EMA und EU gegen Arzneimittellieferengpässe


Die belgische EU-Ratspräsidentschaft möchte vehementer die Medikamentenknappheit in ganz Europa bekämpfen. 

David Earnshaw, Leiter des MSD Brussels Policy Centre, betont: „Wir alle wollen Engpässe beseitigen. Die Realität ist, dass es sehr schwierig ist, wenn man ins Detail geht.“ (Arzneimittel-Foto von Hal Gatewood auf Unsplash) 

 

Nicht nur Deutschland ist von Lieferengpässen bei Medikamenten betroffen. In Belgien z. B. gab es laut der belgischen Föderalen Agentur für Arzneimittel und Medizinprodukte (FAMPH) einen deutlichen Anstieg der Engpässe um 20% innerhalb nur eines Jahres.

So war das eines der deutlichen Warnzeichen und wohl vor diesem Hintergrund unterstützen 23 Mitgliedstaaten Vorschläge zur Verbesserung der Arzneimittelversorgungssicherheit. Dies wiederum führte zu einer umfassenden Reaktion der Europäischen Kommission. Herausgekommen sind verschiedene Maßnahmen, die auch in der Arzneimittelreform verankert sind: wie die frühere Meldung von Engpässen, die Umsetzung von Präventionsplänen und einen verbesserten Informationsaustausch auf EU-Ebene.

Gesucht: Zwischenkompromiss

Unter der Leitung des belgischen Ratsvorsitzes wird aktuell über die Arzneimittelgesetzgebung diskutiert. Der klare Fokus sind aber die Vermeidung und das Auflösen von Engpässen. Das Ziel ist es, erst einmal einen vorläufigen Kompromiss zu erreichen, der den weiteren Weg aufzeigen kann. Dabei soll ein Gleichgewicht zwischen der Umsetzung wirksamer Bestimmungen, die eine wirkliche Präventionskultur fördern, und der Gewährleistung der Verhältnismäßigkeit im Hinblick auf den Verwaltungsaufwand etabliert werden.

Kritisiert wird z. B. das sechsmonatige Warnsystem, weil es nicht nur „unrealistisch, sondern auch unpraktisch ist“, meint David Earnshaw, Leiter des MSD Brussels Policy Centre. Denn, „wenn eine solche Voraussicht möglich wäre, würden Maßnahmen ergriffen, um die Krise insgesamt abzuwenden“, ergänzt er noch.

Er fordert außerdem mehr Transparenz bei den Daten, so hat die COVID-19-Pandemie deutlich gezeigt, wie wichtig Transparenz ist. Im März 2020, als die Pandemie einen Höhepunkt erreichte, wurden Krankenhäuser in ganz Europa von Patienten überrannt, die eine Intubation benötigten. Die Nachfrage nach Esmeron, einem Generikum zur Betäubung des oberen Rachenraums, stieg sprunghaft an: innerhalb eines Monats um 500%.

MSD war mit einem erheblichen Informationsmangel bezüglich seiner Verfügbarkeit in europäischen Ländern konfrontiert. „Wir hatten keine Ahnung, wie viel in Schweden verfügbar war, wie viel in Frankreich verfügbar war oder ob die Kommission vorschlagen sollte, mehr nach Schweden zu exportieren, weil dort ein Mangel herrschte. Keine Regierung in Europa wollte der Kommission oder sonst jemandem sagen, wie viel Medikamente sie hatte, weil sie es für die nächste Welle gehortet haben“, führt Earnshaw aus. Dieser Mangel an Transparenz verhinderte die Möglichkeit eines Solidaritätsmechanismus, bei dem Länder Ressourcen hätten teilen können, um die Engpässe zu beheben.

Start der Critical Medicine Alliance

Ein Meilenstein bei der Bekämpfung gegen Engpässe soll die Critical Medicine Alliance sein, die am 24. April gestartet ist: „Die Critical Medicine Alliance wird zu koordinierten Maßnahmen auf EU-Ebene beitragen, um Arzneimittelengpässen vorzubeugen. Zum ersten Mal bringen wir alle Beteiligten, die Industrie und die Mitgliedstaaten zusammen, um daran zu arbeiten“, bekräftigt Stella Kyriakides, EU-Gesundheitskommissarin.

Die Allianz ist der Vorläufer des mit Spannung erwarteten „Critical Medicines Acts“ und sich vom European Chips Act und dem Critical Raw Materials Act inspirieren lassen. „In einer öffentlich-privaten Partnerschaft ist es von entscheidender Bedeutung, die Herausforderungen zu identifizieren, an Handlungsprioritäten zu arbeiten und Lösungen vorzuschlagen, um die Versorgung mit kritischen Medikamenten in der EU zu stärken und Engpässe besser zu verhindern und zu bekämpfen“, so die Hoffnung des belgischen Gesundheitsministers Vandenbroucke.

EMA: Neue Empfehlungen

Parallel dazu hat die EMA eine Reihe von Empfehlungen veröffentlicht, um Schwachstellen bei der Herstellung und Lieferung von Arzneimitteln zu beheben, die in der EU-Liste kritischer Arzneimittel aufgeführt sind. Diese Empfehlungen sind von der Medicines Shortages Steering Group (MSSG) der EMA entwickelt worden.

Diese Maßnahmen umfassen:

  • Mögliche Empfehlungen an Zulassungsinhaber (Marketing Authorisation Holder: MAHs), die Produktionskapazität zu erhöhen und die Lieferanten in der Lieferkette zu diversifizieren (z. B. durch die Hinzufügung alternativer Produktionsstandorte) sowie Prognosen zu Angebot und Nachfrage von Arzneimitteln und verfügbaren Beständen im gesamten Angebot zu überwachen Kette.
  • Empfehlungen an bestimmte Akteure in der Lieferkette, wie z. B. MAHs und die Europäische Kommission, Arzneimittel zu lagern, um sich vor Schwankungen in der Nachfrage oder im Angebot zu schützen.
  • Die Möglichkeit, einen Inhaber der Genehmigung für das Inverkehrbringen aufzufordern, einen Plan zur Verhinderung von Engpässen bei Arzneimitteln in der Unionsliste kritischer Arzneimittel zu erstellen.

 

Die EMA wird im Juni 2024 Leitlinien und Vorlagen für Pläne zur Verhinderung von Engpässen veröffentlichen.

Die MSSG wird eng mit der Critical Medicines Alliance (CMA) der Europäischen Kommission zusammenarbeiten. Die MSSG wird regulatorische und regierungspolitische Empfehlungen entwickeln, die sich auf kurz- bis mittelfristige Maßnahmen konzentrieren, während sich die CMA auf langfristige Maßnahmen im Bereich der Industriepolitik konzentrieren wird, um Schwachstellen in der Lieferkette kritischer Arzneimittel zu beheben. 

 

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