
Das Fazit der FAU-Studie: Viele der durchgeführten Studien zum Nachweis der DiGA-Wirksamkeit weisen erhebliche wissenschaftliche Mängel auf. (Foto von Ryan Stone auf Unsplash)
Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) gelten als Hoffnungsträger für die Modernisierung des Gesundheitswesens. Doch eine neue Studie der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg wirft kritische Fragen auf – insbesondere zur Wirksamkeit und Preisgestaltung der „Apps auf Rezept“.
Seit über vier Jahren können Ärzt:innen in Deutschland DiGA verschreiben. Die Krankenkassen übernehmen die Kosten: Zwischen 260 und 570 Euro zahlen sie für eine dreimonatige Nutzung pro Patient:in. Die Anwendungsgebiete reichen von der Raucherentwöhnung über Depressionstherapie bis zur Rückenschmerzreduktion.
Eine Übersichtsarbeit von Wissenschaftlerinnen des Digitalen Demenzregisters Bayern (digiDEM Bayern) an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) stellt das Fundament vieler DiGA infrage: ihre wissenschaftliche Evidenz.
Kritik an Studiendesign und mangelnder Transparenz
„Viele der Studien, mit denen Hersteller die Wirksamkeit ihrer Apps belegen wollen, weisen gravierende wissenschaftliche Mängel auf“, fasst Dr. Nikolas Dietzel, Erstautor der Untersuchung, das Ergebnis der Studie zusammen. Besonders problematisch: In zahlreichen Studien war für die Teilnehmenden ersichtlich, ob sie zur Behandlungs- oder Kontrollgruppe gehörten – ein klassischer Fall fehlender Verblindung, der das Ergebnis verzerren kann. Hinzu kommen unzureichende Kontrollgruppen, hohe Abbruchraten, nicht veröffentlichte Studienprotokolle und wenig repräsentative Teilnehmergruppen, etwa mit überdurchschnittlich technikaffinen Nutzer:innen.
„Wenn Studienergebnisse nicht auf die reale Versorgung übertragbar sind, muss die gemessene Wirksamkeit grundsätzlich infrage gestellt werden“, kritisiert Prof. Dr. Peter Kolominsky-Rabas, Co-Autor der Arbeit.
Preise ohne Evidenz?
Neben methodischen Schwächen bemängeln die Forschenden auch die Preisgestaltung der DiGA. Im ersten Jahr nach Zulassung dürfen Hersteller die Preise weitgehend selbst bestimmen – auch dann, wenn der Nutzen ihrer Anwendung noch nicht wissenschaftlich belegt ist. Selbst nach positiver Nutzenbewertung liegen viele Einstiegspreise deutlich über den späteren Erstattungssätzen, die nach Verhandlungen mit den Kassen festgelegt werden.
Vor dem Hintergrund der mangelhaft nachgewiesenen Wirksamkeit der DiGA betont Dietzel: „DiGA werden, wie beispielsweise auch Medikamente, von den gesetzlich versicherten Beitragszahlern finanziert. Ihnen gegenüber besteht die besondere Verantwortung sicherzustellen, dass die Zulassungsstudien auch verzerrungsfrei durchgeführt werden und international gültigen Standards der evidenzbasierten Medizin entsprechen.“
Dies beträfe sowohl die Reduzierung von Verzerrungspotenzialen als auch die Übertragbarkeit der Studienergebnisse auf den Versorgungsalltag. „Wenn sich Studienergebnisse nicht verallgemeinern lassen, muss die in der Studie gemessene Wirksamkeit der DiGA ernsthaft infrage gestellt werden“, findet Kolominsky-Rabas.
Gesundheitsökonomische Bewertung bleibt die Ausnahme
Ein weiteres Problem: Bisher gibt es kaum Studien, die das Kosten-Nutzen-Verhältnis von DiGA untersuchen, ein Missstand, den die FAU-Forschenden als eklatante Forschungslücke bezeichnen. „Es stellt sich die grundsätzliche Frage, ob die Solidargemeinschaft der Beitragszahler viel Geld für die mangelnde Wirksamkeit von digitalen Gesundheitsanwendungen ausgeben sollte“, mahnt Kolominsky-Rabas.
Der Gesetzgeber hat die Problematik offenbar erkannt. Ab 2026 sollen mit der sogenannten „anwendungsbegleitenden Erfolgsmessung“ (abEM) neue Standards greifen. Dann müssen Hersteller auch nach der Zulassung Daten zu Nutzung, Patientenzufriedenheit und gesundheitlichen Effekten erheben – und zwar verpflichtend. Diese Daten könnten künftig direkten Einfluss auf die Preisgestaltung haben.
Fazit in der Studie: Digitalisierung braucht Qualität, nicht nur Tempo
Die FAU-Studie ist als ein Weckruf für alle Beteiligten gedacht: Für Hersteller, endlich evidenzbasierte Standards einzuhalten; für die Politik, regulatorische Schlupflöcher zu schließen; und für Krankenkassen, stärker auf Wirksamkeit zu pochen. Kolominsky-Rabas fordert: „Wenn die DiGA nicht zur reinen Wunschvorstellung einer digitalisierten Gesundheitsversorgung verkommen sollen, müssen die Hersteller ihre Hausaufgaben machen – im Interesse der Patientinnen und Patienten.“
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