Das IQWiG sagt selber über sich: „Nach turbulenten Anfangsjahren ist das Institut heute aus dem deutschen Gesundheitswesen nicht mehr wegzudenken.“
Auch ein Grund für uns im Archiv nachzuschauen — und in 2010 haben wir z. B. Dr. Jürgen Windeler zu seiner neuen Position als IQWiG-Leiter interviewt.
Das Institut wurde als ein „Aufruhr in der Pharmabranche“ betitelt oder „unter Dauerfeuer“ gesehen, genauso schrieb man dem Institut zu, sich „im Namen des Patienten“ einzusetzen und dass es „die Zeit des Halbgotts in Weiß“ beenden würde.
Zum Jubiläum veröffentlicht das IQWiG eine digitale Zeitreise, bestehend aus Texten, Fotos, Videos und Grafiken. So findet z. B. Dr. Rainer Heß, unparteiischer Vorsitzender des G-BA, dass „in einem immer stärker wettbewerblich ausgerichteten Gesundheitswesen, in dem Anforderungen an eine gesicherte Qualität zugunsten schnellerer Marktzugänge zurückgedrängt werden, das IQWiG seiner an der evidenzbasierten Medizin ausgerichteten Bewertungsmethodik treu bleiben sollte.“
Peter Sawicki: Umstrittener erster IQWiG-Leiter
Von 2004 bis 2010 war Prof. Dr. Peter Sawicki Leiter des IQWiG. Seine Person und vor allem, wie er sein Amt ausgefüllt hat, waren widersprüchlich und umstritten. In einem Editorial in 2010 hat Christian Sachse, damaliger Chefredakteur und aktueller Herausgeber des PM—Report, geschrieben:
Jetzt ist er also weg: Prof. Dr. Peter Sawicki. Gestolpert ist er über seinen Dienstwagen und diverse Reisekostenabrechnungen. Es gibt nicht wenige, die sich darüber freuen. So erhofft sich der BPI, dass „der personelle Neuanfang auch eine Besinnung auf den gesetzlichen Auftrag mit sich bringt“. Natürlich, der Noch-Chef des IQWiG war oft rigoros, meist unbeugsam und halsstarrig, fast immer knorrig und vor allem unbequem. Er wurde schon mal als einer der meistgehassten Menschen im deutschen Medizinbetrieb tituliert. Gegen alle Widerstände hat er das Effizienzgrenzenmodell zur Kosten-Nutzen-Bewertung durchgesetzt. Als „am besten geeignete Methode“ hat er den eigenen Weg verteidigt, auch weil niemand einen „praktikableren Alternativ-Vorschlag“ unterbreitet habe.
Ob sich jetzt der häufig geäußerte Wunsch nach einer Kosten-Nutzen-Bewertung nach internationalen Standards erfüllen wird? Die, die den Abgang von Sawicki klammheimlich bejubeln, könnten sich täuschen. Ob sich wirklich so viel ändern wird? Die ersten Äußerungen der Regierungspolitiker lassen das nicht erwarten. Und ob sich mit dem vermeintlichen Nachfolger – die Stelle wird gerade öffentlich ausgeschrieben, obwohl Leo Hansen von der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein als Kandidat gehandelt wird – ein geneigterer und beeinflussbarer Gesprächspartner auftut, darf man bezweifeln. Schon allein, um nicht in den Geruch etwaiger Abhängigkeiten zu geraten, wird er hart agieren müssen.
Im Nachhinein könnte sich die ganze Affäre sogar zu einem Pyrrhussieg auswachsen. Schon wird Sawicki zum Opfer der Pharmalobby stilisiert. Der Verbraucherschutz habe eine Niederlage erlitten, schreibt der „Stern“. Und der „Spiegel“ sieht einen Sieg der Klientelpolitik und der Pharmaindustrie über den Mann, der ihr lange Zeit ein Dorn im Auge war. Die Öffentlichkeit ist sensibilisiert. Sie wird in Zukunft sehr genau hinsehen. Und Sawicki selbst? Der kann sich als aufrechter Streiter gegen die Macht der Konzerne feiern lassen. Nicht erst, wenn sein Arbeitsvertrag im August ausläuft, wird er die Bühne aller Fernsehtalks besteigen. Dort wird er das Lied von der schrecklichen Macht der Pharmalobby singen, die alles beeinflusst. Einen ersten Vorgeschmack liefert sein Anfang Februar geführtes Interview mit der „Frankfurter Rundschau“. Robin Hood lässt grüßen.
Übrigens:
Nach dem IQWiG war Sawicki Dozent beim Institut für Gesundheitsökonomie und Klinische Epidemiologie (IGKE) in Köln. Der SPD-Gesundheitsexperte Prof. Dr. Karl Lauterbach hat zu der Zeit eigentlich das Institut geleitet, war aber als MdB beurlaubt. Sawicki sollte in den Bereichen „klinische Grundlagen“ und „evidenzbasierte Medizin“ lehren und forschen. Auch sollte der eigentliche Diabetes-Forscher im Bereich Diabetologie Forschungsprojekte verantworten.
Windeler: „Ich glaube, dass sich viele von Kosten-Nutzen-Bewertungen viel zu viel versprechen.“
In der Augustausgabe des PM—Report in 2010 erschien ein Interview mit Prof. Dr. med. Jürgen Windeler, der dann am 1. September neuer Leiter des IQWiG geworden ist. Davor war er Leitender Arzt/stellvertretender Geschäftsführer beim MDS – Medizinischer Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen e. V.
Ein Auszug aus dem Interview
PM—Report: Herr Dr. Windeler, haben Sie schon mit Dr. Peter Sawicki gesprochen?
Windeler: Ja, in den letzten Jahren mehrfach. Ich bin ja schon seit längerem im Wissenschaftlichen Beirat des IQWiG und da bestanden viele Kontaktmöglichkeiten.
PM—Report: Was sagt er zu Ihrer Wahl zum neuen IQWiG-Chef?
Windeler: Er hat mir zu meiner Wahl gratuliert.
PM—Report: Der Vertrag Ihres Vorgängers wurde wegen angeblicher Unregelmäßigkeiten bei der Reisekostenabrechnung nicht verlängert. Wie haben Sie das Vorgehen empfunden?
Windeler: Ich kenne den Vorgang nur aus der Presse. Der Beirat hat sich nicht mit diesen Themen befasst. Ich traue mich nicht, mir allein aufgrund von Informationen aus der Presse ein abschließendes Urteil zu bilden.
PM—Report: Manche behaupten, dass Ihr Vorgänger eher wegen seiner kritischen Bewertung von Arzneien ein Opfer der Pharmalobby wurde. Stimmt Sie das nachdenklich?
Windeler: Solche Vorgänge stimmen einen, wer nun auch Strippen gezogen haben mag, immer nachdenklich. Im Übrigen auch, weil mir klar ist, dass ich mich bemühen kann, nicht in eine solche Situation zu geraten, aber dass das Bemühen nicht ausreichen wird. Letztendlich habe ich es nicht in der Hand, bestimmte Zielsetzungen, bestimmte Initiativen, die auf Personen oder Institutionen zielen, komplett zu verhindern oder abzuschirmen.
PM—Report: Der Gesundheitsexperte Gerd Glaeske hat Ihre Wahl begrüßt. Er erwartet, dass Sie die kritische Tradition Ihres Vorgängers fortsetzen. Werden Sie das tun?
Windeler: Ich habe das vor. Ich glaube, dass man dies an den Ergebnissen des IQWiG auch weiterhin sehen wird. Es gibt meiner Ansicht nach keinen Grund und Anlass, an der Arbeitsweise und der Zielsetzung einer kritischen Bewertung etwas wesentlich zu verändern.
PM—Report: Sie haben gesagt, dass die Zahl von 50.000 Medikamentenvariationen ohne Qualitätsverlust vielleicht auf ein Zehntel sinken könnte, in jedem Fall auf unter 10.000. Wie kommen Sie darauf?
Windeler: Andere Länder operieren mit solchen geringeren Zahlen, also deutlich unter 10.000. Wir haben im Rahmen der zweiten Positivlisten-Initiative, an der ich mit gearbeitet habe, eine große Zahl von Medikamenten entdeckt, die schon lange im Markt sind, auf die aber mangels belegten Nutzens wahrscheinlich gut verzichtet werden kann. Dabei ist der wesentliche Punkt, dass man den Eindruck hat, andere Länder kommen mit weniger Medikamenten aus. Andere Zahlen sagen, dass für den großen Teil des Umsatzes – bis zu 95% – nur vergleichsweise wenige tausend Arzneimittel verantwortlich sind. Daraus könnte man den Schluss ziehen, dass dann die restlichen keine große Rolle spielen. Diesen großen Bereich an Medikamenten nach Nutzenaspekten zu durchforsten, würde meiner Meinung nach sehr viel Sinn ergeben.
PM—Report: Sie wollen eine Reduzierung also über eine Nutzenabwägung erreichen?
Windeler: Ja, so wie das über eine Positivliste schon zweimal versucht wurde. Man muss sich anschauen, welche Daten für diese Medikamente vorliegen, wie gut der Nutzen belegt ist, und entsprechende Bewertungen durchführen. Das entscheidende Problem liegt ja nicht daran, dass man nicht versuchen könnte, den Nutzen nachzuweisen. Das entscheidende Problem ist, die Konsequenzen daraus zu ziehen. Und da muss man sagen, hat sich die Politik zweimal nicht getraut.
PM—Report: Würden Sie sich trauen?
Windeler: Ich traue mich, die Bewertungen zu machen. Das IQWiG ist nicht der Entscheider an dieser Stelle. Es kann nur Empfehlungen abgeben: Für diese Medikamente ist der Nutzen gut belegt, diese scheinen für die Versorgung notwendig zu sein. Für andere Medikamente ist der Nutzen nicht belegt, skeptisch zu bewerten oder sogar widerlegt oder sie sind veraltet und es gibt bessere. All diese Hinweise kann das IQWiG geben und auch dafür werben, dass man sich an diesen Kriterien orientiert. Aber umsetzen müssen es die Entscheidungsträger.
PM—Report: Sie fordern, nutzlose Therapien aus dem GKV-Katalog zu streichen. Spricht da noch der Manager des Medizinischen Dienstes des GKV-Spitzenverbandes oder schon der zukünftige IQWiG-Chef?
Windeler: Aus dieser Äußerung spricht jemand, der sich für sorgfältige Nutzenbewertung, evidenzbasierte Medizin und für eine Umsetzung der Ergebnisse dieser Nutzenbewertung starkmacht. Das habe ich beim Medizinischen Dienst gemacht und das würde ich in einer wissenschaftlichen Position genauso machen. Beim IQWiG werde ich das in ähnlicher Weise fortführen.
PM—Report: In den Statuten des IQWiG steht, dass der Patient eine wichtige Rolle spielt und angehört werden soll. Beispiel: Langwirksame Insulinanaloga, dessen Nutzen vom IQWiG abgelehnt worden ist. Die Patienten sehen das anders. Wie wichtig ist da der Wille des Patienten für Sie?
Windeler: Da muss man genau und fein unterscheiden. Das Erste ist der Patientennutzen, also medizinische Vorteile für den Patienten. Der steht ganz im Zentrum aller Nutzenbetrachtungen, was anderes ist nicht von Interesse. Wir reden hier nicht vom Nutzen für Ärzte oder für die Steuer. Das Zweite und davon zu trennen ist die Patientenzufriedenheit. Was sagen Patienten, wenn man sie befragt, wie zufrieden sie mit der Leistung ihrer Ärzte sind? Da würde ich schon ganz erhebliche Abstriche machen, was die Relevanz betrifft. Denn als Resultat erhält man eine Zufriedenheitsquote von 80% +x, sonst hat man was falsch gemacht. Diese Quoten sagen aber so gut wie gar nichts über die Qualität der Versorgung aus.
PM—Report: In der Kritik stand in der Vergangenheit die Methodik der Kosten-Nutzen-Analyse. Werden Sie den eingeschlagenen Sonderweg weiter beschreiten?
Windeler: Ich war im Wissenschaftlichen Beirat des IQWiG sehreng an der Diskussion um die Methodik beteiligt. Mich hat es gestört, dass Kritiker nie gesagt haben, wie es konkret in der deutschen Situation besser gemacht werden könnte. Ich sehe im Moment nicht, dass es überzeugend bessere Wege gibt im deutschen Versorgungskontext – es gibt sicher andere. Ich neige dazu, weiter Erfahrungen mit dieser vom IQWiG entwickelten Methodik zu sammeln. Ich betone, Erfahrungen zu sammeln. Weil mir schon auffällt, dass das AMNOG die Kosten-Nutzen-Bewertung im Vergleich zu der vorherigen Gesetzgebung in ihrer Bedeutung zurückstuft. Ich will das mal als ein Zeichen interpretieren, dass auch die Politik erkennt, dass es für eine unmittelbare Entscheidungsrelevanz dieses Instrumentes zu früh ist. Das Signal aus dem AMNOG ist für mich persönlich sehr nachvollziehbar. Ich denke, wir sollten das weiter ausprobieren, aber dem auch nicht zu hohe Bedeutung beimessen.
PM—Report: Wären Sie dazu bereit, die Methodik zu ändern oder anzupassen?
Windeler: Natürlich wäre jeder, ich als Person oder das IQWiG als Institution, bereit, ein Vorgehen zu ändern, das sich nicht bewährt. Mir geht es aber auch ausdrücklich darum, was darüber hinaus geschieht. In Deutschland sind wir in unseren Diskussionen anscheinend nicht in der Lage, mit den Ergebnissen von Kosten- Nutzen-Bewertungen ruhig und sachlich umzugehen. Ich glaube, dass sich viele von Kosten-Nutzen-Bewertungen viel zu viel versprechen. Insofern geht es mir zum einen darum, die Methodik auszuprobieren und gegebenenfalls zu verbessern. Aber es geht mir auch um das Grundprinzip der Kosten-Nutzen-Bewertung. Wir müssen ausprobieren, auf welche Resonanz eine KNB in Deutschland stößt und was dabei heraus kommt.
PM—Report: Gerade in dieser Hinsicht wurde das IQWiG oft als wenig kritikfreundlich und eher starrköpfig kritisiert. Was werden Sie in Zukunft anders machen?
Windeler: Das IQWiG hat sich in einer schwierigen Situation befunden. Es musste für eine spezifisch deutsche gesetzliche Regelung eine Methodik finden. Man hat sich mit internationaler Hilfe umgeschaut, ob woanders schon etwas Brauchbares existiert. Dann hat man nachvollziehbar festgestellt, dass es so etwas noch nicht gibt. Ich sage das noch einmal: Wenn Kritiker nicht nur Hinweise gegeben hätten, dass derIQWiG-Weg angeblich internationalen Standards nicht entspreche und es so nicht gehe, sondern einen praktikablen Gegenvorschlag vorgelegt hätten, wäre auch das IQWiG aufgeschlossener gewesen, sich mit wirklich konkreten Alternativvorschlägen intensiver zu befassen. Doch in der speziellen Situation ist das ein bisschen steckengeblieben. Beispiel: QALYs sind super, haben die Kritiker behauptet. Doch das IQWiG hat aus guten Gründen entgegnet, dass diese nicht verwendet werden sollen. Im Nachhinein hat es internationale Unterstützung bekommen: In den USA wird diskutiert, QALYs zur Entscheidungsunterstützung zu verbieten. Es war eben sehr schwierig, alle Meinungen zu diesem Zeitpunkt auf einen Nenner zu bringen.
PM—Report: Ihr Vorgänger wurde fast rüde beschimpft. Hängt das nur an der Thematik oder noch an anderen Dingen?
Windeler: Ich kann nicht beantworten, ob das an der spezifischen Empfindlichkeit des Themas liegt. Ich bin bei bestimmten Themen meiner Tätigkeit auch schon rüde beschimpft worden. Und bei anderen Themen, bei denen ich eine klare Stellung bezogen habe, habe ich das ohne Beschimpfung überlebt. Ich kann schwer entscheiden, ob es an dem konkreten Thema oder an in diesem konkreten Thema liegenden Empfindlichkeiten liegt. Die Empfindlichkeiten betrafen auf der einen Seiten die betroffenen Hersteller, die sich mit neuen Anforderungen konfrontiert sahen. Aber große Empfindlichkeiten lagen auch bei der Fachöffentlichkeit, sprich der Gesundheitsökonomie. Natürlich kann man sich fragen, waren das jetzt besondere professionelle oder persönliche Empfindlichkeiten. Ich glaube ehrlich gesagt, dass es insgesamt eine sehr spezifische Situation gewesen ist. Diese Situation zeigt aber auch, in welche Formen von Diskussionen wir kommen können, wenn wir wirklich über Kosten-Nutzen-Bewertung reden. Ich behaupte nicht, dass wir Kosten-Nutzen-Bewertung nicht können. Aber ich sage, wir können damit noch nicht umgehen.
PM—Report: Die Tätigkeit des IQWiG beschränkt sich nicht nur auf Kosten-Nutzen-Bewertungen, sondern ein großer Schwerpunkt ist die Information von Patienten. Als wie wichtig empfinden Sie das?
Windeler: Wichtig, schon alleine, weil das ein gesetzlicher Auftrag an das IQWiG ist. Ich stehe vollständig dahinter. In der Aufgabe, Patienten und Versicherte so neutral, unabhängig, sachbezogen und evidenzbasiert wie möglich zu informieren, steckt ein großer Bedarf. Die Patienten können doch im Internet alles finden, aber an wirklich vertrauenswürdigen Informationen mangelt es. Sie müssen aber darauf vertrauen können, dass das Gefundene eine wirklich neutrale und fundierte Information ist. Von daher ist dieser Bereich sehr relevant. Und ich würde mir wünschen, dass die Vertrauensstellung und der Bekanntheitsgrad einer Stiftung Warentest eben auch auf die Patienteninformationen des IQWiG zutrifft. Daran kann man sicherlich noch arbeiten.
PM—Report: Es wird auch diskutiert, inwieweit die Hersteller Informationen direkt an den Patienten herausgeben dürfen. Wie sehen Sie das?
Windeler: Ich bin da momentan von einem Buch geprägt, das ich gerade gelesen habe, „Patient im Visier“. Meine Konsequenz aus dem Buch und dem dort sehr glaubhaft geschilderten Verhalten der Industrie ist, dass diese Werbung als Information verkauft - und das kann niemals in Betracht kommen.
PM—Report: Es geht aber nicht um Werbung, sondern um Informationen.
Windeler: Um unvollständige, beschönigende Informationen, das würde ich Werbung nennen. Wir haben ja gerade über die Möglichkeit gesprochen, Informationen in einem öffentlich zugänglichen Register zu sammeln. Man kann sich grundsätzlich vorstellen, in einer Datenbank auch Information zu Arzneimitteln – unabhängig geprüft – zur Verfügung zu stellen. In dem Buch – für mich gut recherchiert und gut nachvollziehbar – heißt aber die Erfahrung mit der Industrie, dass die Informationen, die Patienten erhalten, die auf Kongressen, Fortbildungen etc. verbreitet werden, eben keine neutralen, umfassenden Informationen sind, sondern Werbung sind. Und deswegen kann ich mich mit dieser Form von Informationen für Patienten, wenn sie nicht unabhängig qualitätsgeprüft sind, nicht anfreunden.
PM—Report: Das IQWiG ist in der Öffentlichkeit umstritten. Werden Sie das Institut anders positionieren oder bleibt alles beim Alten?
Windeler: Was kann man sich in ein paar Jahren als Zielsetzung vornehmen? Als Erstes möchte ich, dass mehr Leute das IQWiG kennen als bisher. Und als zweiten Punkt, dass über das Kennen hinaus mehr Leute wissen, was das IQWiG eigentlich macht und wozu es gut ist. Das könnte dazu führen, dass die Rolle des IQWiG bei mehr Leuten besser akzeptiert wird – auch dann, wenn die Arbeit kritisch gewertet wird. Das Hasspotential würde ich schon versuchen, zu reduzieren.
PM—Report: Sie haben angekündigt, sich selbst zurückzunehmen. Wie sieht das aus?
Windeler: Ich muss mich gar nicht zurücknehmen, ich bin so. Einige meiner wenigen Talkshowauftritte fand ich im Nachhinein sinnvoll, andere nicht. Und so werde ich mit solchen Anfragen und auch Interviewanfragen eher sparsam und gezielt umgehen.
Kaiser: „Als Institutsleiter ist man kein Pop-Star, aber natürlich unter Beobachtung.“
Das ist eine Antwort, die einfach nach einem gelungenen Zitat klingt. So geliefert von Dr. med. Thomas Kaiser, der seit März 2023 das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) leitet. Er ist Nachfolger von Prof. Dr. Jürgen Windeler, war lange stellvertretender Leiter und ist bereits seit den Anfängen des Instituts dabei.
Kaiser ist sich bewusst, dass „es um die Rolle und nicht um mich als Person geht. Mein Ziel ist es jedenfalls, die Institution nicht nur nach Innen, sondern auch nach Außen sichtbar zu vertreten.“
Was er u.a. über vollständige und korrekte Daten denkt und wie er die europäische Nutzenbewertung einschätzt, können Sie in der Dezemberausgabe (2023) des PM—Report lesen.
Das IQWiG ist 2004 gegründet worden. Seine Rechtsform, Gremien, Finanzierung und Aufgaben wurden mit dem GKV-Modernisierungsgesetz im Sozialgesetzbuch V in den Paragrafen 139a-c verankert. Verschiedene Gesundheitsreformgesetze haben dem Institut immer weitere Aufgaben beschert.
So wie es seit 2007 Kosten-Nutzen-Bewertungen im Auftrag des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) durchführen kann. 2011 wurde mit dem Arzneimittelmarkt-Neuordnungsgesetz (AMNOG) die frühe Nutzenbewertung eingeführt. 2012 kamen sogenannte Potenzialbewertungen dazu: Der G-BA kann das IQWiG mit der Bewertung von Antragsunterlagen zur Erprobung von Untersuchungs- und Behandlungsmethoden beauftragen, die eine potenzielle Behandlungsalternative beschreiben, deren Nutzen aber noch nicht belegt ist. Seit 2013 können auch Heilmittel erprobt werden.
Und in 2015 wurde die Bewertung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden mit Medizinprodukten hoher Risikoklassen eingeführt. Zudem erhielt das IQWiG den Auftrag für ein öffentliches Vorschlagsverfahren für ThemenCheck-Berichte.
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