
Luisa Wasilewski hat an einem besonderen Format teilgenommen: einer Oxford-Style Debate. Die Frage, um die es ging: „There will be no doctors in the future.“ (Foto von Mayukh Karmakar auf Unsplash)
Im Sommer war ich bei der Health Europe in Amsterdam und durfte dort an einem besonderen Format teilnehmen: einer Oxford-Style Debate. Die Frage, um die es ging, lautete: „There will be no doctors in the future.“
Schon beim ersten Lesen spürt man: Das ist eine steile These. Und genau deshalb hat sie das Publikum sofort gepackt – emotional, kontrovers, lebendig. Für mich war es das erste Mal, in einer solchen Debatte zu stehen. Und ich habe schnell gemerkt: Das Format selbst ist mindestens so spannend wie die inhaltliche Auseinandersetzung.
Was ist eine Oxford-Style Debatte?
Das Format stammt aus der Tradition der Universitäten Oxford und Cambridge. Eine Motion, also eine These, wird zur Abstimmung gestellt. Zwei Teams treten gegeneinander an: die eine Seite vertritt die Motion (Pro), die andere spricht dagegen (Contra). Jedes Team hat drei Sprecher:innen, die in festgelegter Redezeit ihre Argumente vortragen. Danach kann das Publikum Fragen, Statements oder Kommentare loswerden. Die Debatte wird mit einem „Rebuttal“ geschlossen und die:der erste Sprecher:in fasst die jeweiligen Argumente noch einmal zusammen. Am Ende stimmt das Publikum ab.
Besonders herausfordernd: Man argumentiert nicht zwangsläufig die eigene Meinung, sondern die Seite, die einem zugewiesen wird. Das zwingt dazu, die Perspektive zu wechseln – und macht den Reiz der Debatte aus.
Die Motion: „There will be no doctors in the future“
Die konkrete Motion lautete: By 2040, AI will replace doctors in diagnosing and treating patients. Also nicht in 100 Jahren, sondern in einer Zeitspanne, die wir alle noch erleben können. Und es ging vor allem um Diagnostik und Behandlung, nicht darum, das gesamte Gesundheitssystem ohne Menschen zu denken.
Die Argumente Pro: KI ersetzt Ärzt:innen
In meinem Team vertraten wir die These, dass KI Ärzt:innen bis 2040 weitgehend ersetzen wird. Unsere Argumente:
- Performance: KI schläft nicht, ist nicht müde, vergisst nichts. Studien zeigen schon heute, dass KI Radiolog:innen, Hautärzt:innen oder Patholog:innen in vielen Bereichen übertrifft – insbesondere in der Diagnostik.
- Zugang & Gerechtigkeit: KI ist skalierbar, 24/7 verfügbar und wird nicht müde – unabhängig von Wohnort, Versicherung oder Wartezeiten. So kann sie Versorgung gerechter machen.
- Kosten & Effizienz: KI arbeitet günstiger, effizienter und entlastet überforderte Gesundheitssysteme. Weniger Fehler, weniger Überlastung.
- Empathie neu gedacht: Empathie heißt nicht zwingend Händedruck und Blickkontakt. Studien zeigen, dass Patient:innen KI-Antworten teilweise als empathischer empfinden, weil sie mehr Zeit und Geduld vermitteln.
Die Argumente Contra: Ärzt:innen bleiben unverzichtbar
Die Gegenseite stellte die Rolle des Menschen in den Mittelpunkt:
- Human Touch: Vertrauen, Intuition und die Fähigkeit, Zwischentöne zu verstehen, sind in kritischen Situationen unersetzlich.
- Komplexität & Unsicherheit: KI-Use Cases sind heute noch stark in Silos zu finden. Sie ist stark in Mustern, aber tendenziell eher schwach bei seltenen oder komplexen Fällen mit vielen Variablen.
- Verantwortung & Haftung: Wer trägt die Verantwortung, wenn eine KI falsch liegt? Rechtliche und ethische Fragen sind ungeklärt.
- Gesellschaftliches Vertrauen: Gesundheit ist ein sensibles Feld. Viele Menschen sind noch nicht bereit, Diagnosen allein Maschinen anzuvertrauen.
Das Publikum hat entschieden
Nach intensiven Reden und hitzigen „Rebuttals“ durfte das Publikum abstimmen. Das Ergebnis: Die Mehrheit stimmte gegen die Motion. Das heißt: Für die meisten wird es auch in Zukunft (2040) Ärzt:innen geben und KI wird diese nicht ersetzen.
Spannend war für mich die Beobachtung, dass unsere Argumente zwar klarer und strukturierter waren, aber am Ende die Emotion überwog. Die Menschen haben nicht nach reiner Logik abgestimmt, sondern nach ihrer „Wohlfühltemperatur“: Was kann ich mir vorstellen, womit fühle ich mich sicher?
Fazit: Die Wahrheit liegt in der Mitte
Mein persönliches Fazit nach dieser Erfahrung: KI wird Ärzt:innen nicht vollständig ersetzen, aber die Rollen massiv verändern.
- Es gibt Bereiche, in denen KI die bessere Wahl ist: Routine, Screening, Standarddiagnostik.
- Und es gibt Situationen, in denen der menschliche Faktor unverzichtbar bleibt: Notfälle, komplexe Fälle, sensible Gespräche.
Die entscheidende Aufgabe für die kommenden Jahre ist nicht die Frage „Mensch oder Maschine?“, sondern die kluge Neudefinition der Rolle von Ärzt:innen und anderem medizinischen Fachpersonal. Nur so können wir das Beste aus beiden Welten verbinden – für eine Gesundheitsversorgung, die menschlich bleibt und zugleich die Möglichkeiten von KI ausschöpft.

Luisa Wasilewski
Gründerin & Geschäftsführerin Pulsewave
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