäuser eindeutig einer der Leistungsgruppen zugewiesen.
  • Die Verantwortung der Länder für die Krankenhausplanung bleibt unberührt. Sie entscheiden, welches Krankenhaus welche Leistungsgruppen anbieten soll.
  • Für eine Zuweisung von Leistungsgruppen müssen Qualitätsstandards eingehalten werden. Voraussetzung für die Zuweisung von Leistungsgruppen ist die Erfüllung von bundeseinheitlichen Qualitätskriterien.
  • Die Erfüllung der Qualitätskriterien ist grundsätzlich auch im Rahmen von Kooperationen und Verbünden zulässig.
  • Zur Sicherstellung einer flächendeckenden Versorgung sind Ausnahmeregelungen vorgesehen, die für bedarfsnotwendige Krankenhäuser in ländlichen Räumen unbefristet gelten. Die bereits bestehenden Zuschläge für diese Krankenhäuser werden erhöht.
  • Die schnelle Erreichbarkeit von Kliniken bleibt gesichert. Befristete Ausnahmen von bis zu drei Jahren können Krankenhäusern gewährt werden, wenn ein Krankenhaus nicht innerhalb einer gesetzlich festgelegten Entfernung zu erreichen ist (30 PKW-Min für die LG allg. Chirurgie und allg. Innere Medizin; 40 PKW-Min für alle anderen LG)
  • Die wohnortnahe Grundversorgung bleibt gesichert. Durch sektorenübergreifende Versorgungseinrichtungen (Level 1i) werden zusätzlich zu den bedarfsnotwendigen Krankenhäusern im ländlichen Raum, die einen Zuschlag erhalten, wohnortnah stationäre Krankenhausbehandlung mit ambulanten und pflegerischen Leistungen verbunden. Diese Einrichtungen sichern eine wohnortnahe medizinische Grundversorgung durch eine Bündelung interdisziplinärer und interprofessioneller Leistungen.
  • Ein Transformationsfonds wird die notwendigen finanziellen Ressourcen bereitstellen, um die strukturellen Veränderungen zu fördern. Über 10 Jahre werden dafür insgesamt bis zu 50 Mrd. Euro bereitgestellt.
  • Um den Verwaltungsaufwand der Krankenhäuser zu verringern, wird die Dokumentation verschlankt und das System entbürokratisiert. Mit der Einführung der Vorhaltevergütung verringert sich der Aufwand bei Abrechnungsprüfungen, da strukturierte Stichprobenprüfungen die bisherigen Einzelfallprüfungen ersetzen sollen.
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