
Die Auseinandersetzung um die EU-Richtlinie zur Abwasserreinigung spitzt sich zu. Während Pharma- und Kosmetikfirmen gegen ihre Kostenbeteiligung klagen, wollen sich deutsche Wasserwirtschaftsverbände in das Verfahren einschalten – aus Sorge um steigende Gebühren für Bürger. Die EU prüft inzwischen die tatsächlichen Belastungen. (Foto von Amritanshu Sikdar auf Unsplash)
Hintergrund ist die neue EU-Abwasserrichtlinie, die eine stärkere finanzielle Beteiligung der Hersteller an der Entfernung von Mikroschadstoffen vorsieht.
KARL-Richtlinie: Wasserwirtschaft beantragt Beteiligung am EU-Klageverfahren
Im Zusammenhang mit der neuen EU-Richtlinie zur Behandlung kommunalen Abwassers haben der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) sowie der Verband kommunaler Unternehmen (VKU) angekündigt, als sogenannte Streithelfer in ein laufendes Klageverfahren vor dem Gericht der EU einzutreten. Ziel sei es, die Position der deutschen Wasserwirtschaft zu vertreten und die Umsetzung der Richtlinie zu unterstützen.
Hintergrund ist die sogenannte erweiterte Herstellerverantwortung, die im Rahmen der Richtlinie 2024/3019 („KARL“) eingeführt wurde. Sie sieht vor, dass Hersteller von Pharmazeutika und Kosmetika künftig mindestens 80% der Kosten für eine vierte Reinigungsstufe in Kläranlagen übernehmen. Diese zusätzliche Reinigungsstufe soll vor allem Mikroschadstoffe aus dem Abwasser entfernen, die unter anderem durch Arzneimittel und Körperpflegeprodukte verursacht werden.
Klage von Pharmaunternehmen und Pharmaverbänden
Gegen die Regelung haben mehrere Pharmaunternehmen beim Gericht der EU Nichtigkeitsklagen eingereicht. Nach Angaben eines Gerichtssprechers sind derzeit 16 Verfahren anhängig. Branchenverbände wie Pro Generika oder der Verband forschender Arzneimittelhersteller (vfa) kritisieren insbesondere die Höhe der vorgesehenen Kostenbeteiligung. Laut vfa erkennt die Industrie grundsätzlich die Notwendigkeit der vierten Reinigungsstufe an und ist auch bereit, sich an den Kosten zu beteiligen. Die konkrete Ausgestaltung wirft aus Sicht der Verbände jedoch Fragen hinsichtlich Verhältnismäßigkeit und Transparenz auf.
Hauptsächlich die zugrunde liegenden Berechnungen zum Verursacheranteil werden hinterfragt. Ein Gutachten des Beratungsunternehmens Ramboll kommt zu dem Schluss, dass die von der EU-Kommission angenommenen Anteile pharmazeutischer Stoffe an der Gesamtbelastung des Abwassers nicht durchgehend wissenschaftlich belegt seien. Die Bewertung beruhe auf Daten, die in Teilen als unvollständig oder nicht unabhängig überprüfbar gelten.
Pharmaunternehmen verweisen zudem auf mögliche Auswirkungen auf die Arzneimittelversorgung. Speziell für preisgebundene Medikamente wie das Diabetesmittel Metformin oder bestimmte Antibiotika könnte eine stark steigende Kostenbelastung wirtschaftliche Konsequenzen haben – bis hin zum Rückzug vom Markt.
Die EU-Kommission hat unterdessen angekündigt, die Folgen der erweiterten Herstellerverantwortung erneut zu prüfen. Die Mitgliedstaaten sind laut Richtlinie verpflichtet, erstmals bis Anfang 2028 über den Stand der Umsetzung und die damit verbundenen Kosten zu berichten. Nach Einschätzung der Deutschen Vereinigung für Wasserwirtschaft (DWA) könnten dafür in den kommenden 20 Jahren bis zu 25 Mrd. Euro anfallen.
Dazu: Eine kurze Einordnung im Deutschlandfunk's Wirtschaftsgespräch – Neue EU-Abwasserrichtlinie könnte Medikamente verknappen.
Zum Thema KARL gibt es auch eine ausführlichere Aktualisierung in der Augustausgabe des PM—Report zu lesen.
Hintergrund zur EU-Abwasserrichtlinie (KARL)
Was ist KARL? Die EU-Richtlinie 2024/3019 („KARL“) regelt die erweiterte Behandlung kommunalen Abwassers. Sie wurde Ende 2024 verabschiedet und sieht den flächendeckenden Ausbau einer vierten Reinigungsstufe in Kläranlagen vor.
Ziel der Richtlinie: Reduzierung von Mikroschadstoffen – insbesondere Rückständen aus Arzneimitteln und Kosmetika – im Abwasser.
Kostenverteilung: Mindestens 80% der zusätzlichen Kosten sollen von den Herstellern pharmazeutischer und kosmetischer Produkte getragen werden (Verursacherprinzip gemäß Art. 191 Abs. 2 AEUV).
Kritikpunkte:
- Branchenverbände bezweifeln die wissenschaftliche Grundlage der Verursacheranteile.
- Sorge vor Produktionsrückgängen bei preisgebundenen Arzneimitteln.
- Uneinigkeit über die Auslegung der Prinzipien Verhältnismäßigkeit und Nichtdiskriminierung.
Aktueller Stand:
- 16 Nichtigkeitsklagen von Unternehmen sind vor dem Gericht der EU anhängig.
- BDEW und VKU beantragen Beteiligung als Streithelfer.
- Die EU-Kommission prüft die Auswirkungen der Richtlinie erneut.
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