Homöopathie: Es geht ums Prinzip
Torsten Christann gibt Ihnen was zum Lesen zum Thema Digital Health. (Foto von Marissa Daeger auf Unsplash)
Es geht wie gesagt: ums Prinzip
Liebe Leserinnen und liebe Leser des PM—Report,
schön, dass Sie sich auch heute wieder die Zeit nehmen, um mit mir gemeinsam einen Blick auf meine Digital Health Notizen der vergangenen beiden Wochen zu werfen.
Starten wir leicht – mit einer Kindheitserinnerung an den bitteren Geschmack von Ungerechtigkeit und Enttäuschung. Na ja, es ginge vielleicht auch eine Nummer kleiner, aber Sie werden verstehen, was ich meine: Welches Kind hat nicht mit den Augen gerollt, eine Schnute gezogen, genölt oder gar geweint, wenn es hieß: „Aus Prinzip.“ „Warum nur eine Kugel Eis?“ „Warum schon jetzt ins Bett?“ „Warum muss ich das von meinem Taschengeld bezahlen?“ „Weil jeder nur eine Kugel bekommt.“ „Weil wir das so vereinbart haben.“ „Weil Du genau dafür Taschengeld bekommst.“ So viele unbefriedigende Wege, um mir im Grunde nichts anderes zu sagen: „Aus Prinzip.“ Als Steppke war das eine Nicht-Begründung, ein billiges Abbügeln all der Argumente, die für mein Ersuchen gesprochen hätten. Ungerecht.
Heute, als langjähriger Angestellter dreier Söhne, ebenso wie als Unternehmer, habe ich verstanden, dass es ziemlich genau umgekehrt ist, dass Prinzipien wertvolle Leitplanken und Grenzen für einen selbst und die Menschen um einen herum sein können – unabdingbar für das gemeinsame Miteinander. Ich weiß z. B. recht genau, mit wem ich nicht arbeiten möchte. Und unsere Kinder wissen recht genau, was sie von ihren Eltern erwarten können. Und ich weiß im Zweifel – zumindest in den charakterstarken Momenten: „Da musst Du jetzt durch: Hilft ja nichts.“
Womit wir bei unserem eigentlichen Thema wären: Homöopathie. Keine Sorge, bis auf diesen kleinen Seitenhieb wird das hier kein weiteres „Bashing“, davon gibt es wahrlich schon genug und sie führen letztlich ja auch nirgendwo hin. Ich möchte nicht über Wirksamkeit und Unwirksamkeit von Homöopathika, über Glauben und Nicht-Glauben, Placebo- und darüber hinaus gehende Effekte sprechen. Es geht wie gesagt: ums Prinzip.
Die Ankündigung von Gesundheitsminister Karl Lauterbach, Homöopathie zukünftig nicht mehr durch gesetzliche Krankenkassen erstatten lassen zu wollen, stieß auf gemischte Reaktionen. Zum einen sind da die altbekannten „Homöopathie wirkt nicht – Homöopathie wirkt doch“-Lager, die Klassiker. Aber auch laute „Haben wir keine größeren Probleme im Gesundheitssystem“-Stimmen im Dreiklang mit „Die Einsparungen wären – wenn überhaupt – marginal.“ und „Der Minister mischt sich hier in die Belange der Selbstverwaltung ein.“
Werden wir also grundsätzlich: Der Auftrag der Gesetzlichen Krankenkassen ist es, „die Gesundheit der Versicherten zu erhalten, wiederherzustellen oder ihren Gesundheitszustand zu verbessern sowie die Versicherten aufzuklären, zu beraten und auf eine gesunde Lebensführung hinzuwirken.“ Finanziert wird das Ganze überwiegend aus den Beiträgen der Versicherten. Was die Kassen regulär erstatten, die Regelleistungen, ist klar geregelt und unterliegt einer aufwändigen Kosten-Nutzen-Bewertung. Alles darüber hinaus – unter anderem eben auch Homöopathie – fällt unter die Kassen-spezifischen Satzungsleistungen. Die Möglichkeit zur Erstattung von Satzungsleistungen gibt es im Sozialgesetzbuch unter anderem, um Wettbewerb unter den Krankenkassen zu ermöglichen.
Jede Diskussion – um freiwillige Vorsorge-Leistungen, zusätzliche Heilmittel-Erstattungen oder eben auch -Homöopathika – sollte sich dementsprechend auch primär mit zwei Fragen beschäftigen: Trägt eine Leistung zur besseren Versorgung der Versicherten bei und geht eine Krankenkasse dabei mit ihren finanziellen Mitteln sinnvoll um.
Ob eine Einsparung „marginal“ wäre, tut dann nichts zur Sache. Und ob es „Besseres zu tun gibt“, ebenso wenig. Nun bin ich selbst kein Fan von Homöopathie, aber ich respektiere selbstredend, wenn sie anderen Menschen hilft. Ich schwöre bei einer Erkältung oder bei Stress zum Beispiel auf ein schönes Schaumbad mit ätherischen Ölen. Beides ist in Ordnung („Wenn’s hilft.“) und keins von beiden sollte von einer Krankenkasse erstattet werden.
Nicht sehr digital bisher, diese Digital Health Notizen, werden Sie vielleicht denken. Kommt jetzt: Erst in der letzten Ausgabe unserer kleinen Kolumne hatten wir uns mit DiGA und dem Bericht bzw. der Einordnung des GKV-Spitzenverbandes beschäftigt. Der Tenor: Hohe Kosten – gar ein Finanzierungsrisiko für die GKV – und angeblich kein wirklich nachgewiesener Nutzen. Da muss was getan werden, damit dieses Konzept in Zukunft überhaupt fliegen könnte. Wer gleichzeitig aber Homöopathika mit Begründungen wie „wegen hoher Nachfrage der Versicherten“ erstattet, dem will ich es nicht so recht abnehmen, dass es bei der Opposition gegen DiGA dann auf einmal ums Prinzip, um Kosten- und Nutzenbewertungen geht.
Vergleichen wir kurz: Dr. Natalie Grams, selbst früher Homöopathin und heute eines der Aushängeschilder der Homöopathie-Gegner, ordnet die Anwender von Homöopathika ein als „jung, gesund, naturbezogen und eher gesundheitsbewusst“. 2021 lagen die Ausgaben der GKV für Homöopathika bei etwa 22 Millionen Euro, einen klinischen Nachweis der Wirksamkeit gibt es seit 1796 allerdings noch nicht.
Und bei DiGA? 67,5 Millionen Euro hat die GKV 2023 dafür ausgegeben – wobei mehr als die Hälfte der gelisteten DiGA inzwischen den klinischen Nachweis eines positiven Versorgungseffektes erbracht haben. Der Rest ist (für ein Jahr) vorläufig gelistet. Das mittlere Alter der DiGA-Nutzer liegt bei 45 Jahren, mit der „höchsten Inanspruchnahme“ in den „Altersgruppen von 50 bis 60“. Ein Schelm, wer bei diesen Zahlen Böses denkt.
Um welches Prinzip geht es also bei all der Kritik an DiGA?
Wenn es – wie bei Homöopathie – um die Nachfrage der Versicherten geht: Haken dran, die steigt seit Einführung der DiGA kontinuierlich und Krankenkassen sollten sich glücklich schätzen, diese Nachfrage bedienen zu können. Geht es darum, für die richtigen Versicherten – mit hohen Beiträgen und geringen Kosten – attraktiv zu sein? Dann würde ich nichts ändern. Oder geht es um eine Kosten-Nutzen-Bewertung? Dann müssten die Krankenkassen entweder aufhören, Homöopathika zu erstatten – oder DiGA einfach ohne Murren erstatten und ihnen statt 12 bis 24 Monate noch rund 200 Jahre Zeit für den Nachweis eines positiven Versorgungseffektes geben.
Ich mache mich jetzt auf den Weg zur Trabrennbahn – ein bisschen Prinzipien-Reiten – und danach gibt es ein schönes Schaumbad mit ätherischen Ölen. Und wir sehen uns an dieser Stelle in zwei Wochen wieder, wenn Sie mögen.
Ihr Torsten Christann
Die weiteren Digital Health Notizen
- DiGA und der GKV-SV: The Same Procedure as Last Year
- No Risk, No Health: Eine Weihnachtspredigt
- Arzneimittelversorgung: Kontrollverlust voraus
- BIPAM: Alter Wein in neuen Schläuchen?
- EASD 2023: Wird es Herbst in Pharma?
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- Wir brauchen mehr Markt im Gesundheitssystem.
- E-Rezept: Wollen wir’s mit der Digitalisierung vielleicht doch einfach lassen?
- Nachhaltigkeit in der Diabetesversorgung: Innovationen sind wieder gefragt
- Ein ethischer Kompass für die KI am Ruder
- Das Digitalgesetz kommt: Aufatmen und Durchatmen
- Eine Digitalisierungsstrategie für unser Gesundheitswesen
- ChatGPT – ein Meilenstein für Digital Health?
- Amazon und der Gesundheitsmarkt: Auf dem Weg zu „Prime Health“
- Gesundheitswesen: 70.000 Todesfälle vermeidbar?
- Erster Aufreger zu Digital Health
- FemTech – mein persönlicher Aha-Moment
- Veränderungen im Gesundheitssystem: Und täglich grüßt das Murmeltier
- Patient Empowerment: Shared Decision Making
- An Apple A Day: Apples Rolle in Healthcare
Torsten Christann
Managing Partner bei Digital Oxygen GmbH
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