
Die WHO stellt sich eine Zukunft vor, in der stärkere soziale Bindungen das Wohlbefinden steigern, vermeidbare Todesfälle reduzieren, Bildung und wirtschaftliche Widerstandsfähigkeit stärken und die soziale und finanzielle Belastung durch fehlenden Anschluss verringern. Der Bericht zum Thema Einsamkeit soll ein Aufruf zum Handeln sein – und eine Einladung, eine vernetztere und gesündere Welt aufzubauen. (Foto von Jeremy Cai auf Unsplash
Die Kommission für soziale Verbundenheit der WHO warnt: Einsamkeit trägt schätzungsweise zu über 870.000 Todesfällen pro Jahr bei – rund 100 pro Stunde.
Der Bericht zeigt, dass stabile soziale Beziehungen das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes, Depressionen und vorzeitigen Tod senken können. Besonders gefährdet sind Jugendliche, ältere Menschen sowie Bevölkerungsgruppen in einkommensschwachen Ländern. In Niedriglohnländern fühlen sich doppelt so viele Menschen einsam wie in wohlhabenden Staaten (24% vs. 11%).
WHO-Generaldirektor Dr. Tedros Adhanom Ghebreyesus betont: „Wenn Einsamkeit und soziale Isolation unbeachtet bleiben, kostet das unsere Gesellschaften Milliarden – etwa durch höhere Gesundheitskosten, schlechtere Bildungschancen und geringere Arbeitsproduktivität.“
Die WHO legt mit dem Bericht eine globale Handlungsstrategie vor – mit Empfehlungen zu Politikgestaltung, Forschung, konkreten Maßnahmen und öffentlicher Aufklärung. Auch wurde eine neue Kampagne gestartet: Knot Alone soll weltweit für mehr soziale Verbundenheit und psychische Gesundheit werben.
Zentrale Erkenntnisse auf einen Blick
1. Soziale Gesundheit – ein unterschätzter Gesundheitsfaktor
- Soziale Gesundheit ist genauso wichtig wie körperliche und mentale Gesundheit.
- Soziale Verbindung gilt als neuer sozialer Determinant von Gesundheit, vergleichbar mit Ernährung, Bewegung oder Bildung.
- Einsamkeit ist kein Randphänomen – sie betrifft 1 von 6 Menschen weltweit (zwischen 2014–2023), verursacht rund 871.000 Todesfälle jährlich (2014–2019).
2. Einsamkeit ist global – aber ungleich verteilt
- Junge Menschen sind besonders betroffen: 20,9% der 13–17-Jährigen und 17,4% der 18–29-Jährigen.
- Höchste Einsamkeitsraten in Ländern mit niedrigem Einkommen, v. a. in Afrika (24%) und der östlichen Mittelmeerregion (21%).
- Europa hat mit ca. 10% die niedrigste Rate.
- Daten zu sozialer Isolation (objektiv gemessene soziale Kontakte) sind seltener, zeigen aber, dass 25–34% der älteren Menschen betroffen sind.
3. Die Folgen sind gravierend – und oft unterschätzt
Erhöhtes Risiko für:
- Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Typ-2-Diabetes, Depression, Angststörungen
- Frühzeitige Sterblichkeit (vergleichbar mit Rauchen oder Fettleibigkeit)
- Ökonomische Kosten entstehen durch geringere Produktivität, höhere Gesundheitsausgaben und reduzierte Bildungschancen.
- Stigmatisierung erschwert Betroffenen das Eingeständnis und den Zugang zu Hilfsangeboten.
4. Ursachen sind vielschichtig – und oft nicht linear
- Mögliche Treiber: Urbanisierung, Individualisierung, digitale Technologien, schlechte öffentliche Infrastruktur.
- Besonders gefährdet sind: Menschen mit Behinderung, LGBTIQ+-Personen, Migrant:innen, Alleinlebende, Menschen mit psychischen Erkrankungen.
- Der Einfluss digitaler Technologien ist noch nicht eindeutig: Sie können verbinden, aber auch isolieren.
Lösungsansätze laut WHO
1. Politische Maßnahmen
- Bisher haben nur 8 Länder (darunter Deutschland, Japan, USA) nationale Strategien.
- Erfolgsfaktoren: ressortübergreifende Zusammenarbeit, Aufklärung, Monitoring.
2. Gemeinschaftsstrategien
- Aufbau und Pflege sozialer Infrastruktur (z. B. Parks, Bibliotheken, Nachbarschaftszentren).
- Beteiligung der Bevölkerung an Planung und Umsetzung.
- „Social Prescribing“ (ärztliche Empfehlung sozialer Aktivitäten) gewinnt an Bedeutung.
3. Individuelle & Beziehungsebene
- Psychologische Interventionen (z. B. kognitive Verhaltenstherapie) zeigen gute Wirksamkeit.
- Digitale Lösungen (inkl. KI und VR) sind vielversprechend, aber noch unzureichend erforscht.
- Wichtig: zielgruppenspezifische Ansätze – was bei Jugendlichen hilft, funktioniert nicht zwingend bei Senior:innen.
Der 10-Jahres-Aktionsplan der WHO-Kommission
Fünf strategische Handlungsfelder mit je drei konkreten Prioritäten:
- Politik: Politische Führung stärken, nationale Strategien fördern.
- Forschung: Wissenslücken schließen, internationale Forschungsinitiativen starten.
- Interventionen: Skalierbare Ansätze fördern, Umsetzungshilfen bereitstellen.
- Daten & Messung: Bessere Datenerhebung, globaler Index für soziale Verbindung.
- Engagement: Öffentlichkeit sensibilisieren, soziale Verbindung als gemeinschaftliche Aufgabe verankern.
Wenig bekannte Aspekte
- Die Evolutionstheorie erklärt Einsamkeit als „soziales Hungergefühl“: ein überlebenswichtiges Signal zur Re-Integration in Gruppen.
- Kulturelle Unterschiede sind groß: In vielen Sprachen gibt es keinen Unterschied zwischen Einsamkeit und freiwilliger Zurückgezogenheit.
- Stigmatisierung von Einsamkeit kann schwerer wiegen als die Einsamkeit selbst – viele Betroffene sprechen lieber über psychische Erkrankungen als über Einsamkeit.

Das Cover des WHO-Berichts. (Foto: Screenshot Cover / PM—Report)
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