Orphan Drugs: Fokus medizinischer Bedarf


Eine Analyse des IQWiG zeigt, dass Orphan Drugs oft nicht den angestrebten medizinischen Bedarf decken. 

Bei der besonderen Nutzenbewertung von Orphan Drugs scheiden sich die Geister. (Foto von Christina Victoria Craft auf Unsplash) 

Orphan Drugs: Begrenzter Zusatznutzen

Eine Analyse des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) zeigt, dass Orphan Drugs oft nicht den ursprünglichen Anspruch erfüllen, unzureichend behandelbare Krankheiten zu adressieren. Trotz einer erheblich gestiegenen Zahl an Zulassungen in Europa – eine Folge gezielter Förderprogramme – zeigt sich, dass der Zusatznutzen dieser Medikamente in vielen Fällen begrenzt ist.

Laut einer neuen Publikation im International Journal of Technology Assessment in Health Care hat das IQWiG-Team die Nutzenbewertungen der vergangenen zehn Jahre analysiert. Dabei stellte sich heraus, dass für 58% der bewerteten Orphan Drugs bereits aktive Behandlungsmöglichkeiten existierten. Besonders auffällig ist dies in der Onkologie, wo dieser Wert bei 88% liegt, während er bei nicht onkologischen Indikationen lediglich 24% beträgt.

Zudem sind onkologische Indikationen, die oft mit sehr hohen Kosten verbunden sind, unter den Zulassungen überrepräsentiert. Gleichzeitig bleiben viele andere seltene Erkrankungen weiterhin ohne neue Behandlungsoptionen. Interessanterweise ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Orphan Drug einen Zusatznutzen gegenüber bestehenden Therapien zeigt, bei nicht onkologischen Indikationen höher, insbesondere wenn es keine alternativen Behandlungsmöglichkeiten gibt.

Gezieltere Optimierung

Abschließend betont das IQWiG, dass Forschungsinfrastrukturen und Förderprogramme gezielt optimiert werden sollten. Die Entwicklungsanreize müssen sich stärker auf jene Indikationen konzentrieren, in denen der medizinische Bedarf tatsächlich ungedeckt ist, um die Ressourcen effektiver einzusetzen und Patienten mit seltenen, bisher unzureichend behandelbaren Erkrankungen besser zu helfen.

Gegenargument vom vfa

Dr. Ulrike Götting, Geschäftsführerin Markt und Erstattung im vfa, findet, dass „in einem Bereich, in dem es deutlich mehr Medikamente gegen seltene Erkrankungen braucht, als wir heute haben, eine Angleichung bei der Nutzenbewertung das Gegenteil bewirken und zu einer starken Verminderung der Verfügbarkeit von orphans drugs führen würde. Das wäre geradezu paradox.

Medikamente gegen seltene Erkrankungen können im Übrigen oft überhaupt nicht die üblichen Kriterien der Nutzenbewertung erfüllen, weil sie aufgrund sehr kleiner Studienpopulationen andere Evidenzregeln brauchen. Deshalb hat sich die Politik ganz bewusst dafür entschieden, orphan drugs mit der erfolgten Zulassung nur einer eingeschränkten Nutzenbewertung auszusetzen ...“

Der vfa hat die Unternehmensberatung Simon-Kucher & Partner beauftragt, die Auswirkungen auf die Versorgung zu ermitteln, falls Orphan Drugs die Nutzenbewertung nach denselben Regeln wie alle anderen Arzneimittel durchlaufen müssten.

Mit dem Fazit:

Wären Medikamente gegen seltene Erkrankungen in der Nutzenbewertung wie alle anderen Medikamente behandelt worden, würde heute sehr wahrscheinlich mindestens jedes zweite davon fehlen: Denn 57% der Orphans zeigten ein sehr hohes Marktrücknahmerisiko, weil ihr Preisniveau sehr stark – teilweise auf Generikaniveau – gesunken wäre.

Bei den besonders innovativen Gen- und Zelltherapien gegen seltene Erkrankungen wurde ein noch höheres Marktrücknahmerisiko von 78% festgestellt.

 

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