Sind Beobachtungsstudien, Real World Data und Real World Evidence vertrauenswürdig?


Real-World-Daten auf dem Prüfstand: Das IQWiG diskutiert Chancen, Risiken und Anforderungen an RWD und RWE für Nutzenbewertung und Zulassung.

Auf dem Foto ist ein Mensch vor einem erleuchteten Nachthimmel zu sehen, der nach oben in die Sterne schaut.

Lange skeptisch, öffnet sich das IQWiG nun der Diskussion um den Nutzen von Real-World-Daten (RWD) und Beobachtungsstudien. Dabei zeigt sich: Ihr Potenzial für regulatorische Entscheidungen ist groß. (Foto von Greg Rakozy auf Unsplash)

 

Bisher ist das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) nicht als Verfechter für die Verwendung von Daten aus Beobachtungsstudien oder Real World Data (RWD) und Real World Evidence (RWE) aufgefallen. Im Rahmen der Veranstaltungsreihe IQWiG im Dialog hat sich das Institut jetzt immerhin auf eine Diskussion eingelassen, welche Kriterien für die Aussagekraft und Vertrauenswürdigkeit von Beobachtungsdaten bedeutsam sind.

Welche Vorbehalte das IQWiG beschweren, lässt folgende Erklärung erahnen: „Bereits seit einigen Jahren wird die Verwendung von Beobachtungsdaten – häufig fälschlicherweise und nichtssagend mit „Real World Data“ oder „Real World Evidenz“ gleichgesetzt – auch vermehrt zur Beantwortung von Fragestellungen der Nutzenbewertung gefordert. Hier stellt sich sofort die Frage der Vertrauenswürdigkeit von Daten aus Beobachtungsstudien, ….“

Ob RWD und RWE nichtssagend sind, darüber lässt sich sicher trefflich diskutieren. In ihrer Zusammenfassung der Konsultationen zum „Reflection Paper: Use of real-world data in non-interventional studies to generate real-world evidence for regulatory purposes“ (13 June 2025, EMA/203130/2025) schreibt die European Medicines Agency (EMA), dass CTs (Clinical Trials) die primäre Quelle für die Evidenz sind, um die Vorteile und Risiken eines Medikamentes im Prozess der Marktzulassung (marketing authorization procedures) sind. „NIS (nicht interventionelle Studien), die RWD nutzen, können klinische Studie ergänzen, indem sie Wissenslücken aufzeigen und Unsicherheiten an der Sicherheit und Wirksamkeit eines Produktes reduzieren.“ 

Roche drückt es so aus: „Mit der Verknüpfung von Daten aus randomisierten klinischen Studien (RCT) mit denen aus der realen Versorgungswelt (Real World Data, RWD) lassen sich medizinische Horizonte erweitern.“

Vorbehalte gegenüber RWD und RWE

Beobachtungsstudien als Basis von RWD und RWE unterliegen fast den gleichen Vorbehalten, die von Kritikern geäußert werden: mögliche Verzerrungen, wie Selektionsbias und Informationsbias, die die interne und externe Validität der Ergebnisse beeinträchtigen können. Zudem könne der Hawthorne-Effekt dazu führen, dass Teilnehmer ihr Verhalten ändern, sobald sie sich beobachtet fühlen, was die Ergebnisse verfälschen kann. 

Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass Beobachtungsstudien oft nicht kausale Zusammenhänge beweisen können, sondern lediglich Korrelationen aufzeigen. In einem im British Journal of Anaesthesia, (BJA: Volume 110, Issue 6, June 2013, Pages 1054–1055) heißt es, dass Beobachtungsstudien nicht zuverlässig genug sind. Die Zuverlässigkeit wird auch bei RWD und RWE bemängelt. Bedenken herrschen insbesondere gegenüber der Datenqualität, der mangelnden Kontrolle und dass die Interpretation von RWE aufgrund fehlender Vergleichbarkeit und unzureichender Kontrolle von Störfaktoren erschwert werde. 

Schon im Juli 2020 wurde im Rahmen eines Workshops zur Regulierung von COVID-19 RWE und Beobachtungsstudien festgestellt: „Evidenz, die durch qualitativ hochwertige Beobachtungsstudien gewonnen wird, ist von grundlegender Bedeutung für das Verständnis der Sicherheit und Wirksamkeit von Arzneimitteln, die von Patienten und Ärzten täglich verwendet werden.“ 

Beobachtungsdaten als Wissensquelle 

Julia Wicherski, FG52 Pharmakoepidemiologie, Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), betonte auf der IQWiG-Veranstaltung denn auch, dass „aus Beobachtungsdaten generierte Evidenz zunehmend in regulatorischen Entscheidungsprozessen auf nationaler sowie internationaler Ebene berücksichtigt“ würden. „Insbesondere zur Beurteilung der Sicherheit von Arzneimitteln werden Beobachtungsdaten bereits als etablierte Wissensquelle betrachtet. Ebenso vielfältig wie die verschiedenen Datenquellen sind auch ihre Anwendungsmöglichkeiten für regulatorische Entscheidungsprozesse entlang des gesamten Produktlebenszyklus eines Arzneimittels.“

Dass die Verfügbarkeit großer Datensätze ein enormes Potenzial für die medizinische Forschung verspricht, führte Sabine Hoffmann, Statistisches Beratungslabor (StaBLab), Institut für Statistik, Ludwig-Maximilians-Universität (LMU), München, aus. Dadurch würden Hoffnungen auf sogenannte „Real-World“ Evidenz geweckt, „die es erlaubt, Muster, seltene Ereignisse und langfristige Outcomes zu untersuchen. Diese Hoffnungen gehen einher mit der Sorge, dass durch die Veröffentlichung von retrospektiven Studien von geringer Qualität wertvolle Ressourcen verschwendet werden und von glaubwürdigerer Forschung abgelenkt wird. Die Veröffentlichung von Studien auf Beobachtungsdaten mag einfacher und wirtschaftlicher erscheinen als die Durchführung interventioneller Studien, aber eine angemessene Analyse und Interpretation der daraus gewonnenen Ergebnisse ist sehr viel komplexer.“ 

Sie hob hervor, dass Beobachtungsstudien hohen Anforderungen genügen müssen, „um aussagekräftige Erkenntnisse zu liefern und einen echten Nutzen zu erbringen.“ Dafür würden Instrumente benötigt, um Beobachtungsstudien kritisch zu bewerten und ihre Ergebnisse zu interpretieren.

Anforderungen an Registerdaten

Diesen Anforderungen müssen auch Registerdaten genügen, die im Zusammenhang mit der anwendungsbegleitenden Datenerhebung vom G-BA als eine der wichtigsten Quellen genannt werden. Solche Erhebungen kann der G-BA fordern, wenn zum Zeitpunkt der Zulassung keine ausreichenden Daten vorliegen, ob Arzneimittel tatsächlich eine Verbesserung gegenüber dem derzeitigen therapeutischen Standard darstellen.

Das IQWiG soll aus den bereits stattgefundenen Erhebungen (Stand Februar 2025: fünf laufende Datenerhebungen, zehn in Planung) eine neue Methodik entwickeln. Laut Volker Vervölgyi, Ressort Arzneimittelbewertung, IWiG, wird gerade ermittelt, „ob die im Register erhobenen Daten in ausreichendem Umfang und in ausreichender Qualität für die Durchführung einer vergleichenden Studie erhoben werden. In allen bisherigen Fällen bestand noch Anpassungsbedarf, der sich zwischen den Registern in seinem Ausmaß unterschied.“ Empfehlungen zur Methodologie beim Einsatz von Registerdaten bei der Bewertung und Marktzulassung von Arzneimitteln hat das Committee for Human Medicinal Products (CHMP) der EMA bereits 2021 veröffentlicht (Guideline on registry-based studies, 22 October 2021, EMA/426390/2021).  

Neuer Ansatz: Target Trial Emulation

Dr. Felicitas Kühne, Outcomes Research Manager, Pfizer Pharma GmbH, wies darauf hin, dass bei der Bewertung neuer Gesundheitstechnologien Evidenz zu Aspekten wie Nutzen, Schaden, Kosten nicht immer in RCTs erhoben werden können. Die Gewinnung kausaler Rückschlüsse (Kausalinferenz) aus Beobachtungsdaten habe mit Problemen, u.a. Confounding, Immortaltime-Bias und Selektionsfehler, zu tun. Um das Potenzial der Beobachtungsdaten bei gleichzeitiger Kontrolle der systematischen Verzerrungen auszuschöpfen, müssten neue Ansätze gewählt werden.

Einer dieser Ansätze könnte die Target Trial Emulation (TTE) sein. Deren Wirkung beschrieb Tim Mathes, Ressort Gesundheitsökonomie, IQWiG: „Die Grundidee ist es, eine hypothetische idealtypische, d.h. ohne Berücksichtigung von Machbarkeits- und ethischen Aspekten, RCT zu definieren und hierauf basierend die Analyse für eine nicht randomisierte Studie abzuleiten. Hierfür werden Methoden der kausalen Inferenz verwendet. Durch die Gegenüberstellung von RCT und nicht randomisierter Auswertung können „selbst-gemachte“ methodische Probleme vermieden werden. Zudem werden mögliche Quellen für Verzerrung explizit gemacht. Falls die TTE die Referenz RCT perfekt emuliert, können aus ihr mitunter kausale Schlussfolgerung gezogen werden. Allerdings stellt dieses sehr hohe Anforderungen an die zugrunde liegenden Daten.“

RWE: Potenzial in zukünftigen Zulassungsprozessen

Inwieweit Beobachtungsdaten klinische Studien ergänzen und durchaus verbessern können, hat die EMA in einer Pilotstudie zwischen September 2021 und Februar 2023 zu erkunden versucht (Quelle: Clinical Pharmacology & Therapeutics: Real-World Evidence to Support EU Regulatory DecisionMaking Results from a Pilot of Regulatory Use Cases Real-World Evidence)

Erkenntnisse aus dieser Studie haben gezeigt, wie RWE in Zulassungsprozesse integriert werden kann. Ein Ergebnis war die Komplementarität mit klinischen Prüfungen: RWD und RWE können die im Rahmen herkömmlicher klinischer Prüfungen gewonnenen Erkenntnisse verbessern, weil sie Evidenzlücken schließen können, die in verschiedenen Phasen des Produkt-Lebenszyklus bestehen. 

Außerdem können sie zu einer zeitnahen Generierung von Evidenz beitragen. Die EMA betont die Notwendigkeit einer frühzeitigen und engen Zusammenarbeit und Kommunikation mit allen Beteiligten und das Potenzial von RWE in zukünftigen Zulassungsprozessen.

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