
Torsten Christann schaut für Sie nach, was im Gesundheitswesen so alles liegen geblieben ist. (Foto von JESHOOTS.COM auf Unsplash)
Neujahrsputz: Was 2024 unter dem Sofa liegengeblieben ist
Liebe Leserinnen und Leser,
das neue Jahr hat begonnen, und vielleicht haben Sie wie ich die Gelegenheit genutzt, die Wohnung auf Vordermann zu bringen. Doch wer kennt es nicht? Da schiebt man das Sofa beiseite und stößt auf Dinge, die längst vergessen schienen – eine verloren geglaubte Socke, ein alter Einkaufszettel, oder, wie in meinem Fall, ein leeres Schokoladenpapier aus der Weihnachtszeit.
Ein ähnliches Bild bietet der Blick auf die deutsche Gesundheitspolitik. Im Eifer des Gesetzgebungsalltags, unter großem Reformdruck und politischem Streit, bleiben immer wieder wichtige Projekte liegen, die dringend umgesetzt werden sollten. Der Jahresbeginn ist daher ein guter Moment, um unter das „gesundheitspolitische Sofa“ zu schauen. Was wurde 2024 angestoßen, blieb aber auf halbem Weg stecken? Und was könnte 2025 bringen – auch im Lichte der kommenden Bundestagswahl?
Was liegt noch herum? Die großen Baustellen 2024
- Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG): Ein Anfang mit Herausforderungen
Das KHVVG soll die finanzielle Lage der Krankenhäuser stabilisieren und ihre Qualität sichern. Seit dem 1. Januar ist es in Kraft und bringt Neuerungen wie Vorhaltevergütungen, sektorenübergreifende Versorgungseinheiten und einen Transformationsfonds. Doch die praktische Umsetzung sorgt für Streit – die Maßnahmen sind komplex und umstritten. Dieses Gesetz dürfte auch 2025 die politischen Diskussionen dominieren.
- Notfallgesetz: Integrierte Notfallversorgung bleibt ausstehend
Die flächendeckende Einführung von Integrierten Notfallzentren (INZ) zur besseren Koordination von Rettungsdienst, Notaufnahmen und ärztlichem Notdienst ist dringend nötig. Doch der Entwurf stockt, und überfüllte Notaufnahmen bleiben auch 2025 ein drängendes Problem.
- Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz: Auf halbem Weg
Teile des Gesetzes wie die Entbudgetierung hausärztlicher Leistungen und die Einführung einer Versorgungspauschale für chronisch Erkrankte wurden noch kurz vor der Wahl angestoßen. Weitere Aspekte für den Ausbau ambulanter Strukturen und eine stärkere Vernetzung der Versorgung, z. B. im Bereich der psychotherapeutischen Versorgung, bleiben weiterhin unter dem Sofa liegen.
- Digitalagenturgesetz: Die digitale Transformation stockt
Die gematik soll zur Digitalagentur Gesundheit umgebaut werden, um die Digitalisierung im Gesundheitswesen benutzerfreundlich voranzutreiben. Bisher sind diese Pläne allerdings nicht über die Entwurfsphase hinausgekommen – ein Hindernis für dringend benötigte Fortschritte zur Digitalisierung des deutschen Gesundheitssystems.
- Pflegekompetenzgesetz: Stärkung der Pflege bleibt Theorie
Pflegekräfte sollen durch neue Kompetenzen entlastet und der Beruf attraktiver gemacht werden. DiPAs sollten attraktiver und deren Zulassungsprozess einfacher gestaltet werden. Doch das Gesetz, das auch niedrigschwellige Betreuungsangebote fördern soll, steckt noch im Gesetzgebungsverfahren.
- Apothekenreform: Mehr Flexibilität, aber keine Umsetzung
Die Apothekenreform soll die Versorgung im ländlichen Raum verbessern, beispielsweise durch digitale Beratungen und vereinfachte Regelungen für Apothekenleiter:innen. Bislang bleibt die Reform jedoch im Planungsstadium – und ihre versprochenen Erleichterungen sind noch nicht in Sicht.
- Weitere offene Baustellen
Das Gesetz für die Lebendorganspende, das Gesundes-Herz-Gesetz und das Gesetz zur Stärkung der öffentlichen Gesundheit mit dem neuen Bundesinstitut für Prävention und Aufklärung in der Medizin (BIPAM) sind weitere wichtige Vorhaben, die 2024 liegengeblieben sind.
Was bringt 2025? Die Gesundheitspolitik im Wahljahr
Viele der Baustellen aus 2024 wurden ins neue Jahr mitgenommen – manche Projekte schienen fast in Vergessenheit zu geraten, während neue Vorhaben hinzukommen. Mit der Bundestagswahl 2025 treffen diese offenen Baustellen auf ambitionierte Pläne, und die Chance, Ordnung in das gesundheitspolitische Chaos zu bringen, ist greifbar. Doch wie klar ist die Richtung, und welche Prioritäten setzen die Parteien?
Finanzierung: Die Frage der Finanzierung spaltet die Parteien. SPD und Grüne wollen das System durch eine solidarische Bürgerversicherung gerechter machen und alle Einkommensarten einbeziehen. CDU/CSU und FDP setzen auf Effizienz, Kostenkontrolle und die Beibehaltung des dualen Systems.
Digitalisierung: Die elektronische Patientenakte (ePA) soll endlich Alltag werden: SPD möchte sie als persönlichen Gesundheitsberater etablieren, während CDU/CSU ihren Einsatz zur Effizienzsteigerung betonen. Die FDP sieht in Apps, DiGAs, DiPAs und KI die Zukunft der Versorgung.
Strukturierung und Pflege: SPD und Grüne schlagen Gesundheitskioske und Versorgungszentren vor, um Versorgungslücken zu schließen. CDU/CSU betonen die Notwendigkeit einer stärkeren Vernetzung ambulanter und stationärer Strukturen. Bei der Pflege fordern alle Parteien bessere Arbeitsbedingungen, doch die Ansätze reichen von Entbürokratisierung bis hin zu erweiterten Kompetenzen für Pflegekräfte.
Gesundheitsstandort Deutschland: CDU/CSU und FDP sehen in der Gesundheitswirtschaft eine Leitökonomie, die durch verbesserte Standortbedingungen, kürzere Zulassungsverfahren und sichere Lieferketten gestärkt werden soll. SPD und Grüne betonen zudem die Notwendigkeit, die Medikamentenproduktion stärker nach Deutschland und Europa zurückzuholen, um die Versorgungssicherheit zu erhöhen.
Am Ende bleibt die Frage, welche Vision sich durchsetzt: mehr Wettbewerb und Effizienz oder Solidarität und Gemeinwohl? Eins ist klar: Das deutsche Gesundheitssystem muss aufgeräumt werden, damit es auf zukünftige Herausforderungen vorbereitet ist. Bleibt nur zu hoffen, dass 2025 weniger „unter dem Sofa“ liegen bleibt – und mehr angepackt wird.
Ein Neujahrswunsch
Wenn ich eines beim Neujahrsputz gelernt habe, dann, dass es sich lohnt, auch die Dinge anzupacken, die lange unbeachtet liegen geblieben sind. Nicht alles lässt sich sofort erledigen, aber ein klarer Blick und ein bisschen Entschlossenheit helfen dabei, endlich Ordnung zu schaffen – egal, ob im Wohnzimmer oder in der Gesundheitspolitik.
Mein persönlicher Wunsch für 2025 ist, dass wir gemeinsam die vielen Baustellen im Gesundheitswesen mit neuem Schwung angehen. Die offenen Projekte sind keine rein politischen Themen, sondern betreffen uns alle – sei es als Patient:in, Angehörige:r oder als Teil des Gesundheitssystems. Es wäre doch schön, am Ende des Jahres zurückzublicken und sagen zu können: „Dieses Mal haben wir es geschafft!“
Und wenn ich bei Ihnen jetzt das Gefühl geweckt habe, das eigene Sofa beiseitezuschieben und nachzusehen, was da so liegt – nur zu! Vielleicht ist es ja auch eine vergessene Idee, die es wert ist, wieder hervorgeholt zu werden.
Bis zum nächsten Mal in 4 Wochen,
Ihr Torsten Christann

Torsten Christann
Managing Partner Digital Oxygen
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