Notfallreform: Türsteher für Versorgung


„Im Notfall sollen Patientinnen und Patienten dort behandelt werden, wo sie am schnellsten und am besten versorgt werden. Das muss nicht immer das Krankenhaus sein.” 

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach findet: „Heute sind die Notfallzentren der Kliniken oft überfüllt, auch mit Patienten, die nicht im Krankenhaus versorgt werden müssten.“ (Foto von Mpho Mojapelo auf Unsplash)

„Gemeinsamer Tresen“ zur Ersteinschätzung 

So zumindest die Vorstellung von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach.

Eine Art „Türsteher“ für Patient:innen soll zwischengeschaltet werden, sodass diese durch eine zentrale Ersteinschätzungsstelle verteilt werden – um so die Notfallzentren der Kliniken zu entlasten. 

Lauterbach möchte „die Notdienstnummern von Rettungsdienst (112) und KVen (116117) vernetzen, Integrierte Notfallzentren bundesweit an Krankenhäusern aufbauen und die ambulanten Notdienststrukturen stärken.“


Konkret lautet das dann in den Eckpunkten der Notfallreform:

  • Die notdienstliche Akutversorgung wird bundesweit vereinheitlicht. Dazu wird der Sicherstellungsauftrag der KVen konkretisiert. Sie müssen rund um die Uhr eine telemedizinische Versorgung sowie Hausbesuche insbesondere für immobile Patientinnen und Patienten bereitstellen.
  • Um Patientinnen und Patienten im Notfall gleich an die richtigen Strukturen zur Behandlung weiterzuleiten, sollen flächendeckend Integrierte Notfallzentren (INZ) sowie, dort, wo es die Kapazitäten zulassen, Integrierte Notfallzentren für Kinder und Jugendliche (KINZ) eingerichtet werden. INZ und KINZ bestehen aus der Notaufnahme eines Krankenhauses, einer zentralen Ersteinschätzungsstelle („gemeinsamer Tresen“) und einer KV-Notdienstpraxis in unmittelbarer Nähe.
  • Die Kooperationspartner der INZ sollen sich zudem digital vernetzen, um Behandlungsdaten schnell austauschen zu können.

 

Geteilte Meinungen

Ob die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) und die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) da mitmachen? Beide bestehen weiterhin auf die Hoheit am gemeinsamen Tresen. Außerdem sind die finanziellen Mittel überschaubar. 

Die KBV kommentiert die Reform so: „Die heute vorgestellten Eckpunkte enthalten einige positive Ansätze, beinhalten aber auch leider immer noch unrealistische und versorgungsferne Ideen. Richtig ist der Ansatz einer verbesserten Patientensteuerung durch eine Stärkung der Terminservicestellen der Kassenärztlichen Vereinigungen sowie deren Vernetzung mit den Rettungsleitstellen. Fern der Realität ist vor dem Hintergrund knapper personeller medizinischer Ressourcen, eine 24/7-Versorgung „aufsuchender Art“ etwa durch Fahrdienste einrichten zu wollen. 

Problematisch bleibt die Standortauswahl von Integrierten Notfallzenten (INZ) an Kliniken. Wenn maximal jedes der derzeit an der Notfallversorgung teilnehmenden 1.200 Krankenhäuser ein INZ bekommen sollte, wäre dies personell unmöglich zu stemmen. Immerhin wird offen die Finanzierungsproblematik angesprochen. Hier müssen die Kassenärztlichen Vereinigungen Vorhaltekosten geltend machen können. Entscheidend werden nun die konkreten Ausformulierungen der Eckpunkte sein.“

Der GKV-Spitzenverband ist zumindest einigermaßen überzeugt. Allerdings betont er auch: „Kernaufgabe des gemeinsamen Tresens soll die Ersteinschätzung des Behandlungsbedarfs der Hilfesuchenden auf Basis eines standardisierten Verfahrens sein. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) soll hierfür bundeseinheitliche Vorgaben festlegen. Das ist der richtige Ansatz. Wichtig ist es jedoch, die explizite Möglichkeit vorzusehen, dass Patientinnen und Patienten, bei denen nach klaren Kriterien kein akuter Behandlungsbedarf besteht, in die vertragsärztliche Versorgung weitergeleitet werden können.“  

Für die Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes, Dr. Carola Reimann, „wird es Zeit, die ineffiziente und für Patientinnen und Patienten verwirrende Trennung zwischen ambulanter und stationärer Versorgung im Notfall-Bereich endlich zu überwinden ... Im Notfall brauchen Patientinnen und Patienten eine zentrale Anlaufstelle, die für die richtige Versorgung sorgt. Allerdings greifen die Eckpunkte hier aus unserer Sicht deutlich zu kurz. Die INZ sollten von Vertragsärztinnen und Ärzten und den Ärztinnen und Ärzten der jeweiligen Klinik gemeinsam betrieben werden, um Verteilungskämpfe und Fehlanreize bei der Steuerung der Patientinnen und Patienten zu verhindern und die Sektorengrenzen bei der Notfallversorgung endlich zu überwinden.“

Was dem BÄK-Präsidenten Dr. Klaus Reinhardt fehlt, „sind Maßnahmen zur Information, Bildung und Einbeziehung der Bevölkerung. Grundsätzlich wird es personell nicht möglich sein, alle gesundheitlichen Anliegen der Bevölkerung als Akut- und Notfälle zu bedienen. Unbedingt erforderlich ist daher aus Sicht der Bundesärztekammer, auf ein Verständnis für die Strukturen der Akut- und Notfallversorgung hinzuwirken und Informationen zu deren sachgerechter Inanspruchnahme zu vermitteln.“

Und er legt noch nach: 

„Eine 24/7 telemedizinische Versorgung, 24/7 zusätzliche aufsuchende Versorgung, der Einsatz von Gemeindenotfallsanitätern mit telemedizinischer Anbindung, gesetzliche Mindestöffnungszeiten an allen INZ-Standorten und der Einsatz von Pflege und Sozialdiensten durch die Leitstellen würden den Einsatz erheblicher finanzieller und personeller Ressourcen erfordern und das Risiko bergen, dass reguläre Versorgungsangebote umgangen werden. Die Etablierung von INZ darf nicht zur Schaffung einer dritten Versorgungssäule führen, die neben anderem auch zu einer weiteren Verschärfung des ärztlichen und nichtärztlichen Fachkräftemangels führen würde. Wichtigste Voraussetzung für eine funktionierende Reform der Akut- und Notfallversorgung ist jedoch zunächst die Stärkung der ambulanten und stationären Versorgung, damit die Notaufnahmen der Krankenhäuser sich auf Fälle konzentrieren können, die wirklich deren Infrastruktur benötigen.“

 

Erhalten Sie jetzt uneingeschränkten Zugriff auf alle interessanten Artikel.
  • Online-Zugriff auf das PM-Report Heftarchiv
  • Aktuelle News zu Gesundheitspolitik, Pharmamarketing und alle relevanten Themen
  • 11 Ausgaben des PM-Report pro Jahr inkl. Specials
Mehr erfahren