Gesundheitssystem: Amerika dreht auf – und wir schauen zu?


Was bedeutet Trumps Digitaloffensive für unser Gesundheitswesen? Das fragt unser Kolumnist in seinen Digital Health Notizen.

Auf dem Foto ist ein Textfeld auf einer Schuhsohle zu sehen: Boost.

Während hierzulande KI-Richtlinien monatelang geprüft werden, wird in den USA einfach auf den roten Knopf gedrückt – und geschaut, was passiert. (Foto von Haithem Ferdi auf Unsplash)

Liebe Leserinnen und Leser,

schön, dass wir uns auch heute wieder zusammengefunden haben, um über aktuelle Themen in Digital Health zu sprechen. Dabei möchte ich heute mit Ihnen zusammen einen Blick über den Atlantik werfen: Amerika tut wieder, was Amerika am liebsten tut: Aufdrehen. 

Diesmal nicht mit einer Reality-Show, sondern mit einem technologischen Großangriff namens Project Stargate – ein KI-Investitionsprogramm in Höhe von 500 Milliarden Dollar, unterstützt von Schwergewichten wie OpenAI, Oracle, SoftBank und Co. Ziel: nichts Geringeres als eine digitale Neuordnung von Wirtschaft, Wissenschaft und Gesundheitswesen.

Ein bisschen klingt das nach Science-Fiction, aber der Anspruch ist real: KI soll Krebs heilen, Medikamente personalisieren, Diagnosen automatisieren. Sam Altman spricht von der „wichtigsten Initiative unserer Zeit“, Larry Ellison von mRNA-Impfstoffen gegen individuelle Tumore – hergestellt in 48 Stunden. Dazu kommen KI-gesteuerte Bluttests zur Krebsfrüherkennung, robotergestützte Impfstoffproduktion, „In-Silico“-Drug Discovery und viel mehr. Stargate ist kein Forschungsprojekt – es ist eine Ansage.

Was hat das mit uns zu tun?

Zunächst einmal: Ziemlich viel. Denn auch wenn die Milliarden jenseits des Atlantiks investiert werden, strahlen ihre Effekte längst bis nach Europa. Technologien, Studien, Plattformen – vieles, was unser Gesundheitswesen bewegt, kommt heute aus den USA.

Beispiel gefällig? Die Plattformen für digitale Patientenakten – oft US-Entwicklung. KI-gestützte Diagnostik? Häufig basierend auf amerikanischen Trainingsdaten. Und wenn morgen Amazon Health oder BlinkRx mit ihren Plattformen ernst machen, stehen unsere Systeme oft eher staunend daneben als vorbereitet.

Donald Trump Jr. will über BlinkRx sogar den Medikamentenmarkt umbauen: mit Lieferketten, die die klassischen Apothekenstrukturen umgehen, inklusive Unterstützung vom Gesundheitsministerium. Und während wir noch Formulare faxen, analysiert Oracle mithilfe seiner Cerner-Daten bereits Gesundheitsdaten in Echtzeit.

Das Tempo zieht an – auch für uns

Natürlich ist nicht alles an Trumps Digitalstrategie unproblematisch. Datenschutz? Ethische Leitplanken? In den USA oft nachrangig. Dort gilt das Prinzip: Erst machen, dann korrigieren. Während hierzulande KI-Richtlinien monatelang geprüft werden, wird in den USA einfach auf den roten Knopf gedrückt – und geschaut, was passiert.

Und: Hierzulande diskutieren wir, ob ChatGPT in der Klinik überhaupt genutzt werden darf, während in Texas bereits die KI-Pipeline für personalisierte Impfstoffe gebaut wird. Und während wir noch über die Finanzierung der elektronischen Patientenakte streiten, experimentieren US-Start-ups mit KI-Therapeuten auf Rezept.

Unsere Rolle? Noch zu oft Zuschauer.

Wohlgemerkt: Deutschland hat kluge Köpfe, gute Ideen und starke Digital Health Start-ups. Aber was uns fehlt, ist ein echter Plan – und manchmal auch der Mut, ihn umzusetzen. Denn der Innovationsdruck aus den USA wird zunehmen. Wenn neue Gesundheits-Apps, Diagnostiktools oder KI-Lösungen dort schneller zugelassen und implementiert werden, entsteht ein Rückstand, der nicht nur technologisch ist – sondern politisch, strukturell und kulturell.

Es geht nicht darum, alles zu übernehmen, was anderswo gemacht wird. Aber wenn Technologien wie personalisierte Diagnostik, KI-gestützte Therapiebegleitung oder automatisierte Medikamentenlogistik andernorts Realität werden – dann wird sich auch hierzulande die Frage stellen: Warum dauert das bei uns Jahre?

Natürlich dürfen wir unsere Werte nicht einfach über Bord werfen. Aber zwischen übervorsichtigem Datenschutz und blindem Fortschrittsglauben gibt es Spielraum: zum Beispiel für pragmatische, sichere, aber innovationsfreundliche Rahmenbedingungen. Nur so können wir den Spagat zwischen höchster Qualität unseres Gesundheitswesens und limitierten finanziellen und personellen Möglichkeiten schaffen.

Was steht noch auf dem Spiel?

Die Digitalstrategie der USA wirkt weit über Technologie hinaus. Trumps Dekret zur Senkung von Arzneimittelpreisen setzt die globale Pharmaindustrie unter Druck – mit der klaren Botschaft: Wer in Europa billig verkauft, soll in den USA nicht mehr teuer abrechnen. Für Deutschland, das knapp 24% seiner Pharmaexporte in die USA liefert, hätte das Folgen: höhere Preise, verzögerte Markteintritte – und womöglich Zölle auf Medikamente.

Und als wäre das nicht genug, hat Trump gleich zu Beginn seiner Amtszeit den Austritt der USA aus der WHO verkündet – mit Verweis auf angeblich „unfaire Behandlung“. Die WHO würde damit nicht nur ihren größten Geldgeber verlieren, sondern auch einen ihrer wichtigsten Kooperationspartner. Für die globale Gesundheitspolitik wäre das ein Rückschlag und für Europa ein Warnsignal: Wenn die USA sich zurückziehen, müssen andere Verantwortung übernehmen. Auch wir.

Was tun?

Zugegeben, bei Trump weiß man nie, ob der WHO-Austritt nächste Woche wieder zurückgenommen wird – oder ob BlinkRx plötzlich das RKI übernehmen will. Aber darauf zu hoffen, dass sich alles von selbst erledigt, ist keine Strategie. Das hat schon während der ersten Amtszeit von Trump nicht nachhaltig funktioniert. Wir müssen entscheiden, wie unser Gesundheitswesen auf die Herausforderungen dieser Ära reagieren soll – bevor andere es für uns tun.

Dazu gehört:

  • schneller werden in der Bewertung und Zulassung neuer Technologien,
  • klare und innovationsfreundliche Regeln definieren,
  • den Mut haben, echte Experimentierräume zuzulassen,
  • und eine strategische Digitalpolitik, die mehr ist als ein Fördertopf.

 

Denn sonst schauen wir nicht nur zu, sondern wir verlieren den Anschluss. An Technologien. An Talenten. Und an Patientenwünschen. Und falls Trump morgen doch wieder alles abbläst – umso besser, dann haben wir wenigstens nicht umsonst nachgedacht.

Wir lesen uns an dieser Stelle in vier Wochen wieder, wenn Sie mögen. Bis dahin

Ihr Torsten Christann

 

Auf dem Foto ist unser Kolumnist der Digital Health Notizen zu sehen: Torsten Christann.

Torsten Christann

Managing Partner Digital Oxygen

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