EHDS: Europas Antwort auf GAFA im Gesundheitswesen?


Mit dem European Health Data Space will die EU digitale Souveränität im Gesundheitswesen sichern. Als ein Gegengewicht zu den Plattform-Giganten. Doch ist der Plan realistisch? 

Auf dem Foto ist ein voll gestopfter Raum zu sehen. Und zwar vollgestopft mit Super Mario Computerautomaten.

Google, Apple, Meta oder Amazon investieren Milliarden in den Gesundheitsbereich. Sie sind schnell, intuitiv, nutzerfreundlich – aber eben auch proprietär, kommerziell und datenhungrig. Der EHDS will das anders machen. (Foto von Rafael Hoyos Weht auf Unsplash)

Während Tech-Giganten (GAFA= Google, Apple, Facebook (nun: Meta) und Amazon) aus den USA und China Milliarden in digitale Gesundheitsplattformen investieren, verfolgt die EU mit dem European Health Data Space einen anderen Weg: transparent, ethisch und am Gemeinwohl orientiert. Aber kann das gelingen? Torsten Christann ordnet ein.

Liebe Leserinnen und Leser,

schön, dass wir auch heute wieder gemeinsam in aller Ruhe durch meine Digital Health Notizen blättern. Nach vielen Gesprächen, Panels und Impulsen zur digitalen Gesundheitswelt hat mich ein Thema in letzter Zeit ganz besonders beschäftigt – und das nicht wegen seiner Lautstärke, sondern gerade wegen seiner stillen Größe: der European Health Data Space, kurz EHDS.

Während Apple längst unser EKG ans Handgelenk bringt, Amazon virtuelle Klinikdienste ausrollt, Google mit KI an der Krebsdiagnose arbeitet und Microsoft Krankenhäuser mit Azure Health Data Services in die Cloud holt, passiert auf der anderen Seite des Atlantiks noch viel mehr: Meta investiert in XR-Technologien für digitale Therapien, Samsung erweitert seine Wearables um kontinuierliche Gesundheitsüberwachung, und Tencent sowie Alibaba Health entwickeln in China riesige Gesundheitsplattformen mit Millionen aktiver Nutzer:innen. 

Die großen Tech-Player haben das Gesundheitswesen längst als nächsten strategischen Markt identifiziert – mit Milliardeninvestitionen, eigenen Plattformen, vertikaler Integration und internationalem Anspruch.

Währenddessen bastelt Europa an einem digitalen Gesundheitsprojekt, das auf den ersten Blick etwas weniger spektakulär wirkt, aber auf den zweiten umso relevanter: Ein europäischer Gesundheitsdatenraum, in dem Patient:innen über ihre Daten bestimmen und Forscher:innen Zugriff auf einen gigantischen Datenschatz bekommen sollen – unter strengen ethischen und rechtlichen Leitplanken, versteht sich.

Was sich technisch anhört, ist in Wahrheit hochpolitisch. Denn mit dem EHDS stellt die EU nicht weniger als eine eigene Vision der digitalen Gesundheitszukunft auf: ein Gegenmodell zu den Plattformen aus Kalifornien oder Shenzhen. Während dort Monetarisierung, Nutzerbindung und Skalierung das Maß der Dinge sind, möchte Europa auf Datensouveränität, Interoperabilität und Gemeinwohlorientierung setzen. Ein mutiger Ansatz – aber auch einer mit vielen Stolpersteinen.

Was genau ist der EHDS?

Seit dem 26. März 2025 ist er offiziell. Ein EU-Regelwerk, das zwei Dinge verspricht:

  1. Primärnutzung: Bürger:innen sollen ihre Gesundheitsdaten in ganz Europa selbst verwalten und medizinischem Personal freigeben können – egal, ob sie in München, Madrid oder Mailand behandelt werden.
  2. Sekundärnutzung: Forscher, Behörden und Unternehmen sollen unter klaren Bedingungen auf pseudonymisierte Daten zugreifen dürfen – zum Beispiel zur Medikamentenentwicklung oder für die Pandemievorsorge.

 

Soweit die Theorie. In der Praxis reden wir von einem europäischen Mammutprojekt: 27 Mitgliedsstaaten, unterschiedlichste Digitalisierungsgrade, inkompatible Systeme, fehlende Standards, fragmentierte Infrastrukturen. Während wir über digitale Vernetzung auf EU-Ebene sprechen, hapert es in Deutschland aktuell an der Nutzung der ePA für alle. Beim E-Rezept braucht man für die Einrichtung der gematik-App aktuell satte 25 Schritte, bevor man überhaupt das erste Rezept sehen kann.

Warum dann der EHDS?

Weil Europa verhindern will, dass im Gesundheitswesen passiert, was bei sozialen Netzwerken und Cloud-Diensten längst Realität ist: Abhängigkeit von Plattformen, deren Blackbox-Algorithmen wir nicht verstehen und deren Geschäftsmodell nicht das Gemeinwohl ist.

Google, Apple, Meta oder Amazon investieren Milliarden in den Gesundheitsbereich. Sie sind schnell, intuitiv, nutzerfreundlich – aber eben auch proprietär, kommerziell und datenhungrig. Und wer einmal im Ökosystem ist, kommt schwer wieder raus.

Der EHDS will das anders machen. Bürger:innen sollen selbst bestimmen, wer ihre Daten sieht. Die Forschung soll davon profitieren. Ein Spagat zwischen Schutz und Potenzial. Die Idee ist stark, die Umsetzung aber noch wackelig. Infrastrukturen fehlen, Prozesse sind unklar, und das Vertrauen der Menschen in den Umgang mit ihren sensibelsten Daten muss erst noch gewonnen werden.

Was ist das Fazit?

Der European Health Data Space ist kein PR-Projekt, sondern eine echte Bewährungsprobe für Europas digitale Selbstbestimmung. Wenn er gelingt, kann er die Versorgung verbessern, die Forschung revolutionieren und Europas digitale Souveränität stärken. Wenn er scheitert, werden die Menschen ihre Daten weiterhin dort speichern, wo es schnell, bequem und – ja – schick ist. Auch wenn es nicht europäisch ist.

Die zentralen Fragen bleiben: Wem vertrauen wir unsere Gesundheit wirklich an? Dem System – oder dem Versprechen der Plattformen?

Ich muss jetzt aber los, meine Smart-Watch sagt mir gerade, dass es Zeit für Bewegung ist. Noch keine 10.000 Schritte heute und meine Herzfrequenz war den ganzen Tag eher niedrig – und gesessen habe ich auch länger als meine Peer-Group. Dann lesen wir uns in vier Wochen wieder an dieser Stelle, wenn Sie mögen.

Ihr Torsten Christann 

Auf dem Foto ist Torsten Christann zu sehen.

Torsten Christann

Managing Partner Digital Oxygen

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