Bringt das Medizinforschungsgesetz Zucker für die Pharmaindustrie? (Foto von Madison Agardi auf Unsplash)
Aktualisierung 30. September 2024: Medzinforschungsgesetz passiert den Bundesrat
Der Bundesrat hat am 27. September 2024 die Beratungen zum Medizinforschungsgesetz abgeschlossen. Damit hat das Gesetz die letzte politische Hürde genommen und kann planmäßig in Kraft treten.
Das Gesetz sieht u.a. vor, dass es künftig vom Bundesgesundheitsministerium entwickelte Standardvertragsklauseln für die Verträge zwischen Sponsoren und Einrichtungen klinischer Arzneimittel- und Medizinprodukteforschung gibt. Dadurch soll frühzeitig und schneller als bislang mit klinischen Prüfungen von Arzneimitteln oder Medizinprodukten begonnen werden können.
Zudem ist die Errichtung einer spezialisierten, allerdings sehr umstrittene, Ethik-Kommission für besondere Verfahren vorgesehen, die Expertise zur Bewertung von klinischen Prüfungen und Leistungsstudien bündeln soll. Dies soll besonders komplexe oder eilbedürftige Verfahren betreffen, zum Beispiel klinische Prüfungen von Arzneimitteln für neuartige Therapien. Die strahlenschutzrechtlichen Anzeige- und Genehmigungsverfahren sollen vollständig novelliert, entbürokratisiert und beschleunigt werden, was den Aufwand für Forschende sowie für die Behörden deutlich reduzieren soll.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach sieht dadurch den Pharmastandort Deutschland gestärkt: „Mit dem Medizinforschungsgesetz setzen wir wesentliche Ziele der Pharmastrategie der Bundesregierung in die Tat um. Wir geben Forschenden und Unternehmen die nötige Planungssicherheit, entbürokratisieren und beschleunigen die Verfahren und stärken die Versorgung der Patientinnen und Patienten, gerade auch mit innovativen Arzneimitteln. Damit stärken wir den Forschungsstandort Deutschland.“
Aktualisierung 4. Juli 2024: Durchgewunkenes Medizinforschungsgesetz
Der Gesundheitsausschuss des Bundestages hat die Änderungsanträge zum Medizinforschungsgesetz (MFG) verabschiedet (3. Juli 2024). Nach und nach nehmen dazu Verbände und Krankenkassen Stellung.
Für den Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) und den Hauptgeschäftsführer Dr. Kai. Joachimsen „ist es ein Anfang. Die AMNOG-Leitplanken sind aber für alle betroffenen AMNOG-Arzneimittel hochproblematisch, da sie Forschungsanreize zerstören. Auch die „vertraulichen“ Erstattungsbeträge werden durch die ergänzenden Regelungen sehr unattraktiv. Der vorgesehene „nachgelagerte Abschlag“ von neun Prozent trifft Arzneimittel, deren Erlössituation bereits prekär ist. Mit einer Vielzahl an neuen Regulierungen steigt die Komplexität und Deutschland verliert sich in der Kleinteiligkeit ...“
Ulrike Elsner, Vorstandsvorsitzende des Verbandes der Ersatzkassen e. V. (vdek), räumt ein, dass „offenbar die Politik die umfassende Kritik der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) und vieler anderer Organisationen an den vertraulichen Erstattungsbeträgen für patentgeschützte Arzneimittel in den jetzt vorliegenden Änderungsanträgen teilweise aufgegriffen hat.“
Sie kritisiert aber, dass „es allerdings mit Änderungen nicht getan ist. Aktuell ist geplant, die Gewährung von vertraulichen Erstattungsbeträgen daran zu knüpfen, dass das pharmazeutische Unternehmen Forschung in Deutschland betreibt und auf den verhandelten Erstattungsbetrag einen Abschlag von zusätzlichen neun Prozent gewährt. Damit Ärztinnen und Ärzte Arzneimittel wirtschaftlich verordnen können, sollen sie – wenn auch nicht die Preisinformation – Informationen enthalten, ob die Verordnung wirtschaftlich ist. Um einzelnen Pharmafirmen entgegenzukommen, soll damit ein aufwändiges und bürokratisches Verfahren installiert werden. Das lehnen wir ab. Die GKV ist nicht dazu da, Standortpolitik mit Beitragsgeldern zu finanzieren. Besser wäre es gewesen, die Regelung ganz zu streichen.“
Für Dorothee Brakmann, Hauptgeschäftsführerin von Pharma Deutschland, ist „das Medizinforschungsgesetz ein Schritt zur Förderung von Innovationen in Deutschland, es verbessert die Standortbedingungen für Pharmaforschung made in Germany ... Das Gesetz verknüpft den Preis eines neuen Medikaments wieder direkt mit seinem Nutzen, wenn ein Teil der Forschung hierzulande durchgeführt wird. Dieser Impuls ist wichtig und stärkt Innovationen in Deutschland zumindest kurzfristig.“
Die Gültigkeit der neuen Regelung wurde im Rahmen der parlamentarischen Beratungen jedoch auf noch 36 Monate begrenzt. Brakmann warnt: „Wir benötigen langfristige Planungssicherheit zur nachhaltigen Stärkung des Forschungsstandorts Deutschland. Der Erfolg der nationalen Pharmastrategie wird davon abhängen, die Standortbedingungen für die Pharmaindustrie nicht nur für Monate, sondern auf Jahre zu verbessern.“ Aus Sicht des Verbands dürfen Einsparungen im Gesundheitswesen nicht zu Lasten der Forschung im Interesse von Patientinnen und Patienten gehen. Zudem können die hohen Hürden bei der Vertraulichkeit der Erstattungsbeträge zu wenigen Anwendungen führen. „Die gesetzlich vorgeschriebene Evaluation wird zeigen müssen, wie praktikabel die Regelung tatsächlich ist“, erklärt Brakmann.
Joachimsen hält dagegen: „... Pharmazeutische Unternehmen müssen permanent höhere Listenpreise in den Handelsstufen und bei der Mehrwertsteuer ausgleichen. Unterm Strich belasten sie die Erlössituation der Unternehmen zusätzlich. Lediglich für besondere Therapiesituationen können sie interessant sein. Zum Beispiel dann, wenn sie überhaupt erst Therapien in Deutschland für Patientinnen und Patienten verfügbar machen, die andernfalls aufgrund der internationalen Preis-Referenzierung gefährdet wären. Die im Gesetzgebungsverfahren hinzugefügten Maßnahmen machen diese Option noch unattraktiver.“
Der gesundheitspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Tino Sorge, und der zuständige Berichterstatter, Georg Kippels betonen: „Das Gesetz greift viel zu kurz. So verzichtet es darauf, die Erstattungsbedingungen für die forschenden Pharmaunternehmen im Grundsatz zu korrigieren. Aber nur wenn Investitionen auch refinanziert werden können, werden Investitionen in den Pharma-Standort Deutschland ermutigt. Nur dann werden neue Medikamente und Therapien entwickelt, nur dann werden mehr klinische Studien durchgeführt. Deshalb müssen die mit dem GKV-Finanzstabilisierungsgesetz eingeführten, innovations-hemmenden Erstattungsbedingungen, also die sogenannten Leitplanken, wieder aufgehoben werden. Erstattungsbeträge indes müssen transparent bleiben.“
Pharmagipfel: Zufriedenheit auch ohne festgelegte Maßnahmen
Annehmen kann man, dass durch das heute von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach vorgestellte Medizinforschungsgesetz der Pharmastandort gestärkt werden soll. Laut FAZ möchte Lauterbach damit erreichen, dass die deutsche Gesundheitsforschung „in wenigen Jahren zu den Vereinigten Staaten aufschließen“ kann.
So ist das Ziel seines Vorhabens: „Das Gesetz soll klinische Studien vereinfachen, beschleunigen, entbürokratisieren.“ Geplant ist, dass die Verfahren künftig in Musterverträgen vereinfacht, entbürokratisiert und gebündelt werden. Für alle überregionalen klinischen Studien soll dann das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) zuständig sein. Das gelte sowohl für Universitäten als auch für die Pharmaindustrie und wird auch digitale Studien mit einschließen. Beschleunigungen soll es u.a. in der Antragstellung geben, in der Konsultation der Ethikkommission, bei den Strahlenschutzgenehmigungen und den Datenschutzprüfungen.
Im Tagesspiegel wird davon ausgegangen, dass die Koalition zuversichtlich ist, mit der Pharmastrategie und dem Medizinforschungsgesetz ein neues Kapitel für den Pharmastandort aufzuschlagen. Pharmagipfel-Teilnehmer zeigten sich „nach den Gesprächen erst einmal zufrieden“ – obwohl keine Strategie beschlossen worden ist.
Vorgestellt: das Medizinforschungsgesetz
Am Freitag (1.12.23) hat Lauterbach nun das Gesetz offiziell vorgestellt. Und er erklärt dazu:
„Wir haben eine sehr gute Grundlagenforschung, aber wenige Patente und Produktion, die daraus folgen. Hier spielt das Medizinforschungsgesetz im Rahmen der Pharmastrategie eine ganz zentrale Rolle. Das Beantragen von klinischen Studien wird zukünftig an einer Stelle möglich sein, beim BfArM. Der ganze Prozess wird deutlich beschleunigt und vereinfacht. Damit haben wir - zusammen mit dem Digitalgesetz und dem Gesundheitsdatennutzungsgesetz - drei ineinander verschränke Gesetze, die den Pharma- und Forschungsstandort Deutschland deutlich verstärken werden.“
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach im Gespräch mit dem Deutschlandfunk zum Thema.
Die wichtigsten Maßnahmen im Überblick
1. Klinische Prüfungen erleichtern, Digitalisierung fördern und Zulassungsbehörden stärken
BMG erarbeitet einen Entwurf für ein Medizinforschungsgesetz:
- Es wird eine interdisziplinär zusammengesetzte Bundes-Ethik-Kommission beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) errichtet.
- Strahlenschutzrechtliche Anzeige- und Genehmigungsverfahren werden in das Genehmigungsverfahren der klinischen Prüfung integriert.
- Das BfArM wird künftig die Koordinierung und das Verfahrensmanagement für Zulassungsverfahren und Anträge zu klinischen Prüfungen für alle Arzneimittel, ausgenommen Impfstoffe und Blutprodukte übernehmen.
- Mustervertragsklauseln für die Durchführung klinischer Studien werden bekannt gegeben.
- Die Bearbeitungszeiten bei mononationalen klinischen Prüfungen werden verkürzt.
- Die Durchführung dezentraler klinischer Prüfungen wird ermöglicht.
- Die Kennzeichnung von Prüf- und Hilfspräparaten wird vereinfacht.
- Es werden vertrauliche Erstattungsbeträge ermöglicht.
Stärkere Digitalisierung in der Gesundheitsversorgung:
- Das Forschungsdatenzentrum beim BfArM wird weiterentwickelt, der Zugang zu den Daten des Forschungsdatenzentrums wird auch der pharmazeutischen Forschung ermöglicht.
- Die Dateninfrastruktur des Modellvorhabens Genomsequenzierung wird neu aufgestellt. Es wird eine dezentrale statt zentrale Datenspeicherung erfolgen und ein Zugang zu den Daten auch der pharmazeutischen Forschung ermöglicht.
- Das Konzept einer federführenden Datenschutzaufsicht für länderübergreifende Forschungsvorhaben wird im Rahmen des Gesundheitsdatennutzungsgesetz weiterentwickelt.
2. Schutz von Intellectual Property
- Wir setzen uns im EU und internationalen Kontext für weiterhin attraktive Rahmenbedingungen für die Forschung und Entwicklung neuer Arzneimittel, einen guten Zugang für Patient:innen zu neuen Arzneimitteln sowie die umfassende Aufrechterhaltung des Systems geistiger Eigentumsrechte ein.
- Im Rahmen der Verhandlungen zum EU-Pharmapaket setzen wir uns für die regulatorische Vereinfachung der Zulassungsverfahren und eine starke Wettbewerbsfähigkeit der regulatorischen Rahmenbedingungen ein. Zudem lehnen wir eine Verkürzung des Unterlagenschutzes ab.
- Im Rahmen der Verhandlungen zum EU-Patentpaket und dem Internationalen Pandemieabkommen setzen wir uns dafür ein, dass geistige Eigentumsrechte nicht abgeschwächt werden.
3. Stärkung des EU-Pharmastandortes und Diversifizierung der Lieferketten
- Gemeinsam mit dem Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) setzen wollen wir gezielte Förderinstrumente und Anreize zum Aufbau von Produktionsstätten in Deutschland prüfen.
- Die im Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz getroffenen Rabattvertragsregelungen für Antibiotika werden zur Stärkung des EU-Standortes auf ausgewählte andere Arzneimittel(gruppen) ausgeweitet, insbesondere onkologische Arzneimittel.
- Darüber hinaus unterstützen wir aktiv die Erarbeitung eines EU Critical Medicine Acts, um wirtschaftspolitische Maßnahmen für kritische Arzneimittel zu initiieren.
- Im Rahmen der Erstattungsbetragsverhandlungen wird die Ablösung des öffentlichen gelisteten Erstattungsbetrag durch einen vertraulichen Erstattungsbetrag ermöglicht.
- Wir beabsichtigen, den Herstellerabschlag für erstattungsfähige Arzneimittel ohne Festbetrag auf dem Niveau von 7 % zu stabilisieren.
Reaktionen von Pharma
BPI-Hauptgeschäftsführer Dr. Kai Joachimsen sieht es als „ein positives Signal an die Patientinnen und Patienten, dass die Regierung Forschung und Entwicklung am Pharmastandort Deutschland stärken will. Zugleich ist das aber nur der Anfang einer dringend nötigen, umfassenden Pharmastrategie. Diese muss für die Pharmaunternehmen berechenbare und wirtschaftlich auskömmliche Rahmenbedingungen für Forschung, Entwicklung und Produktion ermöglichen und eine Verwaltung schaffen, die unterstützt und nicht durch überbordende, ineffiziente Bürokratie bremst. Außerdem gilt es, die Fehlentwicklungen bei den sogenannten AMNOG-Leitplanken zu korrigieren.“
Kassen fürchten „Lösungen zulasten Dritter“
Der stellvertretende Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes, Jens Martin Hoyer, ist allerdings kritischer:
„Das Ziel der Bundesregierung, die Attraktivität des Pharmastandorts Deutschland zu erhöhen und eine zuverlässige Arzneimittelversorgung sicherzustellen, ist aus Sicht der AOK-Gemeinschaft gut nachvollziehbar. Klar ist aber auch, dass es hier im Kern um Wirtschafts- und Forschungsförderung geht - also unmittelbare Aufgaben des Staates. Wir befürchten allerdings, dass auf dem Pharmagipfel vor allem vermeintliche Lösungen zulasten Dritter entwickelt werden.“
So befürchtet Hoyer eine Intransparenz wegen der Idee, „die bisher öffentlich gelisteten Erstattungsbeträge für neue Arzneimittel durch vertrauliche Rabatte auf den vom Hersteller frei gewählten Preis zu ersetzen. Das würde zu noch mehr Intransparenz bei der Preisbildung und zur Anhebung des ohnehin hohen Preisniveaus führen, da die offiziellen Listenpreise Anker für die Markt-Einstiegspreise von Nachfolgeprodukten bleiben. Und es würde die bereits strapazierte Liquidität der Kassen durch eine künftig notwendige Vorfinanzierung überhöhter Preise empfindlich schwächen.“
Er schlägt „unter anderem die Einführung eines sogenannten Interimspreises für Arzneimittel ab dem ersten Tag nach Marktzugang vor. Mit diesem Mechanismus könnten die bislang frei gewählten Listenpreise abgelöst und rückwirkend mit einem ausgehandelten Erstattungsbetrag verrechnet werden. Ergänzend sollten die Erstattungsbetrags-Verhandlungen gestrafft werden, sodass der neu ausgehandelte Preis bereits nach neun Monaten feststeht. Als kurzfristige Maßnahme sollte zudem der für das laufende Jahr erhöhte Herstellerabschlag auch in den Jahren 2024 und 2025 beibehalten werden. Dieses einfach umsetzbare und sofort wirksame Instrument zur Kostenbegrenzung bringt pro Jahr Einsparungen in Höhe von 1,3 Milliarden Euro.“
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