Lieferengpässe bei Medikamenten 2022-2024: Die unendliche Geschichte


Die Meldungen überschlagen sich seit 2022 zu den Arzneimittel-Lieferengpässen. Die neuesten Entwicklungen im Überblick: Das WiDO sieht die Arzneimittelversorgung gewährleistet. 

Medial und mittlerweile auf allen medizinischen Ebenen heiß diskutiert: die Lieferengpässe bei einigen Medikamenten. (Photo by Christine Sandu on Unsplash)

Aktualisierung 21. Oktober 2024:

Laut des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) „gibt es derzeit keine Hinweise darauf, dass Versorgungsengpässe oder Lieferschwierigkeiten bei Arzneimitteln drohen, wie zuletzt zahlreiche Medien berichteten. Von den insgesamt mehr als 63.000 verschiedenen Arzneimitteln, die im Jahr 2023 auf dem Markt erhältlich waren und zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnet wurden, sind nach aktueller WIdO-Auswertung derzeit lediglich 735 beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) von den pharmazeutischen Herstellern als nicht lieferfähig gemeldet. Damit waren Anfang Oktober 2024 98,8 Prozent aller Medikamente verfügbar. Zudem ist selbst bei Lieferengpässen nicht automatisch die Versorgungssicherheit mit Arzneimitteln beeinträchtigt: Für die aktuell als lieferunfähig gelisteten Arzneimittel sind in der Regel wirkstoffgleiche Alternativen verfügbar..."

Aktualisierung 15. Oktober 2024:

Der SPD-Gesundheitspolitiker Matthias Mieves gibt durchaus zu, dass wegen neuer Lieferengpässe bei Medikamenten weiter Handlungsbedarf besteht. Laut BfArM sind aktuell ca. 500 Arzneimittel betroffen. Die Lieferverträge seien angepasst, die Situation verbessere sich darum nun schrittweise, betont dagegen Mieves.

Das Interview im Deutschlandfunk können Sie sich hier anhören (9:29).

Aktualisierung 30. September 2024:

Zum Ende des Septembers waren nach Daten des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) 498 Medikamente nicht lieferbar.

„Das zeigt, dass wir in einer wirklich dauerhaften Lieferkrise stecken und dass wir hier noch keine Entwarnung haben“, betonte Gabriele Regina Overwiening, Präsidentin der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) der Neuen Osnabrücker Zeitung (NOZ).  Zumindest sollen Medikamente für Kinder derzeit noch ausreichend vorhanden sein. 

Niedersachsens Gesundheitsminister Andreas Philippi (SPD) nahm im Gespräch mit der Zeitung angesichts der Engpässe die EU in die Pflicht, nachhaltig die Medikamentenproduktion auf dem europäischen Festland zu sichern. Er erwarte diesbezüglich mehr Engagement.

Hören Sie sich zu dem Thema unser Gespräch mit Dr. Markus Felgenhauer an:

Podcast-Folge zum Thema | 20. Juni 2024:

Daten und Lieferengpässe — wie hängt das zusammen? Wir fragen nach bei Dr. Markus Felgenhauer, Co-Founder & CEO QYOBO GmbH.

Aktualisierung 13. Mai 2024:

Die repräsentative „Pharmastandort Deutschland“-Umfrage des Meinungsforschungsinstituts INSA-CONSULERE im Auftrag des Bundesverbands der Pharmazeutischen Industrie e.V. (BPI)  zeigt u.a.: 41% der Deutschen haben bereits persönliche Erfahrungen mit Arzneimittel-Lieferengpässen gemacht. Deswegen fordern 81%, dass Deutschland unabhängiger von globalen Lieferketten werden muss. 82% sind der Meinung, dass die Bundesregierung bessere Rahmenbedingungen für die Ansiedlung von pharmazeutischen Unternehmen sowie für die pharmazeutische Forschung und Produktion in Deutschland schaffen muss. Dabei sollte die Bundesregierung hierzulande tätige Pharmaunternehmen und damit auch den Pharmastandort Deutschland insgesamt stärker als bislang schützen, beispielsweise vor Insolvenzen und Abwanderungen (76%).

Dr. Kai Joachimsen, BPI-Hauptgeschäftsführer des BPI, betont: „Lieferengpässe bedeuten nicht nur eine Gefahr für die Gesundheitsversorgung, sondern auch für den Wirtschaftsstandort Deutschland, für Fortschritt, Wohlstand und Arbeitsplätze. Es ist höchste Zeit, dass die Politik handelt und gemeinsam mit der Pharmaindustrie nachhaltige Lösungen entwickelt. Wir brauchen keine Subventionen, aber Rahmenbedingungen, in denen wir auskömmlich forschen, entwickeln und produzieren können.“


Mehr zur Umfrage finden Sie hier.

Aktualisierung 24. April 2024:

Start der Critical Medicine Alliance: Ein Meilenstein bei der Bekämpfung gegen Engpässe soll der Critical Medicine Alliance sein, die am 24. April gestartet ist: „Die Critical Medicine Alliance wird zu koordinierten Maßnahmen auf EU-Ebene beitragen, um Arzneimittelengpässen vorzubeugen. Zum ersten Mal bringen wir alle Beteiligten, die Industrie und die Mitgliedstaaten zusammen, um daran zu arbeiten.“ bekräftigt Stella Kyriakides, EU-Gesundheitkommissarin. 

Aktualisierung 8. Februar 2024: Critical Medicines Alliance

Die Europäische Kommission hat am 16. Januar zu einer Allianz für kritische Arzneimittel aufgerufen. Erbaut werden soll „die neue industrielle Säule der Europäischen Gesundheitsunion“. Das Projekt (ein Netzwerk von Europäischer Kommission, nationalen Regierungen und Gebietskörperschaften, der Industrie und der Zivilgesellschaft) ist zunächst auf fünf Jahre angelegt. 

Bis zum 24. Februar haben Interessierte – besonders angesprochen sind Interessengruppen aus Pharmaindustrie und öffentlichem Gesundheitswesen – die Möglichkeit, über die Webseite der Allianz beizutreten. Spätere Beitritte sind nicht ausgeschlossen.

Ein erstes Treffen der Allianz für kritische Arzneimittel ist für Ende April geplant. Hier soll ein Arbeitsplan verabschiedet werden. Dann geht es in die Arbeitsgruppen. Als inhaltlicher Impuls wird derzeit von der Europäischen Kommission eine Analyse der kritischen Arzneimittel mit den größten Schwachstellen in der Lieferkette erarbeitet.

Mit der Allianz für kritische Arzneimittel wird der Europäischen Gesundheitsunion jetzt auch ein industriell ausgerichteter Baustein hinzugefügt. Denn neben der Vermeidung von Engpässen und mehr Versorgungssicherheit geht es bei der neuen Initiative auch darum, die EU-Arzneimittelbranche zu stärken.

Hintergrund: Die im November 2020 ist mit einem Paket aus drei Legislativvorschlägen zum Ausbau des EU-Rahmens für Gesundheitssicherheit ins Leben gerufen worden und seitdem kontinuierlich erweitert worden.

Aktualisierung 22. Januar 2024: Statement zur Europäischen Arzneimittelreform von der Deutschen Sozialversicherung Europavertretung | DSV

Für die deutsche Sozialversicherung ist „die Sicherstellung des Zugangs, der Verfügbarkeit und der Bezahlbarkeit von Arzneimitteln in der EU von größter Wichtigkeit. Die Versicherten müssen darauf vertrauen können, mit qualitativ hochwertigen Arzneimitteln versorgt zu werden. Dafür muss die Finanzierung der Gesundheitssysteme nachhaltig gewährleistet werden. Ein Baustein dazu sind faire Arzneimittelpreise.“

Im Hinblick auf die aktuellen Beratungen im Europäischen Parlament zur Arzneimittelreform möchten die DSV noch einmal auf die folgenden Punkte aufmerksam machen:

  • Transparenz bei der Finanzierung von Arzneimittelinnovationen: Die DSV begrüßt die Idee, dass Arzneimittelhersteller offenlegen sollen, in welchem Umfang die öffentliche Hand sie unterstützt und wie viel Geld sie für Forschung und Entwicklung ausgeben. Dies ist hilfreich, um in den nationalen Gesundheitssystemen faire Erstattungspreise aushandeln zu können.
  • Öffentliche Einsehbarkeit von Schutzfristen: Die DSV teilt die Ansicht vieler Abgeordneter, dass die Schutzfristen von regulatorischem Schutz und Patentschutz öffentlich einsehbar sein sollten, um den Wettbewerb von Generika und Biosimilars zu fördern.
  • Ausbau des Europäischen Verifizierungssystems für Arzneimittel (EMVS): Die DSV unterstützt die Vorschläge, das EMVS für ein umfassendes Arzneimittelmonitoring zu nutzen, um Liefer- und Versorgungsengpässe frühzeitig zu erkennen.
  • Exklusivitätszeiten: Die DSV warnt vor längeren Exklusivitätszeiten für neue Arzneimittel, da dies massive Auswirkungen auf Arzneimittelpreise haben könnte und eine bezahlbare Versorgung gefährden würde.
  • Beschleunigte Marktzulassung: Die DSV warnt davor, immer mehr Arzneimittel über beschleunigte Verfahren zuzulassen, da der Vorteil eines früheren Marktzugangs zum Nachteil wird, wenn Risiken von nicht hinreichend geprüften Arzneimitteln auf die Patientinnen und Patienten verlagert werden.

 

Akutalisierung 12. Dezember 2023: Union list of critical medicines – Version 1

Die Europäische Kommission, die Leiter der Arzneimittelbehörden (HMA) und die EMA haben die erste Version der „Union list” (Unionsliste) kritischer Arzneimittel veröffentlicht. Diese enthält über 200 Wirkstoffe von Arzneimitteln, die für die Gesundheitssysteme in der gesamten EU wichtig sind und bei denen „die Kontinuität der Versorgung oberste Priorität hat und Engpässe vermieden werden sollten.”

 Diese Liste ist „ein wichtiges Instrument zur Unterstützung der Bemühungen der EU, die Versorgungssicherheit zu gewährleisten und Engpässen bei kritischen Arzneimitteln vorzubeugen. Die Aufnahme in die Liste bedeutet nicht, dass es in naher Zukunft voraussichtlich zu Engpässen bei dem Arzneimittel kommen wird. Es bedeutet, dass die Vermeidung von Engpässen besonders wichtig ist, da ein Mangel den Patienten erheblichen Schaden zufügen und die Gesundheitssysteme vor große Herausforderungen stellen könnte", wird betont.

Die 1. Version beinhaltet Wirkstoffe , die ein breites Spektrum an Therapiegebieten abdecken, und umfasst auch Impfstoffe und Medikamente für seltene Krankheiten. Das ergab die Überprüfung von 600 Wirkstoffen aus sechs nationalen Listen kritischer Arzneimittel. Die Unionsliste wird im Jahr 2024 erweitert und dann jährlich aktualisiert. Die Überprüfung wurde mit allen EU-Mitgliedstaaten durchgeführt.

 

Aktualisierung 6. November 2023:

Das BfArM hat ihre Dringlichkeitsliste für Kinderarzneimittel aktualisiert. Die Versorgung mit Antibiotika sei aber nach aktuellen Daten stabil (Nummer 8/23 vom 06.11.2023).

Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) hat eine aktualisierte Dringlichkeitsliste für Kinderarzneimittel veröffentlicht. Die Liste enthält wichtige Arzneimittel, für die im Herbst/Winter 2023/2024 wegen steigender Infektionszahlen eine erhöhte Nachfrage eintreten könnte. Ziel ist es, die Arzneimittelversorgung von Kindern sicherzustellen.

Aktuell bewertet das BfArM insbesondere die Versorgung mit Antibiotika aufgrund der Produktionsdaten als grundsätzlich stabil. Die Entwicklung der anstehenden Infektionssaison kann allerdings nicht abgeschätzt werden, sodass einzelne Engpässe nicht vollständig ausgeschlossen werden können.

Auf Basis dieser Liste können Apotheken die dort gelisteten Arzneimittel gegen ein wirkstoffgleiches Fertig- oder Rezepturarzneimittel, auch in einer anderen Darreichungsform, austauschen, wenn das abzugebende Arzneimittel nicht verfügbar ist. Eine Rücksprache mit dem verordnenden Arzt ist für diesen eng begrenzten Austausch von Arzneimitteln nicht erforderlich.

Link zur Dringlichkeitsliste.

Aktualisierung am 27. Oktober 2023:

Ja, die EU-Kommission möchte gegen die Arzneimittel-Lieferengpässe einschreiten. (Mehr dazu in Markt |EMA: Weitere Schritte gegen den Arzneimittelmangel) 

Die Apotheker sehen aber bereits jetzt schon wieder eine Zuspitzung. Dazu ein Dlf-Beitrag zum Nachhören.

Aktualisierung am 25. Oktober 2023:

Die EMA hat einen sogenannten „Solidaritätsmechanismus“ entwickelt.

Dieser neu geschaffene Solidaritätsmechanismus ist von der EMA Medicines Shortages Steering Group (MSSG) entwickelt worden. Dieser freiwillige Mechanismus soll es Mitgliedstaaten ermöglichen, sich angesichts eines kritischen Arzneimittelmangels gegenseitig zu unterstützen. Kommt es in einem Mitgliedsland zu einem kritischen Medikamentenengpass, kann es die MSSG kontaktieren, um andere Mitgliedstaaten um Unterstützung bei der Beschaffung von Arzneimittelvorräten zu bitten. 

Aktualisierung am 14. September 2023:

Noch ist Spätsommer, aber im Herbst und Winter soll es auf keinen Fall wieder zu Lieferengpässen bei Arzneimitteln kommen. Dafür hat sich das BMG mit Pharmaindustrie, Ärzte- und Apothekerschaft getroffen. Ein 5-Punkte-Plan soll Abhilfe schaffen. Tut er das? 

Dr. Kai Joachimsen, BPI-Hauptgeschäftsführer, findet nicht: „Die neuen Vorschläge von Prof. Lauterbach lassen zwar ein Problembewusstsein erkennen, sind jedoch nicht auf nachhaltige Lösungen ausgelegt.“ 

Andreas Burkhardt, Vorstandsvorsitzender von Pro Generika, sieht das ähnlich: „Als akute Symptombehandlung sind einzelne Schritte hilfreich. Am Grundproblem ändern sie nichts. Wenn die Politik nicht endlich die Strukturen ändert, sitzen wir nächstes Jahr wieder hier und überlegen, wie wir möglichst glimpflich durch den Winter kommen.“ 


Dr. Hubertus Cranz, BAH-Hauptgeschäftsführer, fordert, dass „Lieferketten diversifiziert und Abhängigkeiten verringert werden müssen. Dringend notwendig ist zudem ein angemessener Inflationsausgleich für preisregulierte Arzneimittel.“

 

Aktualisierung am 28. August: Umfrage zu Arzneimittelengpässen in Berliner Praxen

Ein Beitrag in der DAZ: Nun schlägt die KV Berlin Alarm: Bei einer Umfrage in Berliner Praxen gaben 82 Prozent an, dass ihre Patienten schon jetzt nicht alle benötigten Arzneimittel erhielten.

Aktualisierung am 25. August: Verbände befürchten weitere Engpässe

Seit 25. August 2023 gelten verschärfte gesetzliche Vorschriften für die Herstellung steriler Arzneimittel. Pharmazeutische Hersteller in Deutschland werden deshalb absehbar etliche Produkte nicht mehr produzieren können. Es drohen gravierende Lieferengpässe. So die Befürchtung des Bundesverbands der Pharmazeutischen Industrie (BPI). 

Beispiel Filtersysteme: Wo Filter für die sterile Produktion früher regelmäßig auf ihre Leistungsfähigkeit geprüft und validiert wurden, sind sie fortan nach jeder Produktion einer Charge automatisch auszuwechseln.

Um gravierende Engpässe bei der Versorgung der Bevölkerung mit überwiegend lebensnotwendigen Präparaten, angefangen von Elektrolyt-Lösungen über Radiotherapeutika/-diagnostika bis hin zu Albuminen, sicherzustellen, benötigen die Hersteller nun inhaltlich-fachliche und finanzielle Unterstützung.

„Es braucht jetzt praxisnahe Lösungen mit Augenmaß beim Anwenden des sogenannten Annex 1 der Good Manufacturing Practice (GMP). Basis hierfür müssen die Risikoanalysen der Hersteller sein. Das Preismoratorium ist für bestimmte, (über)lebenswichtige Arzneimittel auszusetzen, damit die Umstellung der Produktion nicht ausschließlich von den Herstellern zu tragen ist“, möchte BPI-Vorsitzender Dr. Hans-Georg Feldmeier am liebsten in Zukunft vorgehen.

Pro Generika dagegen kritisierte die Dringlichkeitsliste für Kinderarzneimittel. Diese hat das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) in Abstimmung mit dem Gesundheitsministerium erstellt, die in der kommenden Infektionssaison knapp werden können. Diese Medikamente können im Falle eines Versorgungsmangels aus dem Ausland importiert und mit fremdsprachigen Verpackungen und Beipackzetteln bei uns in Verkehr gebracht werden.

Bork Bretthauer, Geschäftsführer von Pro Generika, sieht das als „ ... Eingeständnis: Das Engpass-Gesetz ALBVVG reicht nicht. Das BMG schaltet in den Notstandsmodus und erkennt damit an, dass alle bisher ergriffenen Maßnahmen wirkungslos sind.“

Im Frühsommer hatte Gesundheitsminister Karl Lauterbach in einer Pressekonferenz angekündigt, mit dem ALBVVG „auf den Schlag“ die Knappheit von Kinderarzneimitteln beseitigen zu können. Für Bretthauer braucht es eine sofortige Nachbesserung des ALBVVG. „Eine Preiserhöhung und der Wegfall von Rabattverträgen bei Kinderarzneimitteln war ein wichtiger erster Schritt. Allerdings ermöglicht das eine gerade mal kostendeckende Produktion. Es setzt keinerlei Anreize, damit wieder mehr Unternehmen auch Kinderarzneimittel produzieren. Und nur das kann unsere Versorgung sicherer machen.“

Aktualisierung am 23. Juni: Bundestag beschließt Arzneimittelreform

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach findet, dass „die Bundesregierung ... die Weichen gestellt hat, um Engpässe bei Arzneimitteln zu vermeiden. Übertriebene Ökonomisierung hat die Arzneimittelversorgung mit patentfreien Medikamenten über die letzten Jahre deutlich verschlechtert. Wir korrigieren das und ändern die Rahmenbedingungen so, dass Deutschland als Absatzmarkt für Arzneimittel wieder attraktiver wird. Dafür werden die europäischen Produktionsstandorte gestärkt, die sechsmonatige Lagerhaltung wichtiger Arzneimittel ausgebaut und andere Reaktionsmechanismen auf Lieferengpässe verbessert. Das wird mittelfristig Wirkung zeigen.” So zumindest die Hoffnung von Lauterbach.

Die einzelnen Maßnahmen sind u.a.:

  • Preisinstrumente für versorgungskritische Arzneimittel können im Fall einer Marktverengung gelockert werden. Gibt es bei wichtigen Arzneimitteln zu wenig Anbieter, können Festbetrag oder Preismoratorium einmalig um 50 Prozent angehoben werden.
  • Erhöhte verbindliche Bevorratungspflichten von Arzneimitteln.  Pharmazeutischen Unternehmen wird für rabattierte Arzneimittel künftig eine sechsmonatige Lagerhaltung vorgeschrieben. Dies beugt kurzfristigen Lieferengpässen vor, gleicht gesteigerte akute Mehrbedarfe aus und stellt eine bedarfsgerechte Versorgung sicher. Auch Krankenhausapotheken und krankenhausversorgende Apotheken müssen ihre Vorräte bei parenteral anzuwendenden Arzneimitteln und Antibiotika zur intensivmedizinischen Versorgung aufstocken. Wenn bei Krebsarzneimitteln ein Engpass absehbar wird, gilt das auch für Apotheken, die daraus anwendungsfertige Zubereitungen herstellen. Darüber hinaus wird der Großhandel verpflichtet, die Bevorratung mit Kinderarzneimitteln auf vier Wochen zu erhöhen.
  • Für Kinderarzneimittel werden die Preisregeln gelockert: Festbeträge und Rabattverträge werden abgeschafft. Die pharmazeutischen Unternehmer können ihre Abgabepreise einmalig um bis zu 50 Prozent des zuletzt geltenden Festbetrages bzw. Preismoratoriums-Preises anheben. Zukünftig dürfen keine Festbetragsgruppen mehr mit Kinderarzneimitteln gebildet werden.
  • Antibiotika mit Wirkstoffproduktion in der EU und im Europäischen Wirtschaftsraum müssen bei Ausschreibungen von Kassenverträgen zusätzlich berücksichtigt werden. Die Anbietervielfalt wird erhöht.

 

Zum Thema:

Bundestag beschließt Arzneimittelreform – was Verbände davon halten

 

Aktualisierung am 12. Juni 2023: Vor dem bundesweiten Apotheken-Protesttag

Bereits seit Wochen angekündigt und medial umrahmt, hat die ABDA den 14. Juni zum bundesweiten Protesttag erklärt. An diesem Tag soll die Versorgung nur noch über die Notdienstapotheken aufrechterhalten werden. 

Mit dem Deutschlandfunk hat ABDA-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening darüber gesprochen.

Die Apothekerschaft protestiert aus u.a. den folgenden Gründen:

  • Handlungsfreiheit für Apotheken für die schnelle Patientenversorgung: Die größeren Entscheidungsfreiheiten ermöglichen eine schnelle Versorgung der Patientinnen und Patienten und vermeidet in deren Interesse gefährliche Therapieverzögerungen, insbesondere auch bei Lieferengpässen. Die verordnenden Ärzte werden von bürokratischem und zeitlichem Aufwand entlastet.
  • Schaffung einer Rechtsgrundlage für die Arzt-Apotheker-Kooperation beim Medikationsmanagement: Es muss eine Rechtsgrundlage dafür geschaffen werden, dass Vertragsärzt*innen und Apotheken als Leistungserbringer in der Regelversorgung (nicht nur wie bisher in Modellvorhaben wie ARMIN) bundesweit und für Versicherte aller Krankenkassen ein gemeinsames Medikationsmanagement anbieten können.
  • Wegen der vielen Lieferengpässe brauchen die Apothekenteams bei ihrer Arbeit möglichst viel Flexibilität, um die Patientinnen und Patienten schnell versorgen zu können. Das Versorgungssystem ist aber voller Bürokratie und drohender Strafzahlungen an die Krankenkassen.

 

Aktualisierung am 9. Juni 2023: Stellungnahme der hauptamtlichen unparteiischen Mitglieder des G-BA

Mit dem Gesetz zur Bekämpfung von Lieferengpässen bei patentfreien Arzneimitteln und zur Verbesserung der Versorgung mit Kinderarzneimitteln (Arzneimittel-Lieferengpass-bekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz – ALBVVG) soll unter anderem ein Frühwarnsystem zur Erkennung drohender versorgungsrelevanter Lieferengpässe bei Arzneimitteln eingerichtet werden und strukturelle Maßnahmen im Bereich der Festbeträge, Rabattverträge und der Versorgung mit Kinderarzneimitteln erfolgen.

Für anerkannte Reserveantibiotika mit neuen Wirkstoffen soll der vom pharmazeutischen Unternehmer festgelegte Abgabepreis auch über den Zeitraum von sechs Monaten hinaus beibehalten werden können. Zudem soll eine gesetzliche Klarstellung erfolgen, dass alle Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen – wie bisher – der Nutzenbewertung unterliegen. Des Weiteren sind in Bezug auf die Umsetzung des Kombinationsabschlags für Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen gesetzliche Anpassungen vorgesehen.

Die hauptamtlichen unparteiischen Mitglieder des Gemeinsamer Bundesausschuss (G-BA) nehmen entsprechend der Betroffenheit des G-BA zu dem zugrundeliegenden Gesetzentwurf im nachfolgenden Umfang Stellung. Zu weiteren Aspekten wird aufgrund einer allenfalls mittelbaren Betroffenheit des G-BA auf eine Stellungnahme verzichtet.

Aktualisierung am 11. Mai 2023: Wachsende Ungeduld der EU-Minister:innen

Laut Euractiv betonen die zuständigen Gesundheitsminister:innen der jeweiligen EU-Mitgliedsländer, dass es keine Zeit zum Vertrödeln bei den Arzneimittel-Lieferengpässen gibt – trotz des jüngsten Vorschlags der Europäischen Kommission zur Arzneimittelgesetzgebung. „Dies ist ein internationales, globales Problem“, betonte Frank Vandenbroucke, belgischer Vizepremierminister und Minister für soziale Angelegenheiten und öffentliche Gesundheit, am Freitag (5. Mai) bei einem informellen Treffen der Gesundheitsminister in Stockholm. 

„Gleichzeitig sehen wir in Europa große Unterschiede: In einem Land gibt es möglicherweise Engpässe, in einem anderen Land jedoch eine Angebotsmarge“, fügte er hinzu. 

 

Aktualisierung am 8. Mai 2023: Maßnahmen gegen Lieferengpässe: „Paracetamol aus Frankreich ist eine Mogelpackung“

„Nicht lieferbar!“, wenn Mitarbeiter:innen in der Apotheke das lesen oder hören, steigen in den meisten wahrscheinlich negative Emotionen auf – zu allgegenwärtig ist das Problem geworden. Doch was hat den Arzneimittelmarkt eigentlich zu dem gemacht, was er heute ist? Lassen sich die Risiken und Folgen globaler Märkte wieder zurückdrehen? Dieser Fragestellung widmete sich Dr. Uwe Weidenauer am Freitag (5.5..23) auf der INTERPHARM in Göttingen.

 

Aktualisierung am 4. Mai 2023: Mangel bei Kinderarzneimitteln

„Kinder- und Jugendmedizin wird kaputtgespart“, so sieht der Arzt und Sprecher des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte, Jakob Maske, die Lage. Er beklagt vor allem den Mangel an wichtigen Antibiotika. Die Lage sei „unerträglich“, auch für die Eltern. Man brauche Notfallgesetze, um die Versorgung zu sichern, betont er in einem Interview mit dem Deutschlandfunk.

Aktualisierung am 2. Mai 2023: EU-Reserve für Arzneimittel

In der letzten Woche hat die EU-Kommission ihren heiß erwarteten Entwurf für ein neues Arzneimittelgesetz vorgestellt. 

Am 1. Mai sagte der Vorstandsvorsitzende des Weltärztebundes, Frank Ulrich Montgomery, dass mit Arzneimittel-Lieferenpässen bereits seit zehn Jahren zu rechnen gewesen sei. Der Deutschlandfunk zitiert ein Kommentar gegenüber der Funke-Mediengruppe. So sieht Montogomery „falsch gesetzte wirtschaftliche Anreize für die Pharmaindustrie.” Das liegt an den Margen bei Massenprodukten, die außerhalb des Patentschutzes als gering eingeschätzt würden. Das wiederum hat zur Folge, dass Pharmaunternehmen „kein Interesse mehr an diesen Medikamenten” hätten und die Produktion in China oder Indien landet. Geht dort eine Fabrik durch Brand unter, „komme es etwa zu einem Mangel an einer Grundsubstanz, so dass plötzlich ein Arzneimittel auf der ganzen Welt fehle.”


Er fordert eine verpflichtende EU-Reserve, passende wirtschaftliche Rahmenbedingungen für Produktionsstandorte in der EU und gesetzlich gesicherte Lieferketten mit mehreren Quellen für Medikamente.

 

Aktualisierung am 26. April 2023: Veröffentlichter Entwurf einer Arzneimittelgesetzgebung der EU-Gesetzgebung

Zum Nachhören im Dlf Nova Podcast: Weniger Engpässe und niedrigere Preise

Onwards with the #HealthUnion #EUPharmaStrategy – so heißt der Claim in dem halbminütigen Erklärvideo zum am 26.4.23 veröffentlichten Entwurf der EU-Kommission für eine neue Arzneimittelgesetzgebung

Die fünf Punkte sind: 1. Verbesserung des Zugangs für Patient:innen zu Behandlungen unabhängig von ihrem Wohnort | 2. Eine weltweit wettbewerbsfähige Pharmaindustrie in der EU | 3. Innovative Medikamente und Behandlungen bei unerfüllten medizinischen Bedürfnissen | 4. Stärkere Lieferketten, um Arzneimittel-Lieferengpässe zu reduzieren. | 5. Umweltfreundlichere Medikamente.

Die kritischen Kommentare folgen auf dem Fuß. Dr. Roland Wiring, Rechtsanwalt und Partner im Bereich Healthcare bei der Wirtschaftskanzlei CMS Deutschland, kommentiert: „Das EU-Pharma-Paket hat das Potential, ein Gamechanger für die europäische Arzneimittelindustrie zu werden – im Positiven, aber auch im Negativen. Einige im Entwurf enthaltene Anreize mögen gesundheitspolitisch sehr erstrebenswert sein. Es fragt sich aber, ob die Anreize und Mechanismen treffend gesetzt sind. Das gilt nicht zuletzt mit Blick auf den internationalen Wettbewerb und andere starke Standorte wie die USA oder China. Hier wird es in den kommenden Monaten darauf ankommen, die Interessen sorgfältig abzuwägen und ungewollte Effekte möglichst zu verhindern – damit sich die EU mit dem Pharma-Paket nicht am Ende noch einen Bärendienst erweist.“

In ein ähnliches Horn blasen der BAH und BPI. BAH-Hauptgeschäftsführer Dr. Hubertus Cranz kritisiert, dass „besonders problematisch die Möglichkeit ist, bei einer nicht als ausreichend angesehenen Umweltverträglichkeitsprüfung die Zulassung eines Arzneimittels zu widerrufen oder abzulehnen. Innovative Arzneimittel können dadurch nicht zur Verfügung stehen; etablierte Medikamente vom Markt verschwinden oder nur schwer zugänglich sein.“

BPI-Vorstandsvorsitzender Dr. Hans-Georg Feldmeier findet, dass „es dabei nicht ausreicht, wenn der politische Wille zwar vorhanden ist, doch Anreizsysteme im Markt fehlen. Um die noch hierzulande ansässigen Produktionsstätten zu halten und gleichzeitig Unternehmen auch in Zukunft stärker in der EU anzusiedeln, bedarf es langfristiger Anreize. Schnellere Genehmigungsverfahren oder gezielte staatliche Fördermaßnahmen und -mittel sind bei der Standortfrage im globalen Wettbewerb entscheidend. Überbordende Bevorratungs-, Melde- oder Transparenzpflichten schrecken die Unternehmen hingegen ab.“ 

„Für die Industrie von zentraler Bedeutung sind die angestrebten Änderungen beim Schutz des Geistigen Eigentums und der Zulassungsunterlagen. Hier strebt die EU-Kommission eine Verkürzung der Schutzzeiten an. Das soll einen besseren Zugang zu Arzneimitteln in der EU ermöglichen – es könnte aber auch den gegenteiligen Effekt haben und Innovationen hemmen. Insbesondere kleinere Unternehmen könnten durch geplante Bonussysteme, etwa für eine flächendeckende Markteinführung in der EU, benachteiligt werden – wenn sie die dafür nötigen Voraussetzungen nicht erfüllen können.“

Wiring hebt hervor, dass die Anforderungen an Unternehmen beim Thema Arzneimittelproduktion und Krisenvorsorge steigen werden, wenn es beim aktuellen Entwurf bleiben sollte: „Die Herausforderungen Arzneimittelengpässe und Krisenvorsorge werden ebenfalls adressiert. Pharmaunternehmen sollen strengere Vorgaben bei der Produktionsplanung erfüllen und ihre Produktion im Notfall besser anpassen können. Auf drohende Engpässe muss früher hingewiesen werden als bisher.“

Für ihn ist der „heute vorgestellten Entwurf des EU-Pharma-Pakets ein Meilenstein: Er soll den 20 Jahre alten Rechtsrahmen für die Pharmaindustrie grundlegend ändern. Das betrifft jedes Unternehmen in diesem Sektor.“

EFPIA (European Federation of Pharmaceutical Industries and Associations) Generaldirektorin Nathalie Moll weist darauf hin, dass „in den letzten zwei Jahrzehnten die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Biowissenschaften abgenommen hat, während andere Teile der Welt aufgestockt haben: Die Investitionen in die pharmazeutische Forschung und Entwicklung sind im weltweiten Vergleich um 25 Prozent zurückgegangen. Die Gesamtwirkung der heute vorgelegten Vorschläge schwächt die Rechte am geistigen Eigentum und kann nur zu einem weiteren Rückgang der Forschungsinvestitionen führen, die sich zunehmend in die USA und nach China verlagern. Das Gleiche gilt übrigens für klinische Studien und Produktion.“

„Die Gesetzgebung wäre eine einmalige Chance, den europäischen Rechtsrahmen zukunftssicher zu machen, die Patienten zu schützen und eine Branche zu unterstützen, die für die europäische Handelsbilanz mehr wert ist als jede andere. Stattdessen sehen wir ein kompliziertes System, das Hindernisse für die Entwicklung von Arzneimitteln schafft, die es nirgendwo sonst auf der Welt gibt und die sich als Stolperstein für den medizinischen Fortschritt erweisen werden,“ bemängelt Moll.

Für vfa-Präsident Han Steutel wird alles zu verkompliziert: „In Kontinentaleuropa etabliert sich ein Regulierungsmuster, das sich vor allem durch eines auszeichnet: Durch Kompliziertheit! Das haben wir im letzten Jahr bei der deutschen Gesetzgebung im Gesundheitswesen (GKV-FinStG) gesehen und jetzt sehen wir es bei dem Pharma-Maßnahmenpaket der EU wieder. Europa koppelt sich damit zunehmend von internationalen Entwicklungen ab und leistet sich obendrein noch den Luxus, keine Signale für einen innovationsfreundlichen Standort zu setzen. Das ist für eine Branche, die global aufgestellt ist, leider überhaupt nicht gut.“ 

Aktualisierung am 17. April 2023: Onkologika fehlen im ALBVVG-Entwurf

Der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie e.V. (DGHO) fehlt im Entwurf für das ALBVVG die Regelungen für die Onkologie. In der Pressekonferenz fiel die Formulierung „[...] überlegen uns, das auf Onkolo­gika auszudehnen [...]“. 

Die Gesellschaft kritisiert: „Das hilft den Betroffenen nicht, hier wird Zeit verloren. Die vorgeschlagenen Maßnahmen waren fachlich intensiv diskutiert worden. Sie betreffen weniger als 1 Prozent der Arzneimittelverordnungen, können aber Leben retten. Die Definition unverzichtbarer Arzneimittel ist insbesondere durch das in der Onkologie besonders hochwertige System von Leitlinien gut begründet und evidenzbasiert, damit auch ein gutes Modell für viele andere Erkrankungen.“

Die DGHO findet das Vorgehen des Bundesgesundheitsministers daher unverständlich. 

Auch bei Krebsmedikamenten ist es zu Liefer- und Versorgungsengpässen gekommen, so bei Tamoxifen für die Behandlung von Brustkrebs, bei nabPaclitaxel beim Bauch­speicheldrüsenkrebs und bei Calciumfolinat für die unterstützende Krebstherapie. Betroffen waren vor allem Arzneimittel, die schon seit vielen Jahren eingesetzt werden und heute als Generika auf dem Markt verfügbar sind. Sie machen die Hälfte der aktuell in Deutschland zugelassenen Krebsmedikamente aus. 

„Für die Verordner ist jeder Engpass zeitaufwändig, erfordert besondere Anstrengungen zur Beschaffung der Arzneimittel und bedeutet eine Belastung für das Patienten-Arzt-Verhältnis,“ verweist die DGHO auf die prekäre Situation.

Thema „Arzneimittelengpässe bei Krebspatienten“

Das Thema „Medikamenten-Lieferengpässe“ wird quer durch alle Medien diskutiert. Je nach Medium gibt es mal weniger, mal mehr reißerische Headlines - das wird vor allem bei Krebsmedikamenten deutlich.

 

Aktualisierung am 13. April 2023: Schlechte Verfügbarkeit auch von rezeptfreien Medikamenten

Auch rezeptfreie Medikamente sind aktuell schlechter verfügbar als noch vor einem Jahr. Das hat idealo ermittelt. Das Preisvergleichs-Portal hat ca. 20 Warengruppen aus dem Medikamentenbereich näher betrachtet, u.a. Schmerzmittel, Magen-Darm- oder Herz-Kreislauf-Medikamente. Analysiert wurden die Entwicklung verfügbarer Angebote und der Nachfrage sowie die Veränderung der Durchschnittspreise je Kategorie.

Die Ergebnisse

In jeder der untersuchten Kategorien ist es zu einem deutlichen Rückgang der Angebote gekommen: So gab es im März 2023 im Schnitt etwa 35% weniger Schmerzmittel, 33% weniger Diabetes-Medikamente und 29% weniger Nerven-, Schlaf- und Beruhigungsmittel als im gleichen Monat des Vorjahres. Am deutlichsten zeigt sich die Problematik bei den Erkältungsmitteln: Hier ist das Angebot im Schnitt um 42% zurückgegangen.

Im Vergleich zum Vorjahresmonat sind die Preise im März 2023 über beinahe alle Kategorien hinweg gestiegen. Bei den Schmerzmitteln, sind die Preise um 49% nach oben geklettert: von 4,29 Euro auf 6,39 Euro.

Im Schnitt teurer geworden sind unter anderem auch Nieren- und Blasenmedikamente (+ 18%), Nerven-, Schlaf- und Beruhigungsmittel (+ 15%), Herz-Kreislauf-Medikamente (+ 11%) oder Erkältungsmittel (+ 11%).

Nicht nur in den Apotheken vor Ort, sondern auch online machen sich die Arzneimittelengpässe bemerkbar. Aktuell gibt es weniger verfügbare Angebote als vergangenes Jahr. So schlecht wie zu Beginn der Corona-Pandemie - als es zu einem regelrechten Ansturm auf bestimmte Medikamente kam - ist es um die Verfügbarkeiten aber lange nicht bestellt“, fasst das Florian Kriegel, Preisexperte bei idealo, zusammen. 

Eine Grafik zu den Ergebnissen finden Sie hier.

Aktualisierung am 5. April 2023: Entwurf zum ALBVVG

Das Kabinett hat heute am 5. April den Entwurf eines „Gesetzes zur Bekämpfung von Lieferengpässen bei patentfreien Arzneimitteln und zur Verbesserung der Versorgung mit Kinderarzneimitteln“ (ALBVVG) beschlossen.

Zum Nachhören auf dem Deutschlandfunk.

Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach möchte dadurch die „Lieferengpässe wie im jüngsten Winter ... vermeiden. Auch in der Arzneimittelversorgung haben wir es mit der Ökonomisierung übertrieben. Das korrigiert die Bundesregierung mit Augenmaß. Wir machen Deutschland wieder attraktiver als Absatzmarkt für generische Arzneimittel. Wir stärken europäische Produktionsstandorte. Und wir verbessern die Reaktionsmechanismen.“

Pro Generika's Geschäftsführer Bork Bretthauer sieht die Bekämpfung von Lieferengpässen zu kurz gefasst, denn „es nimmt zunächst nur Kinderarzneimittel und Antibiotika ins Visier. Bei allen anderen Medikamenten bleiben die Problemursachen bestehen und die Versorgungslage, wie sie ist: wenig stabil und teilweise sogar prekär.“

Mit Blick auf den Kabinettsentwurf kritisiert Bretthauer: „Waren im Referentenentwurf ohnehin nur punktuell richtige Ansätze zu erkennen, wurden diese jetzt noch weiter zurückgestutzt. Ausgerechnet die Maßnahmen zur Stabilisierung der Versorgung mit Krebsmitteln fallen weg. Und das obwohl wir erst jüngst erleben mussten, dass Brustkrebspatient:innen um Tamoxifen bangten.“

Dr. Hubertus Cranz, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Arzneimittel-Hersteller (BAH), sieht auch keine Verbesserung, weil „... leider werden die aktuell angedachten Maßnahmen die Versorgung mit Arzneimitteln nicht verbessern. Die vorgeschlagenen Regelungen lassen die grundlegenden Probleme unberücksichtigt. Vielmehr handelt es sich um halbherzige, komplizierte Maßnahmen allenfalls zu Teilaspekten. Die Maßnahmen werden daher nicht zu der notwendigen Diversifizierung in den Lieferketten aller Arzneimittel und somit nicht zu einer umfassenden Verringerung von Abhängigkeiten führen. Hinzu kommen zusätzliche Belastungen für die Arzneimittel-Hersteller durch erhöhte Anforderungen bei der Bevorratung. Besonders enttäuschend ist, dass der dringend notwendige Inflationsausgleich für preisregulierte Arzneimittel nur unzureichend vorkommt.“

Von Seiten der Krankenkassen sieht die Einschätzung ganz anders aus. Dr. Carola Reimann, Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes, findet zwar, dass  „die gesetzgeberische Initiative zur Bekämpfung von Lieferengpässen in der Arzneimittelversorgung notwendig und überfällig ist. Denn die bisherigen gesetzlichen Bemühungen haben sich als nicht effektiv genug erwiesen. Deshalb begrüßen wir, dass unsere Forderung aufgegriffen wurde und die Rolle des Lieferengpass-Beirats beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) gestärkt werden soll. Positiv ist auch, dass nun Lagerbestände von Herstellungsbetrieben miterfasst werden sollen. So können Versorgungsmängel frühzeitig identifiziert werden.“

Doch geht es um die Kosten, betont Reimann: „...Die jetzt geplante Freistellung ganzer Arzneimittelgruppen von Rabattverträgen sowie Festbeträgen oder auch die Anhebung von Preisobergrenzen um bis zu 50 Prozent sind nicht dazu geeignet, die Versorgung mit Arzneimitteln sicherer zu machen.

Rabattverträge hingegen haben sich in der Vergangenheit bewährt. Sie stellen die Versorgung mit Arzneimitteln sicher und bieten zugleich den pharmazeutischen Herstellern mehr Planbarkeit. Aus langjähriger Erfahrung wissen wir: Rabattverträge schützen die Beitragszahlerinnen und Beitragszahler vor überhöhten Arzneimittelpreisen und liefern einen essentiellen Beitrag zur Sicherung der finanziellen Leistungsfähigkeit der GKV. Gerade vor dem Hintergrund der angespannten Finanzsituation können wir es uns nicht leisten, ein solch wirksames Instrument zu schwächen...“

Aktualisierung am 29. März 2023: Unzufriedenheit mit der Situation

Geht es nach Apotheken und Patient:innen, hat sich die Lage nicht verbessert und schon gar nicht entspannt. BPI-Hauptgeschäftsführer Dr. Kai Joachimsen meint zum „Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetzes (ALBVVG)“: 

„Es ist leider mehr Schein als Sein... von den geplanten Maßnahmen profitiert die Versorgung der Patientinnen und Patienten nicht ausreichend. Der Regierungsentwurf benennt die Probleme korrekt, zeugt aber erneut von Inkonsequenz. Das ALBVVG ist der politische Versuch, die Symptome eines kaputt gesparten Systems zu behandeln, ohne jedoch an der ursächlichen Wurzel von Fehlanreizen in der gesamten Grundversorgung anzusetzen. Der Effekt des Gesetzes bleibt gering, solang sich die geplanten Maßnahmen gerade einmal auf etwa ein bis zwei Prozent der Arzneimittel beziehen und gleichzeitig Rabattverträge, Preisobergrenzen und weitere Herstellerabschläge fortbestehen. So bleiben die dringend benötigten Effekte bei der Lieferengpassbekämpfung aus. Nachhaltige Versorgungssicherheit erreichen wir nur, wenn verschiedene ineinandergreifende Maßnahmen den Kostendruck in der gesamten Grundversorgung senken.“

Die Apotheker:innen sind auch sehr unzufrieden. Auf der DAZ gibt es eine Übersicht, wie Aussagen von Politiker:innen zum Forderungskatalog der ABDA zusammen passen. Dabei geht es um die Themen Nullretax, Apothekenhonorar, erleichterte Abgaberegeln, Vergütung für das Lieferengpass-Management und Stärkung der Arzneimittelversorgung.

Aktualisierung am 20. Dezember: Eckpunktepapier

Zunächst sind in den Medien Apotheker zitiert worden mit „einer noch nie so erlebten Situation in 30 Jahren.“ Danach folgte einiges an Schlagabtausch mit der Idee von „Medikamenten-Flohmärkten“ unter Nachbarn von BÄK-Präsidenten Dr. Klaus Reinhardt, dem erzürnten und prompten Widerspruch der Apothekerschaft durch den Präsidenten der Bundesapothekerkammer Thomas Benkert ("Arzneimittel gehören in Apotheken, nicht auf den Flohmarkt – schon gar keine abgelaufenen Arzneimittel. Es schockiert mich, dass der Präsident der Bundesärztekammer derartiges öffentlich vorschlägt. Verfallene Arzneimittel können die Gesundheit der Patientinnen und Patienten massiv gefährden, ganz abgesehen von haftungsrechtlichen Fragen.") bis hin zu Frank Ulrich Montgomery, Vorsitzender des Weltärztebundes, mit der pessimistischen Prognose "Ich gehe davon aus, dass diese akute Krise in der Kindermedizin noch bis Februar andauert."

Nun hat Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach ein "Eckpunktepapier - Vermeidung von Lieferengpässen von Arzneimitteln, Verbesserung der Versorgung mit Kinderarzneimitteln und Stärkung des Produktionsstandorts EU" vorgelegt.

Sechs Punkte im Papier

  1. Verbesserung der Versorgung mit Arzneimitteln für Kinder
  2. Rabattverträge – Maßnahmen zur Diversifizierung der Lieferketten und verbindliche Vorratshaltung
  3. Festbetrags-Arzneimittel – Unterstützung von Marktsegmenten mit wenigen Anbietern
  4. Verbesserung der Arzneimittelversorgung für Patientinnen und Patienten in Apotheken
  5. Verfahren zur frühen Erkennung von Versorgungsengpässen
  6. Evaluierung

 

Außerdem sollen Apotheken die Möglichkeit erhalten, ihren Kunden wirkstoffgleiche Alternativen zu nicht vorrätigen Medikamenten anzubieten. So sollen Lieferengpässe abgefedert werden. Müssen Sie dafür mit einem Arzt oder einer Ärztin Rücksprache halten, wird dies zusätzlich vergütet.

Situation Kinderarzneimittel

Zu Punkt heißt es detaillierter: "Der Beirat zu Liefer- und Versorgungsengpässen beim BfArM (Beirat) erstellt unter Berücksichtigung der Zulassung, des Anwendungsgebietes, der Darreichungsform und der Dosierung eine Liste von Arzneimitteln, die für die Sicherstellung der Versorgung von Kindern erforderlich sind. Für diese Arzneimittel dürfen zukünftig keine Rabattverträge abgeschlossen und keine Eingruppierungen in Festbetragsgruppen vorgenommen werden. Bestehende Festbeträge werden aufgehoben. 

Das Preismoratorium wird für diese Arzneimittel angepasst., als neue Preisobergrenze wird das 1,5-fache eines aktuell bestehenden Festbetrags oder, sofern kein Festbetrag besteht, das 1,5-fache des Preismoratoriums-Preises festgelegt."

Änderung der Rabattverträge

Bei den Rabattverträgen soll "zur Stärkung der Versorgungssicherheit, Verringerung von Abhängigkeiten und Förderung des Produktionsstandorts EU (...) die Einführung einer Standortberücksichtigung im Rahmen der Rabattvertragsausschreibungen nach § 130a Absatz 8 SGB. Sozialgesetzlich wird den Krankenkassen eine verbindliche Ausschreibung eines zusätzlichen Loses bei jeder Ausschreibung für patentfreie Arzneimittel vorgegeben, dieses Los wird ergänzend zum Preis nach dem Zuschlagskriterium „Anteil der Wirkstoffproduktion in der EU“ vergeben. 

Diese Regelung bezieht sich zunächst auf Arzneimittel zur Behandlung onkologischer Erkrankungen und auf Antibiotika. Der Beirat kann bei Bedarf weitere Wirkstoffe und Indikationen empfehlen, das BMG kann auf der Grundlage der Empfehlung des Beirats weitere Wirkstoffe bzw. Indikationen der neuen Regelung unterstellen."

Lauterbach verspricht, dass "wir die Preisgestaltung von Kinderarzneien radikal ändern werden." Denn "wir haben es mit der Ökonomisierung auch in der Arzneimittelversorgung mit patentfreien Medikamenten übertrieben. Besonders bei Kinderarzneimitteln spüren wir die Konsequenzen gerade besonders hart. Dass man in Deutschland nur schwer einen Fiebersaft für sein Kind bekommt, der im Ausland noch erhältlich ist, ist inakzeptabel."

Reaktionen auf die Pläne: Vorsichtiger Zuspruch und laute Kritik

Der BPI-Vorsitzende Dr. Hans-Georg Feldmeier kritisiert: „Die Probleme der kaputten Preise wurden zwar erkannt, aber die Umsetzung ist zu kurz gesprungen. Die Maßnahmen sind nämlich nur auf den Versorgungsbereich der Kinderarzneimittel eingegrenzt. Die Lieferproblematik betrifft aber die gesamte Grundversorgung."

Und er legt noch nach: "... Die GKV-Erstattung des 1,5fachen Festbetrags mag ein erster Schritt sein, die Preisregulierung muss jedoch langfristig und tiefgreifend verändert werden. Gerade auch für Kinderarzneimittel brauchen wir langfristige Lösungen, um Präparate für diese Gruppe langfristig und auch außerhalb von Krisensituationen zu sichern. Auch die bessere Überwachung und das bessere Management von Lieferengpässen sind kurz gesprungen, denn dadurch wird letztlich nur der Mangel verwaltet, aber kein einziger Lieferengpass verhindert. Insgesamt werden die Maßnahmen sehr viel Bürokratie und zusätzliche Kosten mit sich bringen, gerade wenn es um mögliche Bevorratung geht, die die Probleme nicht löst."

Bork Bretthauer, Geschäftsführer von Pro Generika, ist ein wenig optimistischer: „Das Bundesgesundheitsministerium hat endlich erkannt, dass das Hauptsache-Billig-Prinzip bei Generika die Versorgung destabilisiert hat und zu Engpässen führt. Es ist gut, dass es jetzt gegensteuert und in einzelnen Bereichen den extremen Kostendruck lockern will. Damit geht es an die Wurzel des Problems. Das ist vor allem mit Blick auf die Kinderarzneimittel richtig, denn zuletzt war die Herstellung dieser Arzneimittel für die Unternehmen unwirtschaftlich geworden."

Auch ist Bretthauer wichtig, „dass es keine Diversifizierung von Anbietern und Lieferketten geben kann, sofern nur ein einziger Hersteller in den Rabattverträgen berücksichtigt wird und die gesamte Versorgung sichern muss. Aus unserer Sicht sollten deshalb generell immer mehrere Hersteller einen Zuschlag bekommen. Zudem ist es wichtig, dass die aktuelle Steigerung der Herstellkosten in Rabattverträgen und im Festbetragssystem abgebildet werden."

Florian Lanz, Kommunikationsleiter des GKV-Spitzenverbandes, wundert sich dagegen: „Da haben wir Pharmaunternehmen, die ihre Lieferverträge nicht einhalten, obwohl sie vorher zu diesen Preisen ihre Produkte angeboten haben. Und zur Belohnung – quasi als Weihnachtsgeschenk – sollen sie jetzt mehr Geld dafür bekommen und die Beitragszahler sollen bezahlen. Da läuft aus unserer Sicht etwas gewaltig schief.“ Denn sofern es sich dabei um Standortpolitik handele, sei der Bund gefordert und nicht die Krankenkassen, äußerte er sich gegenüber dem Deutschlandfunk.

Helmut Schröder, stellvertretender Geschäftsführer des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO), fordert von den Pharmaunternehmen, dass sie mehr Lagerhaltung und auch einen größeren Vorrat mit Vorprodukten einplanen. Er bringt den Punkt eines verpflichtenden Melde- und Warnsystems ins Spiel: „In anderen Ländern Schweden, Österreich gibt es eine verpflichtende Meldung, ob ein Arzneimittel verfügbar ist oder nicht. In Deutschland ist das freiwillig. Pharmazeutischen Hersteller müssten verpflichtet werden, diese nicht lieferfähigen Arzneimittel auch zu listen.“

Der GKV-Spitzenverband schlägt folgendes vor: "Offenkundig konnten die bisherigen gesetzlichen Rahmenbedingungen insgesamt nicht sicherstellen, dass immer genau die Medikamente ausreichend verfügbar waren, die gebraucht wurden. Statt kurzfristiger Weihnachtsgeschenke für die Pharmaindustrie brauchen wir einen Medikamentengipfel, bei dem von der Politik über die Apothekerschaft bis zu der Pharmaindustrie und den Krankenkassen alle wichtigen Akteure an einem Tisch sitzen."

Zum Thema ein Interview mit Prof. Dr. Andrew Ullmann, Obmann der FDP-Bundestagsfraktion im Gesundheitssauschuss und stellvertretender Vorsitzender im Unterausschuss Globale Gesundheit, mit dem Deutschlandfunk am 21.12.22.

Was bisher geschah:

Beschränkte Verfügbarkeit laut des BfArM

Laut des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) gibt es eine „dringende Empfehlung des Beirats zur eingeschränkten Verfügbarkeit von paracetamol- und ibuprofenhaltigen Arzneimitteln.

Am 30.11.2022 hat der Beirat für Liefer- und Versorgungsengpässe gemäß § 52b Absatz 3b Arzneimittelgesetz (AMG) im Rahmen einer Sondersitzung über weiterführende Maßnahmen zur Abmilderung der Engpässe bei paracetamol- und ibuprofenhaltigen Kinderarzneimitteln (Suppositorien und Säfte) beraten.“

Unter weiter informiert das Institut: „Dennoch ist deutlich ersichtlich, dass unter anderem die aktuell erhöhte Atemwegsinfektionsrate bei Kindern zu einem Mehrbedarf dieser Produkte führt. Dieser kann derzeit nicht im vollen Umfang kompensiert werden.

Zwischen Ende Juni 2022 und Anfang Juli 2022 wurde weiterhin die Nachricht publik, dass einer der größten Anbieter der fraglichen Produkte die anstehende Winterbevorratung absagte. In der Folge konnte ein deutlicher Anstieg der Einkäufe von Apotheken beobachtet werden, der vornehmlich die bis zu diesem Zeitpunkt weniger stark betroffenen Darreichungsformen (Fiebersaft mit Ibuprofen und Suppositorien mit Paracetamol) betraf. Die Verfügbarkeit der Produkte hat daraufhin erneut merklich abgenommen. Gleichzeitig führten die stark gestiegenen Einkäufe zu regionaler Ungleichverteilung und Bevorratung mit den verfügbaren Beständen. Daher ist neben dem gestiegenen Bedarf auch weiterhin von einer Verteilproblematik auszugehen.“

Apotheken weisen Vorwurf von sich

Die Apotheken weisen den Vorwurf der Bevorratung von sich. Dr. Gabriele Röscheisen-Pfeifer, Apothekerin im niedersächsischen Oldenburg und Mitglied im Vorstand der Apothekerkammer Niedersachsen, ist erbost: „Die sehen das nur als Verteilungsproblem an, was es schon lange nicht mehr ist. Wir stehen mit beiden Füßen in unserem Beruf und tagtäglich in der Apotheke und tun unser Bestes. Bevor im BfArM solche Mitteilungen herausgegeben werden, sollte man mal in die Apotheke vor Ort gehen und sich die leeren Schubladen für Antibiotika zeigen lassen.“ Denn es gibt Kontingentierungsvorschriften. Und sie legt nach: „Wenn 18.000 Apotheken bundesweit von Lieferengpässen sprechen, kann man das in Berlin doch nicht einfach negieren.“

Aktuelle Situation in vielen Apotheken

Zumindest beim Brustkrebsmittel Tamoxifen gibt es Entwarnung. Anna Steinbach, Leiterin Kommunikation von pro generika, erklärt, dass „das Unglück in dem Sinne abgewendet ist, dass es – derzeit – ausreichend Tamoxifen für alle Patienten und Patientinnen gibt.“

Bei den Antiobiotika-Säften sieht es dagegen nicht so gut aus. „Inzwischen gießen wir schon Paracetamolzäpfchen, weil gerade die niedrigen Dosierungen für Kleinkinder und Frühchen nicht lieferbar sind und Zäpfchen für diese Patienten die optimale Darreichungsform sind,“ erzählt Röscheisen-Pfeifer. „Dramatisch“ ist die Situation, „weil auch die Antibiotika-Säfte knapp sind.“

Was nun?

„Wir haben in der Arzneimittelversorgung bei Generika (…) die Ökonomie zu weit getrieben“, hieß es von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach auf einer Pressekonferenz vor zwei Wochen dazu. Er erklärte zudem, dass bei der Vergabepraxis für eine Arznei bei den Krankenkassen „kleinste Unterschiede beim Einkaufspreis dazu führen, dass der Anbieter bevorzugt werden muss, selbst wenn später ein Lieferengpass befürchtet werden kann und Medikamente dann nicht erhältlich sind.“

Lieferengpässe möchte er „nicht dulden“. Kurzfristig soll gesetzlich geregelt werden, dass von Krankenkassen künftig auch die Liefersicherheit bei der Preisbildung berücksichtigt wird. Und noch vor Weihnachten sollen die Eckpunkte zum „Generikagesetz“ vorgestellt werden.

Sicht von pro generika

Bork Bretthauer, Geschäftsführer von pro generika, ist sicherlich schon gespannt auf diese Vorschläge. Er unterstreicht die Problematik: „Immer mehr Hersteller müssen aus der Versorgung aussteigen, weil die Produktion zum Verlustgeschäft wird. Engpässe sind die Folge. Es braucht jetzt Anreize, damit wieder mehr Unternehmen einsteigen. Dafür müssen wir Schluss machen mit dem Kostendruck auf Generika — vor allem bei kritischen Arzneimitteln.“

Außerdem werden diese zwei Punkte kritisiert:

  • Abhängigkeit von asiatischen Zulieferen: Zum einen ist durch die Abwanderung der Produktion eine massive Abhängigkeit von Asien entstanden. Rund zwei Drittel der hierzulande benötigten Arzneimittelwirkstoffe beziehen wir aus Ländern wie China und Indien. Dieses Klumpenrisiko könnte – z. B. mit Blick auf geopolitische Entwicklungen – ein Problem für unsere Arzneimittelversorgung werden.
  • Marktkonzentration: Zum anderen sind immer mehr Hersteller auf allen Ebenen der Lieferkette aus der Versorgung ausgestiegen, weil die Produktion für sie zu den Preisen, die ihnen die Krankenkassen erstatten, wirtschaftlich nicht mehr darstellbar war.

 

Die Apothekerin Röscheisen-Pfeifer hofft auf ein besseres Jahr 2023. „Ich bin optimistisch. Wir haben auf das Problem aufmerksam gemacht. Nun muss es gesundheitspolitisch gelöst werden.“

Am 16.12.22 betonte Bretthauer in einem Interview mit dem Deutschlandfunk, dass Unternehmen vor der Wahl stünden, "rote Zahlen zu schreiben oder die Versorgung aufrechtzuerhalten." Für eine Produktion in Deutschland brauche es robuste Lieferketten und Investitionen. Das wäre ein langfristiges Ziel. Wichtiger sei es nun erst einmal, dass die Hersteller, die noch in Deutschland produzieren, auch hier zu halten.

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