Torsten Christann gibt Ihnen was zum Lesen zum Thema Digital Health. (Foto von Marissa Daeger auf Unsplash)
Liebe Leserinnen und liebe Leser des PM—Report,
schön, dass Sie sich heute wieder die Zeit nehmen, um gemeinsam durch meine Digital Health Notizen zu blättern. Ist Ihnen etwas aufgefallen? Nichts Dramatisches, eher eine Kleinigkeit: In der Regel bemühe ich mich, mir für den Anfang jeder Kolumne eine neue Begrüßung zu überlegen, zumindest mit einer kleinen Abwandlung, einem kleinen Twist – aber heute hatte ich irgendwie das Bedürfnis nach: Recycling.
Aber bevor wir mit dem eigentlichen Thema einsteigen, lassen Sie mich einen Schritt zurück machen zu: Pfandbechern. Begonnen hat es mit einer eigentlich positiven Beobachtung: Seit Anfang dieses Jahres müssen alle Cafés und Restaurants, die Take-Away – also Speisen und Getränke zum Mitnehmen – anbieten, auch Mehrwegverpackungen anbieten. Und das passiert auch – ganz regelkonform findet man nun überall das Angebot, gegen ein (mal höheres, mal niedrigeres Pfand), den Kaffee oder Salat in Mehrwegbecher oder -Schale mitzunehmen. Genutzt habe ich selbst dieses Angebot bisher nicht – und das, obwohl ich es für durchaus sinnvoll halte, Einwegmüll zu vermeiden.
Aber ganz objektiv ist es doch so: Mein Kaffee wird in diesem Moment ganze zwei Euro teurer, im Anschluss muss ich irgendwo einen innen noch leicht feuchten Pfandbecher verstauen, den ich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit das nächste Mal, wenn ich mir einen Kaffee hole, nicht dabeihaben werde. Ich stehe also vor der Wahl, mir entweder jedes Mal aus einem Gefühl der Verpflichtung einen zwei Euro teureren Mehrweg-Einweg-Becher zu kaufen oder eben: Beim Pappbecher zu bleiben. In der wenigstens ehrlichen Erkenntnis: Für mich hat diese Regelung keinen wirklichen Vorteil.
Bevor Sie jetzt verärgert die Seite schließen und mich mit dem Vermerk „ignorant“ abheften: Natürlich ist mir bewusst, dass das nicht wirklich meine einzigen Optionen sind – es sind aber die einzigen, die mir keinerlei Veränderung oder Umdenken abverlangen. Oder anders: Es ist eben alles eine Frage der Anreize. Ich weiß: Das mag vermessen klingen, aber ich möchte auf etwas Spezielles hinaus.
Also: A propos „vermessen“. Tragen Sie eine Apple Watch? Eine Galaxy Gear? Ein Fitbit-Armband? Dann sind Sie nicht allein. Wenn Sie Diabetiker:in sind: Tragen Sie einen Sensor? Eine kabellose Insulin-Reservoir-Pumpe? Verwenden Sie einen SmartPen? Auch hier sind Sie in guter Gesellschaft. Selbst für Nicht-Diabetiker werden Blut-Glukose-Sensoren angeboten, zum eigenen Monitoring, zur eigenen Optimierung.
Puls- und Blutdruckmesser unterstützen uns beim Joggen, Notfall-Armbänder erkennen Stürze bei alten oder eingeschränkten Personen: Sensorik und Hilfsmittel all überall – mal zur Behandlung von chronischen Krankheiten, mal zur Unterstützung der eigenen Gesundheit, mal aus purem Interesse. Nun ist Digital Health mein Alltag und so sehe ich einerseits natürlich mit Faszination und offenen Augen die neuen Möglichkeiten, die aus dieser allgegenwärtigen Selbstvermessung erwachsen: Real-World-Evidence, personalisierte Medizin, wirksame Prävention. Und ich sehe die Fortschritte bei Hilfsmitteln, die das Leben der Patient:innen jeden Tag leichter und besser machen.
Auf einen Aspekt aber möchte ich gerne Ihr Augenmerk richten: Die unfassbaren Mengen an Plastik- und Verpackungsmüll, der hier entsteht. Bleiben wir für einen Moment - aus meiner Nähe zum Thema - bei Diabetes: Zweimal im Monat ein neuer Sensor – manchmal sogar inklusive einem massiven Kunststoff-Einweg-Applikators, Millionen Einweg-Insulin-Pens, Einweg-Reservoir-Pumpen, die regelmäßig getauscht werden müssen. Was allein in einem einzigen Diabetiker:innen-Haushalt an Verpackungs- und Einwegmüll für Hilfsmittel und Medikamente anfällt, ist für Nicht-Betroffene kaum vorstellbar.
Nun ist es nicht so, dass es hierfür gar keine Aufmerksamkeit gäbe: Ziel der „Green Diabetes“ Initiative z. B. ist es, den Abfall aus der Diabetesversorgung zu reduzieren. Sogar einen „Green Diabetes Summit“ hat es 2021 bereits gegeben – beides Initiativen der Diabetes Technology Society. Die Krux ist und bleibt aber auch hier: Warum sollten Hilfsmittelhersteller hier wirklich etwas verändern wollen? Nicht nur nach und nach, sondern mit echtem Nachdruck, zeitnah und dauerhaft?
Das Beispiel der Insulin-Pens illustriert das recht schön: Über lange Zeit konnten Insulin-Pens nachgefüllt werden – warum also hat man letztlich auf Einmal-Pens umgestellt? Ein Wort: Convenience. Hersteller – ebenso wie Krankenkassen – haben die Umstellung auf Einmal-Pens vorangetrieben, weil die Nutzererfahrung schlicht besser und einfacher war – und natürlich: günstiger.
Jetzt könnte man es sich einfach machen und sagen: Die Verantwortung liegt hier zumindest auch bei den Patient:innen – sie könnten ja nach umweltfreundlichen Produkten verlangen, nach weniger Verpackung. Dass das bei medizinischen Hilfsmitteln geradezu absurd ist, dürfte klar sein – hier kann der/die Patient:in zum einen nicht mit den Füßen abstimmen und zum anderen: Eine gute Nutzererfahrung bei einem Hilfsmittel mag ziemlich zurecht im primären Interesse der Patient:in liegen.
Hier sind die Hersteller gefragt, aus der eigenen Komfort-Zone zu kommen und auch aus Umwelt-Sicht wieder an echten Innovationen zu arbeiten: Schön, wenn der Einmal-Sensor aus recyceltem Plastik ist, aber wie hält er länger? Gut, dass der Plastik-Applikator umweltfreundlich verpackt ist, aber warum braucht man ihn überhaupt noch? Und gut, dass die Bedienung eines Einmal-Insulin-Pens so einfach und sicher ist – aber wie kriegen wir (wenn auch nur fast) dieselbe herausragende Nutzerfahrung auch für einen wiederverwendbaren Pen hin?
Dass Unternehmen (nicht nur im Bereich der Hilfsmittel) zu solchen Innovationen durchaus in der Lage sind, zeigt sich immer wieder: Immer mehr Krankenhäuser etwa haben Solar-Energie für sich entdeckt oder investieren in ihre eigenen Kraftwerke. Ich unterstelle hier einfach einmal ganz mutig: Nicht primär aus einem Umweltschutz-Gedanken, sondern vor allem aus Kosten- und Regulierungsgründen: Offenbar aktuell die richtigen Anreize – und irgendwie schade: Bevor Mehrwegbecher und wiederverwendbare Hilfsmittel Pflicht werden, trauen wir uns doch lieber umzudenken – etwa wie übermäßiger Verpackungsmüll in der Produktentwicklung ganz selbstverständlich zu einem Qualitätskriterium – also einem No-Go – wird.
Ich versuche jetzt das überaus komplexe Problem zu lösen, wie ich einen Mehrwegbecher in meinen Alltag integrieren kann – und wir lesen uns in zwei Wochen an dieser Stelle wieder, wenn Sie mögen.
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Torsten Christann
Managing Partner bei Digital Oxygen GmbH
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