GKV-Chef warnt vor Kahlschlag bei Krankenkassen


GKV-Spitzenverbandschef Oliver Blatt hat sich im Interview mit dem Deutschlandfunk deutlich gegen Forderungen nach einer Reduzierung der Krankenkassenzahl ausgesprochen. 

Auf dem Foto ist ein Bademeister-Stand zu sehen, auf dem ein Bademeister mit einem Fernglas den Strand beobachtet.

Aus Oliver Blatts Sicht könnten gezielte Eingriffe und eine Reform des Preisfindungsprozesses erhebliche Entlastungen bringen, ohne die Versicherten stärker zu belasten. (Foto von Dimitri Iakymuk auf Unsplash)

 

„Ein politisches Armutszeugnis“: Statt struktureller Lösungen würden politische Scheindebatten geführt. Dabei sind andere Herausforderungen im System deutlich drängender.

„Der Markt hat längst bereinigt“

Im Gespräch mit dem Deutschlandfunk bezeichnet der neue Vorstandsvorsitzende des GKV-Spitzenverbands, Oliver Blatt, die Forderung nach einer Reduktion der aktuell 95 gesetzlichen Krankenkassen als „politisches Armutszeugnis“. Der Wettbewerb hat bereits dafür gesorgt, dass die Zahl der Kassen seit 2010 massiv zurückgegangen ist: damals existierten noch fast 500. Eine staatliche Regulierung wäre für ihn ein Rückfall in planwirtschaftliches Denken.

„Welche Kasse will man denn schließen? Die Menschen haben sich bewusst für ihre Kasse entschieden – oft wegen guter digitaler Angebote oder wohnortnaher Präsenz.“

Zudem weist Blatt darauf hin, dass der Verwaltungsanteil der Kassen mit rund vier Prozent vergleichsweise gering ist. Eine Reduktion der Kassenanzahl würde nichts an der Tatsache ändern, dass weiterhin 75 Millionen Menschen versorgt werden müssten.

Finanzlücke: Kosten steigen schneller als die Einnahmen

Blatt warnt zugleich vor einem strukturellen Finanzdefizit in der gesetzlichen Krankenversicherung. Während die Ausgaben derzeit um knapp acht Prozent jährlich steigen, legen die Einnahmen nur um 5,6% zu. Ein zentraler Kritikpunkt: versicherungsfremde Leistungen wie die Gesundheitsversorgung von Bürgergeld-Empfängern, die derzeit von den Kassen getragen werden, obwohl sie aus Steuermitteln finanziert werden müssten. Laut Blatt fehlen den Kassen deshalb jährlich rund zehn Milliarden Euro.

Krankenhausreform: Qualität vor Regionalpolitik

Mit Blick auf die geplante Krankenhausreform sieht Blatt große Reformnotwendigkeit, nicht nur aus Kostengründen, sondern auch im Sinne besserer Versorgung: „Wir brauchen leistungsfähige Zentren mit Mindestmengen und Spezialisierung. Regionalpolitik darf nicht länger über medizinische Qualität gestellt werden.“

Er befürchtet allerdings, dass Länderinteressen die notwendigen Strukturveränderungen blockieren könnten. Ein weiteres Problem: Der GKV-Spitzenverband ist in zentralen Gremien und Kommissionen bislang nicht beteiligt.

Pflegeversicherung: Nachhaltig, aber realistisch

Auch in der Pflege beobachtet Blatt massive Finanzierungsprobleme. Der größte Pflegesektor, die häusliche Versorgung, müsse besser unterstützt werden. Eine Vollversicherung sei derzeit nicht finanzierbar, Eigenverantwortung werde langfristig nötig sein. Zudem fordert Blatt eine stärkere Entlastung der Pflegekassen von Aufgaben, die eigentlich der Staat finanzieren müsste – etwa Rentenbeiträge für pflegende Angehörige oder Corona-bedingte Sonderzahlungen.

Kein Plädoyer für Leistungskürzungen

Ein pauschales Kürzen von Leistungen lehnt der GKV-Chef jedoch ab. Stattdessen braucht es ein „Ausgabenmoratorium“, das die jährlichen Kostensteigerungen an das reale Einnahmewachstum koppelt. Auch Eigenbeteiligungen bei Medikamenten oder Zuzahlungen beim Arztbesuch seien nur ultima ratio. Erst müssten Reformen bei Arzneimittelpreisen und in der stationären Versorgung greifen.

Arzneimittelpreise unter der Lupe

Ein weiterer starker Treiber der Ausgabenentwicklung ist laut Blatt der Arzneimittelsektor: insbesondere bei innovativen und hochpreisigen Medikamenten. Die Ausgabensteigerungen lägen derzeit bei sechs bis sieben Prozent jährlich.

Blatt kritisiert dabei vor allem das bestehende Verfahren zur Preisbildung neuer Arzneimittel: Es fehle an ausreichender Kostenkontrolle und Steuerungsmöglichkeiten. „Wir haben in Deutschland Arzneimittelsteigerungen in Milliardenhöhe – gerade bei neuen, sehr teuren Medikamenten“, so Blatt.

„Bevor wir über höhere Zuzahlungen der Patienten reden, sollten wir erst die Stellschrauben im System selbst justieren.“

Aus seiner Sicht könnten gezielte Eingriffe und eine Reform des Preisfindungsprozesses erhebliche Entlastungen bringen, ohne die Versicherten stärker zu belasten. Schnellschüsse wie höhere Eigenanteile hält er hingegen für sozial unausgewogen und politisch zu kurz gedacht.

Digitalisierung als Schlüssel für mehr Effizienz

Als konkreten Reformansatz nennt Blatt u.a. eine digitale Terminplattform, die Zugänge in der Versorgung vereinfacht und unnötige Arztkontakte vermeidet. Auch größere ärztliche Kooperationsstrukturen könnten zur Entlastung beitragen.

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