
Mit Beginn des Jahres 2025 ist die gemeinsame europäische Nutzenbewertung (EU-HTA) in die Praxis gestartet. Das IQWiG bringt seine Expertise in vier onkologische Bewertungen ein. Das ist ein wichtiger Schritt hin zu einer europaweit abgestimmten Evidenzbasis für nationale Entscheidungen. (Foto von Christian Lue auf Unsplash)
Gemeinsamer Startschuss für die EU-HTA
Seit Anfang 2025 arbeiten die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union enger zusammen, wenn es um die klinische Bewertung neuer Arzneimittel geht. Kern dieser Zusammenarbeit sind die Joint Clinical Assessments (JCAs), die eine wissenschaftlich fundierte Einschätzung der vorhandenen Evidenz liefern. Damit sollen die nationalen Institutionen bei ihren Entscheidungen unterstützt werden: etwa bei Preisverhandlungen, Erstattungsfragen oder der Einordnung des Zusatznutzens.
„Seit Anfang 2025 arbeiten die EU-Länder enger zusammen bei der Bewertung neuer Arzneimittel im EU-HTA-Verfahren – der europäischen Nutzenbewertung. Ziel ist es, den Mitgliedsstaaten eine wissenschaftliche Bewertung der vorhandenen Evidenz für Entscheidungen in ihren Gesundheitssystemen zur Verfügung zu stellen“, erläutert Regina Skavron, Bereichsleiterin Methodik und Koordination der europäischen Nutzenbewertung von Arzneimitteln am IQWiG.
Erste Projekte: Tovorafenib und drei weitere Onkologika
Im März 2025 startete das erste Projekt mit IQWiG-Beteiligung: die gemeinsame Bewertung von Tovorafenib, einem Wirkstoff für Kinder und Jugendliche mit niedriggradig malignem Gliom, einem langsam wachsenden Tumor des Zentralnervensystems. Federführend ist hier das irische National Centre for Pharmacoeconomics (NCPE), das IQWiG übernimmt die Rolle des Co-Assessors. Der Abschlussbericht wird im zweiten Quartal 2026 erwartet, kurz nach der voraussichtlichen Zulassung des Präparats.
Parallel dazu ist das IQWiG als Assessor in drei weiteren Onkologie-Verfahren eingebunden. Partnerorganisationen sind die portugiesische Behörde Infarmed, das ungarische National Centre for Public Health and Pharmacy (NCPHP) sowie die Slovenian Quality Health Care Agency. Die Ergebnisse dieser Verfahren sollen im dritten Quartal 2026 vorliegen.
Schrittweise Einführung bis 2030
Die EU-HTA wird in mehreren Etappen umgesetzt. Den Auftakt bilden 2025 onkologische Wirkstoffe und Arzneimittel für neuartige Therapien (ATMPs), darunter Gentherapien. Ab 2028 kommen Arzneimittel für seltene Erkrankungen (Orphan Drugs) hinzu. Ab 2030 sollen schließlich alle neu zugelassenen Arzneimittel in einem gemeinsamen europäischen Verfahren bewertet werden. Auch Medizinprodukte mit hohem Risiko sollen ab 2026 in die HTA-Strukturen integriert werden.
Assessoren-Duo und nationale Einordnung
Der Kern des Verfahrens ist, dass zwei Agenturen aus unterschiedlichen EU-Ländern jeweils als Assessor und Co-Assessor zusammenarbeiten. Sie legen die Fragestellungen – sogenannte PICOs (Population, Intervention, Comparator, Outcome) – fest und bewerten die verfügbare Evidenz. Dabei können die PICOs je nach Land variieren, da sie an nationale Versorgungsrealitäten angepasst sind.
Die JCAs liefern eine gemeinsame wissenschaftliche Grundlage, ersetzen jedoch keine nationalen Entscheidungen. So wird in Deutschland auch künftig nach einem europäischen JCA eine Zusatznutzenbewertung im AMNOG-Verfahren durch das IQWiG und den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) folgen.
Bedeutung für die Gesundheitssysteme
Mit den ersten Projekten ist das europäische Verfahren nun Realität geworden. Für die beteiligten Agenturen, und auch für das IQWiG, bedeutet dies, sich in einer neuen, länderübergreifenden Struktur zu bewähren. Langfristig soll die EU-HTA dazu beitragen, dass Entscheidungen über neue Arzneimittel schneller, transparenter und auf einer einheitlichen Evidenzbasis getroffen werden können – bei gleichzeitiger Wahrung der nationalen Entscheidungshoheit.
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