Quelle: Roland Berger
"Marketing Entscheider Radar 2019"
Wie sehr sich Unternehmen damit schwertun, naheliegende Chancen der neuesten Entwicklungen zu nutzen, zeigt der „Marketing Entscheider Radar 2019“ (MER 2019). Dies ist der Titel einer Umfrage unter 100 Marketing- und Mediaentscheidern sowie Bereichsleitern in zehn werberelevanten Branchen (darunter auch neun Unternehmen aus dem Bereich Pharma & Chemie) zum Digitalisierungsgrad ihrer Unternehmen. Durchgeführt wurde die CATI-Befragung im März und April diesen Jahres von dem Münchner Marktforschungsinstitut Mindfacts im Auftrag der Unternehmensberatung Brain Consulting.
Das signifikanteste Ergebnis
56%, also über die Hälfte der befragten Führungspersonen, hält ihr Unternehmen nicht ausreichend gerüstet für die digitale Transformation. Recht prägnant waren die Antworten auf die Frage, wie sich die Digitalisierung auf das eigene Unternehmen, bzw. dessen Geschäftsmodell ausgewirkt hat. Mit 58% die höchste Zustimmungsrate erhielt die Aussage, dass das „Unternehmen technologisch aufgestockt“ wurde.
Probleme bei der digitalen Umsetzung
Als Gründe für die Schwierigkeiten bei der Digitalisierung nannten die Befragten an vorderster Stelle die „unzureichende Anpassung der IT-Systeme“ (36%), gefolgt von dem fehlenden Verständnis für die digitale Transformation (30%) sowie der Tatsache, dass es „kein übergreifendes Data-Management“ gibt (28%). Über ein Viertel der Führungspersonen beklagte sich auch über die „Silostrukturen“ und die „mangelnden oder nicht bekannten bereichsübergreifenden Ziele/Visionen“ (jeweils 26%).
Eine wesentlich Folge dieser organisatorischen Schwächen: Nur knapp jeder fünfte Entscheider hält die Prozesse, Strukturen und das Handling von Daten in der Marketingabteilung für sehr produktiv. Gerade die „Silostrukturen“, also die fehlende Kommunikation und Interaktion, sind eine wesentliche Ursache für die unzureichende Ausnutzung des vorhandenen Datenmaterials.
Potenzial für Verbesserung
Durch die Studie wird offenbart, dass es erhebliches Verbesserungspotenzial gibt: Unter anderem vermisst fast jeder zweite Befragte (46%) in seinem Unternehmen eine einheitliche Definition von fachbereichsübergreifenden Zielen und etwa jeder Dritte (36%) bezeichnet das interne Knowledge innerhalb des Unternehmens sowie die Entscheidungskompetenzen als unzureichend.
Oliver Mohr fasst das Dilemma folgendermaßen zusammen: „Die anhaltend hohe Geschwindigkeit der Digitalisierung, die Vielzahl der Hypes, Trends und neuen Tools oder auch das Wegbrechen bislang gültiger Normen und Funktionsweisen machen das Marketing sowohl in seiner Breite als auch Tiefe immer komplexer.“
Das verunsichere Management wie Mitarbeiter. „Hier gilt es alle mitzunehmen“, fordert der Geschäftsführer Brain Consulting.
Schlecht vorbereitet auf digitale Entwicklungen
Wie schlecht viele Kommunikationsabteilungen auf die neuen Entwicklungen vorbereitet sind, haben auch die Berater von Roland Berger feststellen müssen. In ihrem Bericht „Roland Berger Focus – Effizienz- und Qualitätssprung in der Unternehmenskommunikation“ vom Mai diesen Jahres beschreiben sie die Situation in großen Unternehmen und Konzernen: So seien die dortigen Kommunikationsabteilungen „..stark im Tagesgeschäft vertiefte Organisationen“. Unter ihnen gebe es „nicht viele Einheiten, denen attestiert werden kann, den (Kommunikations-) Kopf souverän über dem Wasser zu haben.“
Und immer müsse es schnell gehen, „denn Social und Online Media verlangen nach kurzen Reaktionszeiten“. Wenig hilfreich sei in diesem Zusammenhang auch gewesen, dass vor allem Großunternehmen „die Budgets gesenkt und Personal eingespart haben“. Die Autoren der Roland-Berger-Publikation sehen es auch als Problem an, dass immer noch viel zu sehr auf Pressemitteilungen gesetzt wird, die sie für relativ erfolglos halten: „Im schnellen, digital getriebenen Nachrichtengeschäft heben Medien viele Topthemen schon Tage zuvor eigenständig auf die Agenda – die zeitaufwändig abgestimmte Pressemitteilung ist ein Nachklapp, der kaum noch interessiert. Selbst exklusive Nachrichten gehen teils unter, weil Themen zu langsam und nicht vorausschauend und passgenau aufgesetzt sind.“
Digitalisierung betrifft auch die Unternehmenskommunikation
Die Mitarbeiter in den Kommunikationsabteilungen bekamen in den letzten Jahren sehr gut vor Augen geführt, dass „die Digitalisierung Unternehmen fast aller Branchen umwälzt – Prozesse, Produkte und komplette Geschäftsmodelle“, heißt es in dem Papier weiter, „stehen unter Druck und verändern sich teils radikal. Die Unternehmenskommunikatoren wissen sehr wohl, dass der Wandel auch auf ihre Abteilungen zukommt.
Eine große Rolle spielt für die Unternehmensberatung dabei das Konzept des Newsrooms: Dieser „dürfte – richtig aufgesetzt und klug implementiert – für die allermeisten Unternehmen das überlegene Organisations- und Zusammenarbeitsmodell sein. Zu den vorteilhaften Effekten auf der Produktionsseite gehört, dass eine abteilungsübergreifende Drehscheibe die Kommunikation reaktionsfähiger macht, visuell und multimedial wirkungsvoll aufbereitete Inhalte ermöglicht und insgesamt die Digitalisierung der Kommunikation beschleunigt.”
Wichtig: Analysetools
Außerdem halten die Autoren „durch die bessere Verteilung der Kapazitäten und das Ausbalancieren von Arbeitslasten“ Effizienzgewinne von 30% oder mehr für realistisch. Doch „jeder noch so ausgetüftelte Newsroom“ agiere im „luftleeren Raum“ ohne „Analytics“, also intelligente Systeme und Tools zur Datenerhebung. Eine „zeitgemäße Unternehmenskommunikation“ müsse, so die Autoren, „analytische Aufklärungsarbeit leisten: Wo und wie bauen sich Stimmungen auf? Welche (neuen) Themen und Narrative sind zu erkennen? Wo entwickeln sich erste Krisensymptome?“
KI-Systeme
Diese „werden“, so die Autoren des Papiers, „die Unternehmenskommunikation verändern – das Ob steht gar nicht mehr in Frage, mit gewisser Unsicherheit ist lediglich belegt, wie hoch das Tempo in den verschiedenen Einsatzbereichen sein wird“. Solche Systeme seien „schon heute in der Lage, einfache Anfragen von Stakeholdern und Kunden zu bearbeiten. Sie können Informationen über Fragesteller sammeln, auswerten und den (menschlichen) Kommunikatoren als Entscheidungsgrundlage für das weitere Vorgehen vorlegen.“ Und eventuell wird der Mensch ja noch ein wenig mehr zurückgedrängt, denn „längst stehen Bots zur Verfügung, welche die Zusammenstellung und den Versand individualisierter Newsletter übernehmen. Roboter werden auch für Unternehmenskommunikationen das Schreiben von bestimmten (Standard-) Texten übernehmen – bei Nachrichtenagenturen und ersten Regionalmedien leisten sie schon verlässlich ihren Dienst.“
Die Autoren fordern die Unternehmen in diesem Zusammenhang auf, „hier nicht nur Präsenz zu zeigen, sondern auch die ehrliche Bereitschaft zum Austausch auf Augenhöhe. Ohne die enge und proaktive Interaktion mit relevanten Stakeholdern büßen sie schleichend an gesellschaftlicher Akzeptanz ein.“
Keine Frage – diese Mahnung müssen sich auch Unternehmen der Pharmaindustrie zu Herzen nehmen. Die Frage, welche Kanäle und Plattformen für die eigene Firma ein Muss sind, hängt von der Branche und dem Wettbewerb ab. „Wichtiger als die Anzahl“, geben die Autoren des Papiers von Roland Berger zu bedenken, „ist die Haltung. Ziel muss es sein, den Dialog zu suchen, Vertrauen zu gewinnen und ‘Social Power’ aufzubauen, damit in Konfliktsituationen der Gesprächsfaden nicht reißt und bei drohender Konfrontation die eigenen Gefolgsleute aktivierbar sind.“
Das ist ein Artikel in Auszügen aus dem PM—Report 10/19.
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