In der EU ist vor Ende der aktuellen Legislaturperiode doch noch einiges im Gesundheitsbereich auf den Weg gebracht und abgeschlossen worden. (Foto von Christian Lue auf Unsplash)
Die Europavertretung der Deutschen Sozialversicherung (DSV) ist verblüfft, im positiven Sinne. Denn „vor einem Jahr hätten viele nicht geglaubt, dass die Gesetzgebungsprozesse zur europäischen Arzneimittelreform oder zum Europäischen Gesundheitsdatenraum (EHDS) noch in dieser Legislaturperiode große Fortschritte machen oder gar abgeschlossen werden könnten.“
Der Europäische Gesundheitsdatenraum
Oder abgekürzt als EHDS soll die Digitalisierung und Datennutzung im Gesundheitswesen verbindlich regeln. Das Ziel ist es, den Zugang zu und die Kontrolle über persönliche elektronische Gesundheitsdaten (primäre Datennutzung) sowohl auf nationaler als auch auf EU-Ebene zu verbessern und die Weiterverwendung der Daten (sekundäre Datennutzung) für Forschung, Innovation und politische Entscheidungsfindung in der gesamten EU zu erleichtern.
Der Verordnungsvorschlag wurde von der Europäischen Kommission vor zwei Jahren, im Mai 2022, vorgelegt. Zwei Jahre später, am 24. April dieses Jahres, haben die Europaabgeordneten die mit den Mitgliedstaaten getroffene politische Einigung gebilligt. Im letzten Schritt wird der Rat die politische Einigung billigen. Die Umsetzung des EHDS wird schrittweise ab 2026 beginnen. Beurteilt wird dieser Prozess als „ein großer Erfolg, ein so komplexes und technisches Dossier innerhalb von zwei Jahren auf europäischer Ebene abzuschließen und die Regelungen in Kraft zu setzen.“
Arzneimittelreform
Im April 2023 hieß es, dass ein zukunfts- und krisenfestes System der Arzneimittelregulierung für Europa errichtet werden soll — und die Überarbeitung der allgemeinen EU-Gesetzgebung für Humanarzneimittel war für Ende letzten Jahres erwartet, dann aber auf Mitte März und erneut auf Ende des Monats verschoben worden. Eigentlich soll das letzte große Gesundheitsvorhaben von der EU-Kommission noch vor dem Ende der laufenden Legislaturperiode in der zweiten Hälfte des Jahres 2024 vorgestellt werden. Wenn es denn noch klappt, denn es gibt bisher keinen neuen offiziellen Termin.
Im EU-Arzneimittelpaket sind die zentralen Bestandteile ein Verordnungs- und ein Richtlinienvorschlag. Beide zielen darauf ab, den Zugang, die Bezahlbarkeit und die Verfügbarkeit von Arzneimitteln in der Europäischen Union zu sichern und zu verbessern. Außerdem soll das Zulassungsverfahren modernisiert und eine verbindliche Umweltverträglichkeitsprüfung etabliert werden.
Doch, dass die rund 400 Artikel nicht innerhalb der Legislaturperiode abgeschlossen werden können: Keiner hat daran geglaubt. Zumindest hat sich das Europäische Parlament am 10. April dieses Jahres auf eine Position geeinigt. Nun kommt es auf den Rat und dessen Positionsfindung an, damit anschließend der interinstitutionelle Trilog beginnen kann. „Das Dossier ist noch lange nicht abgeschlossen, aber ein gutes Stück vorangekommen“, findet die DSV.
HTA-Durchführungsverordnung: Noch offene Fragen
Die gemeinsame Nutzenbewertung von Gesundheitstechnologien (EU-HTA) soll ab 2025 schrittweise starten. Die EU-HTA soll die Nutzenbewertungen von Gesundheitstechnologien für Arzneimittel und Medizinprodukte harmonisieren. Seit dem Inkrafttreten der Verordnung (EU) 2021/2282 am 12. Januar 2022 und bis es tatsächlich im Jahr 2025 zu den ersten europäischen Bewertungen in sogenannten Joint Clinical Assessments kommt, ist noch viel Koordinierungsaufwand notwendig. Der im Februar aktualisierte Fahrplan zur EU-HTA lässt das erkennen.
Bis Ende des Jahres 2024 plant die Europäische Kommission die Veröffentlichung von insgesamt sechs Durchführungsverordnungen. Für die erste Durchführungsverordnung liegt jetzt ein Entwurf vor. Darin beschrieben: Verfahrensregeln für das Zusammenwirken bei der Vorbereitung und Aktualisierung gemeinsamer klinischer Bewertungen sowie Regelungen zum Informationsaustausch und der Beteiligung von Experten.
Aus Sicht der DSV „macht der Entwurf der Durchführungsverordnung deutlich, dass ohne die Vorlage der noch zu erarbeitenden Leitfäden einschließlich der Methodik weiterhin keine ausreichende Klarheit über Inhalt und Umfang der gemeinsamen klinischen Bewertungen von Arzneimitteln besteht. Damit ist die fristgerechte Umsetzung des EU-HTA auf nationaler Ebene gefährdet. In Unkenntnis der genauen methodischen Vorgaben ist davon auszugehen, dass nicht alle in Deutschland regelhaft vorzulegenden Bewertungen im gemeinsamen HTA-Bericht enthalten sein werden. Somit müssten zusätzliche Bewertungen auf nationaler Ebene vorgelegt werden. Diese Doppelarbeit sollte mit der EU-HTA eigentlich vermieden werden.“
DSV fordert Nachbesserungen
Im DSV-Feedback an die EU-Kommission wird u.a. der Umgang mit Indikationsänderungen während des Zulassungsverfahrens kommentiert. Der vorliegende Entwurf der Durchführungsverordnung sieht vor, dass die Untergruppe Joint Clinical Assessment (JCA) entscheiden soll, ob die gemeinsame klinische Bewertung fortgesetzt oder neu begonnen werden soll, wenn sich während des zentralisierten Verfahrens eine Änderung der therapeutischen Indikation gegenüber dem ursprünglichen Zulassungsantrag ergibt.
So betont die Vertretung: „Um zu gewährleisten, dass gemeinsame klinische Bewertungen genau, relevant und von hoher Qualität sind und auf den besten zum jeweiligen Zeitpunkt verfügbaren wissenschaftlichen Nachweisen basieren, ist es wichtig, dass die Bedingungen und Verfahrensschritte für die Aktualisierung dieser Bewertungen festgelegt werden. Aus Sicht des DSV besteht jedoch Unklarheit über die Fristen für die Aktualisierung der gemeinsamen Bewertung. Diese werden im Falle einer notwendigen Überarbeitung des Bewertungsumfangs (Scope) nicht näher spezifiziert.“
Sorgen bereitet der DSV „auch die Verzerrungen, die dadurch entstehen können, dass der Entwickler einer Gesundheitstechnologie (HTD) proaktiv neue Daten vorlegen kann, ohne gleichzeitig potenziell negative Ergebnisse zu übermitteln. Diese Regelung erscheint für einen Entwickler dann attraktiv, wenn die neu gewonnenen Daten das HTA-Ergebnis verbessern könnten. Aus Sicht der DSV sollte diese Regelung daher gestrichen werden.“
Zur EU-HTA
Mithilfe von HTA kann der Mehrwert neuer Gesundheitstechnologien im Vergleich zur aktuellen Standardtherapie bewertet werden. Bisher fanden HTA-Verfahren allein auf nationaler Ebene statt, was dazu führte, dass Entwickler von Gesundheitstechnologien ihre Unterlagen mehrfach und zum Teil unterschiedlich aufbereitet für die Bewertungsverfahren in den einzelnen Mitgliedstaaten vorlegen mussten.
Das EU-HTA Verfahren soll diesen Verwaltungsaufwand für die Entwickler verringern und die Qualität der Bewertungen nach den internationalen Standards der evidenzbasierten Medizin steigern. Die gemeinsame Bewertung wird den nationalen HTA-Organisationen wissenschaftliche Informationen bereitstellen, die sie für ihre Entscheidungen über die Preisgestaltung und Erstattung einer Gesundheitstechnologie nutzen können.
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