SVR fordert grundlegende Reform der Preisbildung für innovative Arzneimittel


Der Sachverständigenrat Gesundheit & Pflege (SVR) warnt vor einer finanziellen Überforderung des deutschen Gesundheitssystems durch stark steigende Preise für innovative Arzneimittel. 

Auf dem Foto ist eine Art Puppen Einkaufswagen zu sehen, in dem Medikamentenpackungen und Geld zu sehen ist.

Leonie Sundmacher, Professorin für Gesundheitsökonomie an der TU München, kommt zu dem Schluss: „Die Ausgaben für Arzneimittel sind in den letzten Jahren stark gestiegen... In den vergangenen Jahren beobachten wir insbesondere für Markteinführungen innovativer Arzneimittel immer höhere Preise. Derdurchschnittliche Preis eines neu eingeführten patentgeschützten Arzneimittels lag vor 15 Jahren bei rund 1.000 Euro und schwankte zuletzt um Werte rund um 50.000 Euro. Vor diesem Hintergrund stellen wir mit unserem aktuellen Gutachten die Preisbildung für innovative Arzneimittel auf den Prüfstand.“ (Foto von Anastasiia Gudantova auf Unsplash)

 

In seinem am 22. Mai 2025 veröffentlichten Gutachten „Preise innovativer Arzneimittel in einem lernenden Gesundheitssystem“ spricht sich der Rat für eine dynamische, evidenzbasierte Preisgestaltung und ein „lernendes Gesundheitssystem“ aus.

Zentrale Forderung

Arzneimittelpreise sollen konsequenter am tatsächlichen Zusatznutzen orientiert und regelmäßig überprüft werden. Insbesondere hochpreisige Einmaltherapien wie Gentherapien stellen neue Herausforderungen dar. Aktuell liegt der Durchschnittspreis eines neu eingeführten patentgeschützten Medikaments bei rund 50.000 Euro – vor 15 Jahren waren es noch etwa 1.000 Euro.

Das Gutachten empfiehlt u. a. die Einführung eines Interimspreises, ein stärkeres Preismonitoring über den Lebenszyklus hinweg, Budgetdeckel für patentgeschützte Arzneimittel sowie erfolgsabhängige Vergütungsmodelle. Eine Sonderrolle für Orphan Drugs soll entfallen.

Mit Blick auf die Pharmaindustrie betont der SVR: 

Standortentscheidungen hängen weniger von hohen Preisen als vielmehr von effizienter Regulierung, Fachkräften und digitaler Infrastruktur ab. Die Koppelung von Erstattungspreisen an Standortförderung – wie im Medizinforschungsgesetz vorgesehen – lehnt der Rat entschieden ab.

Bundesgesundheitsministerin Nina Warken betont die Balance: „In der Preisbildung für innovative Arzneimittel müssen wir stets die richtige Balance finden. Einerseits müssen wir den Menschen einen schnellen Zugang zu neuen Medikamenten verschaffen und zugleich den Pharmastandort Deutschland stärken. Auf der anderen Seite müssen wir die Preisentwicklung aufmerksam im Blick behalten. Die Ausgaben für Arzneimittel in der GKV sind allein im vergangenen Jahr um zehn Prozent gestiegen. Beitragssatzsteigerungen wollen wir aber unbedingt vermeiden. Das Gutachten wird hierfür wertvolle Hinweise geben.“

Der vfa hält dagegen. Denn das Gutachten „schlägt vieles vor, was das bestehende Erstattungsrecht (AMNOG) längst kann: Zum Beispiel die strikte Orientierung der Preise am Zusatznutzen oder die Berücksichtigung neuer Evidenz in der Nutzenbewertung. Und genau das AMNOG ist „ein effektives und international anerkanntes Modell“, bekräftigt vfa-Präsident Han Steutel. Als richtig sieht er die vorgeschlagene Stärkung innovativer Erstattungsmodelle (z.B. pay for performance). 

Aber auf Ablehnung stößt die vorgeschlagene Einführung eines Gesamtbudgets für innovative Arzneimittel: Diese „verlässt dagegen den Boden eines nutzenorientierten Systems und führt in der Konsequenz zu Rationierung. Auch die drastische Verschärfung des Umgangs mit seltenen Erkrankungen würde zu einer massiven Gefährdung der Versorgung in einem besonders sensiblen Bereich führen.“

Dorothee Brakmann, Hauptgeschäftsführerin von Pharma Deutschland, wundert sich über „die Auswahl hinzugezogener Expert:innen. Die Sichtweisen, die nicht aus dem unmittelbaren Umfeld der Kostenträger kamen, waren stark unterrepräsentiert oder fehlten ganz. Dabei sind diese Perspektiven für einen zukunftsfähigen Pharmastandort Deutschland unerlässlich. Dort, wo Forschung, Entwicklung und Versorgung auf hohem Niveau stattfinden sollen, braucht es ein verlässliches wirtschaftliches Fundament – dazu gehört auch eine faire und innovationsfreundliche Preisgestaltung mit gesamtwirtschaftlichem Blick und nicht nur die Abbildung einer lang bekannten Wunschliste der Kostenträger.“

In der Grafik wird die Preisgestaltung eines neuen Arzneimittels skizziert und je nach Fall des zugesprochenen Zusatznutzens.

Grafik: SVR

Auf der Grafik sind die bisherigen AMNOG-Prozesse zu sehen, Stand Ende 2024.

Grafik: SVR

Das Gutachten in kurzer Übersicht

(Das Gutachten finden Sie hier | pdf, 199 Seiten).

Ausgangslage

  • Deutschland bietet schnellen Zugang zu innovativen Arzneimitteln, zahlt dafür aber sehr hohe Preise.
  • Durchschnittspreis neuer Arzneimittel: ~50.000 € (vor 15 Jahren: ~1.000 €).
  • Arzneimittelausgaben zweitgrößter Kostenblock in der GKV nach Krankenhauskosten.

Kernprobleme

  • Preise oft nicht an realem Zusatznutzen ausgerichtet.
  • Ungleichgewicht in der Verhandlungsmacht zwischen GKV-SV und Pharmaunternehmen.
  • Statische Preisbildung, kaum Reevaluation bei neuer Evidenz.
  • Sonderrolle von Orphan Drugs führt zu systematischen Verzerrungen.

Zentrale Empfehlungen

  • Zusatznutzen als Maßstab für die Preisbildung über den gesamten Lebenszyklus hinweg.
  • Abschaffung der Orphan-Drug-Sonderregelung, Berücksichtigung nur im Preis.
  • Einführung eines Interimspreises auf Basis der zweckmäßigen Vergleichstherapie.
  • Stärkung des GKV-SV: Möglichkeit zum Rücktritt aus Verhandlungen.
  • Kosten-Nutzwert-Bewertungen indikationsübergreifend etablieren.
  • Budgetdeckel für hochpreisige Arzneimittel mit automatischen Abschlägen.
  • Pay-for-Performance-Modelle bei unsicherem Therapieerfolg.
  • Reevaluation und Preisneuverhandlungen bei neuer Evidenz systematisch ermöglichen.

Europäischer Kontext

  • Unterstützung gemeinsamer klinischer Bewertungen (EU-HTA).
  • Nutzung der EU-Arzneimittelbeschaffung über Krisen hinaus ausweiten.
  • Aufbau vernetzter europäischer Forschungsdateninfrastrukturen.

Standortpolitik

  • Standortförderung über Bürokratieabbau und digitale Infrastrukturen – nicht über Arzneimittelpreise.
  • Koppelung von Preisen an klinische Forschung in Deutschland (Medizinforschungsgesetz) wird abgelehnt.
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