Arzneimittel-Lieferengpässe: Fehlende Verknüpfung von Daten


Lieferengpässe scheinen nach 2022 und 2023 keine so große Rolle mehr zu spielen. Ist das wirklich so?

Das Problem sind nicht zu wenig Daten, sondern dass sie nicht verknüpft werden und deshalb schwer nutzbar sind. (Foto von Mike Alonzo auf Unsplash)

 

Das Thema der Lieferengpässe war ein Thema im „Buch Zwei“ (Wochenend-Ausgabe, 9./10. März der Süddeutschen Zeitung).

Was die Lieferkette angeht, wird bei einem Münchner Start-up nachgefragt: QYOBO. Dr. Markus Felgenhauer, Co-Founder & CEO QYOBO GmbH, hebt hervor: „Die Herausforderung in der Branche ist nicht, dass es nicht genügend Daten gäbe, sondern dass die Daten nicht verknüpft und deshalb schwer nutzbar sind.“ Wir haben nochmals bei ihm nachgefragt.

PM—Report: Herr Felgenhauer, Sie sagen, dass Sie mit Ihrem Start-up einen neuen Branchenstandard bei Arzneimittelengpässen setzen. Woher kommt das Selbstbewusstsein?

Felgenhauer: Die aktuellen Lieferengpässe in der Pharmabranche sind nicht auf Deutschland beschränkt, sondern ein globales Problem, da der Pharmamarkt global agiert. Eine Herausforderung dabei ist, dass Daten zu Lieferengpässen nur über länderspezifische Datenbanken verfügbar sind und es bisher keine Möglichkeit gab, sich daraus ein umfassendes Bild über weltweite Lieferengpässe zu machen. Unser Unternehmen kombiniert Millionen von Rohdaten aus rund zweihundert Datenbanken. Damit stellen wir unter anderem die Lieferketten von über 1,5 Millionen Medikamenten und die erste globale Lieferengpassdatenbank auf einer einzigen Plattform zur Verfügung. Das ermöglicht Unternehmen, weltweit bestehende oder sich anbahnende Engpässe für Medikamente zu verstehen, betroffene Unternehmen zu identifizieren, verfügbare Lieferanten auszumachen und z. B. Investitionsentscheidungen zu treffen.

 

PM—Report: Lieferengpässe scheinen nach 2022 und 2023 keine so große Rolle mehr zu spielen. Ist das wirklich so?

Felgenhauer: Für bestimmte Arzneimittel wird sich die Situation verbessern, wie z. B. für Ozempic und Wegovy des dänischen Herstellers, bei dem wir eine Ausweitung der Produktionsstätten erkennen können. Wir gehen jedoch davon aus, dass Lieferengpässe auch dieses Jahr wieder eine dominierende Rolle spielen werden.

 

PM—Report: Im letzten Jahr sind ein Lieferengpassbekämpfungsgesetz und ein 5-Punkte-Plan bei Kinderarzneimitteln vom BMG beschlossen worden. Wie bewerten Sie diese Maßnahmen?

Felgenhauer: Unserer Einschätzung nach werden diese Maßnahmen zu keiner signifikanten Veränderung führen, da sie nur eine sehr begrenzte Anzahl von Arzneimitteln betreffen. Das bietet für die Industrie keine ausreichenden Anreize, in neue Produktionskapazitäten zu investieren.

 

PM—Report: Warum gab es nicht schon früher Pläne, um mögliche Lieferengpässe vorauszusehen und zu vermeiden?

Felgenhauer: Lieferengpässe hat es auch früher schon gegeben, sie haben allerdings erst nach der Corona-Pandemie ein Ausmaß erreicht, wodurch sie alltäglich präsent sind.

 

PM—Report: Es mangelt wahrscheinlich nicht an Daten, oder?

Felgenhauer: Die Herausforderung in der Branche ist tatsächlich nicht ein Mangel an Daten. Die Daten sind allerdings in Rohform kaum nutzbar, da sie nicht standardisiert und weltweit in verschiedensten Datenbanken verstreut sind.

 

PM—Report: Warum können diese Daten nicht besser nutzbar gemacht werden?

Felgenhauer: Die Verfügbarkeit und Nutzbarkeit von Daten sind zwei unterschiedliche Aspekte. Die vorhandenen Datensätze sind unstrukturiert und nicht harmonisiert, beispielsweise haben Substanzen in verschiedenen Sprachen unterschiedliche Namen. Auch Firmennamen variieren erheblich, da weltweit agierende Akteure gewöhnlich eigene Landesgesellschaften haben. Eine manuelle Auswertung ist praktisch unmöglich, und auch die technische Lösung ist alles andere als trivial. Um die Daten nutzbar zu machen, müssen sie verknüpft werden; sonst sind sie von geringem Nutzen. Wir haben hierfür verschiedene Algorithmen entwickelt, um die Daten zu erschließen und auf einer Plattform zusammenzuführen.

 

PM—Report: Mangelt es immer noch an Transparenz?

Felgenhauer: Ja, es gibt nach wie vor Bereiche, in denen Transparenz und standardisierte Vorgaben fehlen, etwa wenn der in der Packungsbeilage genannte Hersteller oft nicht der tatsächliche Produzent ist.

 

PM—Report: Wie schwierig ist die Zusammenarbeit mit der Pharmaindustrie, wenn viele Unternehmen ihre Lieferketten nicht öffentlich machen wollen?

Felgenhauer: Die Zusammenarbeit verläuft sehr konstruktiv, da wir Einsichten in globale Lieferketten bieten, die bislang nicht zur Verfügung standen und nun zur Risikoabschätzung oder auch Investitionsentscheidungen beitragen. Ein Beispiel ist die Identifikation von geopolitischen Risiken am Anfang der Lieferkette, bei der Herstellung der chemischen Vorstufe von Wirkstoffen.

 

PM—Report: Wie wird sich die Herausforderung mit den Lieferengpässen weiterentwickeln?

Felgenhauer: Aus unserer Sicht handelt es sich um ein strukturelles Problem, das sich nicht lösen lässt, solange das Marktdesign unverändert ist, welches primär auf Kostenoptimierung und somit der Vollauslastung der Produktion ausgerichtet ist. Veränderungen in der Branche benötigen Zeit, neue Fabriken entstehen nicht über Nacht. Und um das Marktdesign zu ändern, ist politisches Handeln erforderlich, was ebenfalls einen langen Atem erfordert. Positiv ist, dass das Bewusstsein für das Problem und die Bereitschaft, Lösungen zu entwickeln, in der Politik, einschließlich der Europäischen Union, die im Januar 2024 eine „Allianz für kritische Medikamente“ ins Leben gerufen hat, vorhanden ist. Allerdings sind zentrale gesundheitspolitische Entscheidungen, die mit Engpässen zusammenhängen, wie die Preispolitik, Angelegenheit jedes einzelnen der 27 Mitgliedsstaaten. Solange jedes Land eigene Lösungsansätze verfolgt, wird sich das Gesamtproblem schwer lösen lassen. Datentransparenz ist aber sicherlich ein Faktor, der zum besseren Verständnis und zur Lösung des Problems beitragen kann.

 

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Dr. Markus Felgenhauer

Co-Founder & CEO QYOBO GmbH

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