Medical Affairs birgt großes Potenzial. (Foto von SpaceX auf Unsplash)
Damit können frühzeitig wesentliche Weichen für einen erfolgreichen Markteintritt gestellt werden.
Eingeordnet von Franziska Thiele, Vorstand DP-Medsystems AG
Was versteht man unter Medical Affairs?
Nach der Zulassungsphase eines Arzneimittels beginnt die Vermarktungsphase. In Pharmaunternehmen wird hier zwischen den Bereichen Marketing, Sales und Medical Affairs unterschieden. Diese Kommunikationsbereiche haben Überschneidungspunkte und laufen in der Regel parallel ab.
Medical Affairs verfolgt jedoch keine Werbe- und Verkaufsstrategie, sondern hat das Ziel, zielgruppenrelevante Informationen über die neu auf den Markt gebrachten Produkte zu entwickeln und damit z. B. Multiplikatoren, Key Opinion Leader (KOL) und meist auch weitere relevante Stakeholder im Gesundheitswesen zu adressieren.
Medical Affairs vs. Pharmamarketing
Im Marketing geht es in erster Linie um Pharmawerbung und den USP eines Produktes. Mediziner:innen benötigen jedoch für Pharmaprodukte, neue Therapien, seltene Indikationsgebiete oder neuartige Wirkmechanismen von Medikamenten alle relevanten Informationen, wie zum Beispiel Nebenwirkungen oder mögliche negative Aspekte und auch Vergleichsdaten zu anderen Therapien. Ziel ist es, die Zielgruppe umfassend über ein neues Produkt aufzuklären, zu informieren und gegebenenfalls zu diskutieren.
Auf der Agenda von Medical Affairs stehen die aktuelle Forschungssituation, alle relevanten Zulassungsdaten zum Produkt und seinen Wettbewerbern, relevante Versorgungsaspekte, im Kontext stehende Therapiealgorithmen, Therapiestrategien und vieles mehr. Bei Medical Affairs geht es um den rein wissenschaftlichen, klinischen Austausch und nicht um kommerzielle Interessen.
Medical Affairs gewinnt in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung
Vor allem in der Pre-Launch-Phase ist Medical Affairs von unschätzbarem Wert. Wer hier Chancen verpasst, kann sie nicht mehr aufholen. Je früher man sich hier personell, professionell und wissenschaftlich qualitativ aufstellt, desto erfolgreicher können die Marketingerfolge im Launch und Post-Launch eingefahren werden.
Was heißt das konkret?
Vor dem Start der Marketingaktivitäten sollten wichtige Fragen und Herausforderungen sowie kritische Themen, Chancen und Perspektiven in der Kern-Community analysiert und aufbereitet werden. Dies ist sozusagen die „Proof-of-Concept-Phase“ mit den wichtigsten Meinungsbildnern und TIER-1-Zielgruppen. Das bedeutet, dass im Vorfeld die wichtigsten KOLs identifiziert und kontaktiert werden müssen. Ebenso wichtig sind Meinungsbildner, die als kritische Multiplikatoren Einfluss nehmen können.
Potenziale erkennen und nutzen
In der Agentursprache wird diese Arbeitsphase oft als „den kommunikativen Nährboden bereiten“ formuliert. Nichts ist für das Marketing anstrengender, als bei der Kommunikation neuer Therapien auf eine unvorbereitete, uninformierte oder zweifelnde Zielgruppe zu treffen. Je besser man die Zielgruppe versteht, ihre Perspektive einnimmt und ihre Bedürfnisse kennt, desto konstruktiver kann man die Kommunikation ausrichten und damit weniger Widerstand und mehr Vertrauen und Akzeptanz erreichen.
In der qualitativen psychologischen Pharmamarktforschung zeigt sich oft, dass viele Medical Affairs Themen nicht auf dem Radar der Marketer und Pharmaunternehmen sind, es aber wichtig wäre, sie in die Pharmakommunikation einzubeziehen. Diese AHA-Effekte sind von unschätzbarem Wert und untermauern auch die wesentliche Rolle der qualitativen psychologischen Pharmamarktforschung und ihrer Methoden auch im Kontext Medical Affairs.
Die folgenden konkreten Beispielfragen sollten sich Medical-Affairs-Verantwortliche immer wieder stellen:
- Liegt ein aktuelles, belastbares und differenziertes KOL-Mapping vor?
- Wurden alle Marktforschungsdaten (qualitativ und quantitativ) erhoben und daraus Strategien abgeleitet?
- Wurden alle relevanten Studien- und Nebenwirkungsdaten mit den KOL diskutiert und Kommunikationsstrategien vorbereitet?
- Gibt es Analysen, die für entscheidende Fragestellungen noch fehlen?
- Sind Subgruppenanalysen für Therapieentscheidungen wichtig?
- Was fehlt den Ärzten in der Studienaufbereitung?
- Müssen auf dieser Basis Therapieentscheidungen in Form von Therapie-Algorithmen oder Patientenkasuistiken diskutiert, untermauert oder gar neu erarbeitet werden?
- Benötigen wir einen klinischen Konsens?
- Entspricht das wissenschaftliche Kommunikationskonzept den Erwartungen der Ärzteschaft?
- Welche Advisory Boards sind zu welchen Themen und zu welchem Zeitpunkt zu konzipieren?
- Wer wird als wissenschaftlicher Berater hinzugezogen (Advokaten, Zweifler)?
- Welche Expertengespräche müssen im Vorfeld mit wem geführt werden?
Fazit
All diese Themen sollten vor allem im Hinblick auf KOL-Relations, Issue Management und Value Communication weit im Vorfeld vorbereitet werden, damit PR und Marketing ihre daraus abgeleiteten Konzepte entwickeln können. Denn wer hier seine Hausaufgaben macht, verschafft dem Marketing eine sehr gute Ausgangsposition. Der Markteintritt ist entscheidend, Fehler in der Prelaunch- und Launch-Kommunikation können kaum mehr kompensiert werden. Das schlägt sich schnell in der Entwicklung der Marktanteile nieder.
Medical Affairs als professionelle wissenschaftliche Marktbegleitung, die über den reinen Vertrieb und das Produktmarketing hinausgeht, birgt großes Potenzial. Damit können frühzeitig wesentliche Weichen für einen erfolgreichen Markteintritt gestellt werden.
Franziska Thiele
Vorstand DP-Medsystems AG
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